Vom Fahrzeug bis zur Solar-Anlage: So gut wie alle Systeme werden immer komplexer, entwickeln sich rasch weiter und müssen vor ihrer Anwendung umfassend getestet werden. Entsprechend leistungsfähige und flexible Prüfstände braucht es – diese zu entwickeln ist allerdings eine immer größere Herausforderung. „Geeignete Testmöglichkeiten zu schaffen ist eine äußerst relevante Zukunftsproblematik der Industrie. Und hier ist die Regelungstechnik ganz stark gefragt“, so Martin Horn, Leiter des Instituts für Regelungs- und Automatisierungstechnik der TU Graz.
Mit seinem vierköpfigen Team und in Kooperation mit dem Grazer Prüftechnikspezialisten Kristl Seibt und dem Villacher Ausrüster für die Halbleiterindustrie Lam Research befasst sich Horn in den kommenden sieben Jahren intensiv mit Regelungskonzepten für Prüfstandssysteme – im neuen „Christian Doppler Labor für modellbasierte Regelung komplexer Prüfstandssysteme“, für das am 23. Oktober der Startschuss an der TU Graz gefallen ist. „Beide Firmen sind für uns attraktive Kooperationspartner, weil sie unerwünschten Phänomenen ihrer Produkte nachhaltig auf den Grund gehen und nicht nur von konkreten Kundenwünschen getrieben sind. Wir finden dort zahlreiche Ansatzpunkte für regelungstechnische Grundlagenforschung.“, betont Martin Horn.
BMWFW fördert Innovation
„Durch die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft werden im neuen Labor wissenschaftliche Grundlagen für neuartige, zuverlässige Prüfstände geschaffen. Davon profitieren alle Partner und letztlich auch der Wirtschafts- und Innovationsstandort Österreich“, sagt Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Harald Mahrer.
Regelungsgesetze für Automobilprüfstände
Ein Fokus des CD-Labors liegt auf der Regelung komplexer Prüfstände für die Automobilindustrie, etwa Fahrdynamikprüfstände oder Hochvolt-Batteriesimulatoren, wie sie die Grazer Firma Kristl, Seibt & Co GmbH kundenspezifisch entwickelt. Derartig umfangreiche Systeme bringen immer wieder unerwünschte Phänomene wie Schwingungen oder Druckschwankungen mit sich, die auf lange Sicht nach einer Regelungsoptimierung verlangen. Dabei behilft sich die Regelungstechnik eines bemerkenswerten Tricks: „Nicht alle Größen, die man für die Regelung braucht, lassen sich einfach messen. Technisch oder monetär ist es oft nicht möglich, überall wo gewünscht Sensoren anzubringen. Wir entwickeln dann virtuelle Sensoren, sogenannte ‚Beobachter‘, die basierend auf mathematischen Modellen nicht messbare Größen schätzen. Eine eigene Kunst der Regelungstechnik“, sagt Horn.
Siliziumscheiben als Basis der Halbleitertechnik
Der zweite Schwerpunkt des CD-Labors befasst sich mit tellergroßen Scheiben aus reinem Siliziumkristall, sogenannten Wafern, die die Basis der gesamten Halbleitertechnik bilden. Bis aus diesen dünnen Siliziumscheiben die Grundplatten für elektronische Bauteile werden, durchlaufen sie einen aufwändigen Herstellungs- und Reinigungsprozess, der zahlreiche regelungstechnische Aufgabenstellungen mit sich bringt. Abweichungen im Reinigungsverfahren können die Scheiben unbrauchbar machen, schon kleinste Staubpartikel zerstören die Struktur der Wafer. Sie werden daher in speziellen Anlagen zigmal mit verschiedensten Chemikalien und Temperaturen gereinigt. Lam Research AG, auch Partner des CD-Labors, produziert und entwickelt am Standort Villach solche hochkomplexen Siliziumwafer-Reinigungsanlagen für die Halbleiterindustrie. „Temperaturprofile, Wafer-Rotationsgeschwindigkeiten, Flüssigkeitsmengen und viele weitere Parameter des mehrstufigen Prozesses müssen daher exakt stimmen. Dafür braucht es beispielsweise neben den bereits erwähnten virtuellen Sensoren auch online-Algorithmen zur Bestimmung von Prozessparametern. Während der Prozess aktiv ist, werden ständig aktuelle, möglicherweise prozesskritische Parameter mit regelungstechnischen Methoden ermittelt“, so Martin Horn.
Regelungstechnik in a nutshell
Treten in einem System Probleme auf, beginnt der regelungstechnische Lösungsweg unabhängig von der Natur des Systems mit einer mathematischen Beschreibung des Systemverhaltens. Egal, ob es sich um eine chemische, mechanische oder elektrotechnische Anwendung handelt: Das komplexe Gesamtsystem wird auf ein möglichst einfaches Modell heruntergebrochen. Das ermöglicht es den Regelungstechnikerinnen und Regelungstechnikern, Optimierungsmöglichkeiten des Systemverhaltens zu identifizieren. „Ein geänderter Drehzahlverlauf eines Motors in einer Anlage oder eine bestimmte Luftfeuchtigkeit in einer Kammer kann zur gewünschten Verbesserung des Gesamtsystems führen. An welchen ‚Schrauben‘ gedreht werden muss, um ein gewünschtes Verhalten des Gesamtsystems zu erreichen, finden wir mit geeigneten regelungstechnischen Methoden heraus.“, erklärt Martin Horn.
Aktive (und bereits eröffnete) CD-Labors der TU Graz:
- CD-Labor für modellbasierte Regelung komplexer Prüfstandssysteme
- CD-Labor für bürstenlose Antriebe für Pumpen- und Lüfteranwendungen
- CD-Labor für Faserquellung und deren Einfluss auf die Papiereigenschaften
- CD-Labor für Semantische 3D Computer Vision
- CD-Labor für Lithium-Batterien – Alterungseffekte, Technologie und neue Materialien