News & Stories: Was fasziniert Sie in Ihrem Forschungsbereich?
Corina Klug: Prinzipiell einmal die Interdisziplinarität. Mein Forschungsgebiet ist die Biomechanik und vor allem die Biomechanik von Verletzungen. Das kombiniert Medizin, Physik, Mathematik und Mechanik. In der Anwendung der Biomechanik auf die Fahrzeugsicherheit, um dadurch Verletzungen zu vermeiden, hat das Gebiet auch etwas Sinnerfüllendes, weil wir die Sicherheit im alltäglichen Leben verbessern wollen, speziell im Straßenverkehr. Es ist ein Thema, das alle betrifft. Mich motiviert es sehr, an etwas zu arbeiten, das die Welt ein bisschen besser macht.
Ist das Interesse an diesen technischen-naturwissenschaftlichen Themen immer schon da gewesen, wurde es in Ihrer Kindheit und Jugend gefördert? Oder gab es ein bestimmtes Erlebnis, das dazu geführt hat?
Klug: Ich habe als Kind mit allem gespielt was Spaß gemacht hat – unabhängig von Geschlechterrollen –, da waren Puppen aber auch Lego Technic dabei. Die Entscheidung, etwas Technisches zu studieren, traf ich recht spät, erst kurz vor der Matura. Ich war in der Schule immer gut in Mathematik und ich hatte einen Lehrer, der das sehr gefördert hat. Er wollte mich zu einem technischen Studium überreden, wovon ich aber anfangs wenig begeistert war. Ich konnte mir darunter wenig vorstellen, dachte es sei langweilig und es hatte für mich zu wenig mit Menschen zu tun. Und ich hatte auch Zweifel, ob es wirklich zu mir passt und ich ein technisches Studium ohne HTL-Background schaffen kann. Ich wollte eher etwas Soziales machen oder Medizin. Lustigerweise bin ich dann bei einem Tag der offenen Tür zufällig in einem falschen Hörsaal gelandet und habe dort einen Vortrag zum Thema Maschinenbau und Robotik gehört. Auf einmal war ein technisches Studium greifbarer für mich, vor allem als ich mir den Wahlfachkatalog angesehen habe. Dort habe ich erkannt, dass ich mit dem gleichen Studium sowohl über Windkraftwerke, als auch über Züge und Autos lernen kann. Das sind so viele spannende Themen und man braucht sich am Anfang nicht auf ein Thema einzuschränken, sondern kann generell lernen, wie man solche Dinge erforschen und designen kann.
Hätte es vorher, während der Schulzeit, schon Initiativen geben können, die Sie auch ohne diesen Zufall in diese Richtung hätten weisen können?
Klug: Ich war in einem Realgymnasium. Damals gab es einen Vortrag von „Frauen in die Technik“ bei mir an der Schule, aber der hat mich nicht so angesprochen. Nachdem ich es gewohnt war, dass wir in der Schule als Schülerinnen in der Mehrheit waren, konnte ich auch nicht nachvollziehen, warum man hier speziell die Mädchen extra anspricht. Ich glaube, ich hatte auch allgemein ein antiquiertes Bild von dem, wie Technikerinnen und Techniker sind und konnte mich damit nicht identifizieren. Sobald ich die ersten Technker*innen kennengelernt und erkannt habe, was sie für eine Faszination an der Sache haben, war das etwas anderes.
Ich bin immer wieder erstaunt, mit welchen Zweifeln sich junge Frauen konfrontiert sehen, die sich für ein technisches Studium interessieren, obwohl es für sie objektiv gesehen keinen Grund dafür gibt.
Wurde in den vergangenen Jahren aktiver versucht, dieses eher veraltete Techniker*innenbild zu modernisieren?
Klug: Es gibt viele tolle Initiativen. Es sind alle sehr bemüht, Dinge verständlich zu erklären und zu zeigen, was Technik alles kann. Aber wir sehen an den Studierendenzahlen, dass wir trotzdem noch viel Luft nach oben haben. Wir haben hier die Kinderuni und immer wieder Schulgruppen zu Besuch und wenn wir fragen, wer interessiert sich für Maschinenbau, dann gibt es die Kinder, deren Eltern was in die Richtung machen. Die können sich was darunter vorstellen. Aber den anderen fällt es oft schwer. Ich hoffe, durch die Interaktion mit uns fällt es ihnen danach ein bisschen leichter.
Was die klassischen Geschlechterbilder betrifft, habe ich oft das Gefühl, dass gerade bei Kinderspielzeug stärker zwischen vermeintlichen „Mädchen“- und „Bubensachen“ unterschieden wird als noch in meiner Kindheit. Das könnte auch ein hinderlicher Faktor sein.
Also haben Sie das Gefühl, dass Kinder wieder mehr in die klassischen Geschlechterrollen gedrängt werden?
Klug: Mich ärgert es, wenn ich Spielsachen sehe, die für Mädchen deklariert sind, bei denen man weniger zusammenbauen muss und Mädchen damit vermittelt wird, dass sie hier weniger könnten. Ich bin immer wieder erstaunt, mit welchen Zweifeln sich junge Frauen konfrontiert sehen, die sich für ein technisches Studium interessieren, obwohl es für sie objektiv gesehen keinen Grund dafür gibt.
Haben oder hatten Sie als Frau in der technischen Forschung den Eindruck, es schwerer zu haben?
Klug: Ich sah mich am Studienanfang mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Erstens bin ich nicht in eine HTL gegangen und hatte das Gefühl, dadurch meinen Studienkollegen unterlegen zu sein. Zweitens habe ich gleich bemerkt, dass man überall direkt auffällt und daher öfter drankommt und auch ein Zuspätkommen nie unauffällig sein kann.
Im Laufe der Zeit habe ich aber bemerkt, dass diese Dinge auch Vorteile haben können. Durch die Ausbildung im Realgymnasium musste ich zwar bezüglich Konstruktion und handwerklicher Fähigkeiten vieles aufholen, war aber besser in Mathematik, was mir wiederum in Mechanik sehr geholfen hat. Insofern hat mir der Studienerfolg hier gezeigt, dass meine Ängste nicht begründet waren. Die praktischen Erfahrungen konnte ich aufholen, indem ich neben dem Studium als Werkstudentin gearbeitet habe. So konnte ich das Theoretische mit dem Praktischen verbinden.
Als Frau aufzufallen, hat insofern geholfen, weil ich mich mit meinen Studienkolleginnen schnell angefreundet habe – wir saßen alle im gleichen Boot und sie gehören heute noch zu meinen besten Freundinnen. Es ist auch heute noch so, dass ich in den meisten Meetings als Frau auffalle und auch oft unterschätzt werde – aber man lernt das im Laufe der Zeit für sich zu nutzen, um etwas zu bewegen.
Eine Studie hat sich mit den Netzwerken im Forschungsbereich Physik befasst. Demnach fördern männliche Wissenschafter eher männlichen Nachwuchs, weil sie schon früher in den gleichen Netzwerken stecken und gegenseitig ihre Sichtbarkeit erhöhen. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Klug: Ich war von Anfang an immer Teil verschiedener Netzwerke. Ob in der Studienvertretung, dem Mentoring Programm bei der Firma, in der ich gearbeitet habe oder heute im Leading Women Program der TU Graz. Ich würde sagen, dass Netzwerken allgemein zu meinen Stärken gehört. Ich war froh, an diesen verschiedenen Initiativen teilnehmen zu können, die diesen Effekten entgegenwirken möchten.
Ich hatte immer ein gutes Netzwerk an unterschiedlichen Personen und das Glück, immer wieder auf Personen zu treffen, die an mich geglaubt und sich für mich eingesetzt haben
Was die Studie aber auf jeden Fall aufzeigt und mir auch schon öfter aufgefallen ist: Wenn es etwa um eine Anstellung oder die Förderung einer Person geht, tendieren Menschen oft dazu, sich für jemanden zu entscheiden, mit dem man sich selbst mehr identifizieren kann. Das ist einfach eine menschliche Eigenschaft. Es ist wichtig, dies immer wieder zu reflektieren. An der TU Graz haben wir die Stabsstelle für Gleichstellung, Jugend und Vereinbarkeit, die einen ebenfalls daran erinnert, zu überdenken, nach welchen Kriterien eine Entscheidung getroffen worden ist. War es, weil ich mich mit dieser Person mehr identifiziere? Weil sie mir ähnlicher ist als andere? Oder weil sie wirklich die Qualifizierteste ist?
Es braucht auch einiges an Selbstbewusstsein, sich als junge Forscherin bei einer Konferenz auf einen Tisch mit sonst nur Männern zu gesellen oder am Abend noch auf ein Getränk mitzugehen, vor allem wenn man niemanden kennt. Wenn man nicht die einzige Frau ist, findet man dafür andererseits mit den anderen Kolleginnen schnell eine Verbindung.
Die Technischen Universitäten wie die TU Graz sind bestrebt, den Anteil weiblicher Studierender und weiblicher Forschender zu erhöhen, idealerweise auf 50 Prozent. Wie sehen Sie die Entwicklung und wo könnte man hier ansetzen, um das zu beschleunigen?
Klug: Als ich an der Fakultät für Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften zu studieren begonnen habe, gab es hier keine einzige Professorin. Mittlerweile sind wir in der Kurie sieben, was mich sehr freut. Von 50 Prozent sind wir aber noch weit weg. Dennoch ist es schön, dass man nicht alleine ist. Das gibt einem eine gewisse Sicherheit und ist auch gut für die Dynamik. Auf Seite der Studierenden schreckt mich, dass im Bereich Maschinenbau kein großer Aufwärtstrend zu erkennen ist, obwohl wir doch einige gute Initiativen haben: Es gibt das wirklich coole MINKT-Labor, es gibt die Kinder-Uni, es kommen viele Schulgruppen vorbei. Vielleicht dauert es aber einfach auch noch, bis wir die Mädchen, die hier teilnehmen als Studienanfängerinnen sehen. Mich hat heuer begeistert, dass wir drei wirklich tolle Schülerinnen als Ferialpraktikantinnen betreuen durften, die mit ihrer Arbeit so brilliert haben, dass sie so manchen Bachelor Studierenden in den Schatten gestellt haben.
Wer oder was hat Ihnen beim Studium und der Karriere in der Forschung am meisten geholfen?
Klug: Ich hatte immer ein gutes Netzwerk an unterschiedlichen Personen und das Glück, immer wieder auf Personen zu treffen, die an mich geglaubt und sich für mich eingesetzt haben. Das Instrument der Frauenlaufbahnstellen hat mir in meiner wissenschaftlichen Karriere sehr geholfen. Nachdem es wenig Laufbahnstellen und wenig Frauen an der TU Graz gibt, die so einen Weg einschlagen wollen, war es früher eine Seltenheit, dass das Timing hier zusammengestimmt hat.
So auch bei uns am Institut – es hätte ohne die Frauenlaufbahnstellen keine Stelle für mich gegeben und ich hätte die TU Graz sicher verlassen. Am Anfang habe ich damit gehadert, ob ich das wirklich verdient habe oder die Stelle nur bekommen habe, weil ich eine Frau bin. Erst als ich dann die anderen Frauenlaufbahnstelleninhaberinnen kennen gelernt habe, habe ich es wirklich verstanden. Hier ist keine dabei, die schlechter ist als die anderen Laufbahnstelleninhaber und diese Stelle nicht verdient hätte – ganz im Gegenteil, die Qualifizierungsvereinbarungen werden oft um ein Vielfaches übertroffen. Durch das Instrument konnten einmalige Gelegenheiten genutzt werden, um hochqualifizierte und talentierte Frauen an der TU Graz zu halten. Ich bin stolz, eine von ihnen zu sein.
Man vergisst sehr oft, dass man durch Technik ganz viel schaffen kann
Wenn Sie junge Menschen, insbesondere junge Frauen, für ein technisches Studium oder eine wissenschaftliche Karriere im Technikbereich begeistern möchten, was würden Sie ihnen ans Herz legen?
Klug: Mein größter Antreiber ist, dass ich etwas zum Besseren verändern möchte. Am Ende meiner Karriere möchte ich sagen können, ich habe nicht nur gearbeitet, um Geld zu verdienen, sondern ich habe etwas erreicht, das nachhaltigen Bestand hat und unsere Gesellschaft verbessert. Man vergisst sehr oft, dass man durch Technik ganz viel schaffen kann. Wenn man Dinge effizienter und ressourcenschonender macht, wenn man sie sicherer und fairer macht und das in technischen Innovationen umsetzt, hat man sofort eine riesige Reichweite und kann einen weltweiten Impact erreichen. Mein Ziel ist es, dazu beizutragen, dass Kinder auf der ganzen Welt sicherer zur Schule kommen, dass Männer und Frauen in Fahrzeugen gleichermaßen geschützt sind und dass das Verletzungsrisiko bei einem Unfall für alle reduziert wird.
Ich bin froh, etwas Technisches studiert zu haben, um diese Möglichkeiten zu haben und international vernetzt kreativ arbeiten zu können. Ich lehre sehr gerne, weil dadurch der Impact weiter hochskaliert werden kann und ich mich immer freue zu sehen, was die Studierenden von gestern heute bewegen.
Dieses Interview ist Teil des TU Graz Dossiers „Frauen forschen“. Weitere Dossiers finden Sie unter www.tugraz.at/go/dossiers.