Paketverteilzentren sind für Außenstehende recht mysteriöse Gebilde. An einem Punkt werden Pakete angeliefert und reisen nach einem Sortiervorgang in die passende Richtung weiter - wie das aber genau vonstattengeht, verschließt sich den meisten. Natürlich gibt es Bilder und Videos von Förderbändern, Paketrutschen, Scannern, Sortierpersonal und allem, was sonst noch dazugehört. Daraus abzuleiten, was wann, wo und wie vor sich geht und welchen Einfluss dies auf den weiteren Arbeitsablauf hat, ist selbst für Expertinnen und Experten schwer zu überblicken. Das bedeutet auf der anderen Seite, es gibt noch viel Optimierungspotenzial, um die Abläufe nicht nur schneller und effizienter, sondern auch zuverlässiger zu machen, damit Pakete es noch häufiger als bisher ungestört zu ihren Empfängerinnen schaffen.
Faktor Mensch nur schwer simulierbar
Um dieses Potenzial zu erschließen und durch Verbesserungen gleichzeitig das Personal zu unterstützen, entwickelt das Institut für Technische Logistik der TU Graz 3D-Simulationsmodelle von Paketverteilzentren. „Mit diesen Modellen können wir neue Einrichtungen designen oder bestehende optimieren“, sagt Harald Steinkellner vom Institut für Technische Logistik. „Wir möchten die Prozesse damit effizienter gestalten, etwa indem Förderbänder und Paketrutschen zielführend positioniert werden. Aber auch Picking- und Packing-Prozesse lassen sich damit verbessern oder das Team trainieren. Wir können auch mit Layouts experimentieren und schauen, wie viel Personal es in bestimmten Bereichen braucht oder was geschieht, wenn etwas schiefläuft.“
Damit dieses Ansinnen wirklich gelingt, ist es essenziell, dass die Simulationen die echte Welt genau wiedergeben, das Computermodell also einem digitalen Zwilling des Originals entspricht. Mit den Einrichtungen und technischen Anlagen gelingt das auch zumeist wunschgemäß, einschränkender Faktor bleibt das menschliche Verhalten, da es hier aufgrund der Individualität des Menschen zu besonderen Herausforderungen im Rahmen der Modellierung kommt. Deswegen feilen die Forschenden anhand neuer Daten laufend an ihren Modellen, um die Genauigkeit zu erhöhen. Dabei berücksichtigen sie Faktoren wie die Arbeitsgeschwindigkeit der Menschen, die Fehler, die sie machen, oder Müdigkeit und Ablenkungen.
Flexible Verpackungen physikalisch genau simuliert
Lange Zeit ebenfalls schwer vorherzusagen war das physikalische Verhalten von Sendungen, die sich leicht verformen, etwa Polybags und Pakete aus dickem Papier. Hierfür hat das Institut für Technische Logistik in einem eigenen Projekt eine neue Methode entwickelt, mit der sich das Verhalten flexibler Pakete physikalisch genau simulieren lässt. Allerdings ist bisher nur das Verhalten einzelner flexibler Sendungen simulierbar, in einem neuen Projekt wird derzeit an der Simulation mehrerer dieser Sendungen und deren Interaktionen untereinander geforscht. Aufgrund der zahlreichen physikalischen Einflüsse ist dies durchaus eine Herausforderung.
Und wozu das Ganze? Einerseits zur bereits erwähnten Verbesserung der Effizienz in den Paketverteilzentren. So können Betreiber*innen innerhalb von ein paar Wochen ein Computermodell ihrer Verteilzentren bekommen und anhand dessen Verbesserungen am Layout planen. Neben der idealen Platzierung technischer Komponenten können sich die Verantwortlichen auch mit der Dynamik der Beschäftigten befassen: Sie können simulieren, wie viele Mitarbeitende sie wo einsetzen, effiziente Schichtpläne erstellen und diese in Echtzeit anpassen, wenn Leute ausfallen.
Besseres Verständnis für eigenen Beitrag
Gleichzeitig kann die Simulation aber auch den Mitarbeitenden selbst ein besseres Verständnis für ihre Tätigkeit liefern. So lernen sie dadurch zu verstehen, welchen Anteil ihre Arbeit am Gesamtprozess hat. Das verschafft ihnen eine neue Perspektive auf den Beitrag ihres Tuns zum Gesamtergebnis, der ihnen bei der täglichen Arbeit fehlt.
Trotz dieser vielen Möglichkeiten ist die Arbeit an diesen Simulationsmodellen noch lange nicht abgeschlossen. Harald Steinkellner prognostiziert, dass in Zukunft künstliche Intelligenz und speziell Machine Learning noch stärker eingebunden werden, um Trends vorherzusagen und die Systeme in Echtzeit zu optimieren. „Entscheidungen werden zunehmend datengetrieben, das heißt, sie basieren auf fundierten Analysen großer Datenmengen, welche beispielsweise mit KI ausgewertet werden, um Muster zu erkennen, Prognosen zu erstellen und fundierte Handlungsempfehlungen abzuleiten.“, sagt Harald Steinkellner. „Wir werden neue Technologien nutzen, um Probleme zu entdecken, bevor sie überhaupt entstehen. Wir werden uns mit VR-Brillen durch das Verteilzentrum bewegen und können direkt sehen, welchen Einfluss unsere Entscheidungen haben. Und wir werden das ganze Liefersystem virtuell abbilden, nicht nur das Verteilzentrum. Wir haben dann ein Modell für die ganze Lieferkette, von der Bestellung bis zur Haustüre. Damit können wir Flaschenhälse finden und das komplette System optimieren – in Richtung Effizienz und Nachhaltigkeit."
Dieser Artikel ist Teil des TU Graz Dossiers „Logistik - Alles kommt von A nach B“. Weitere Dossiers finden Sie unter www.tugraz.at/go/dossiers.