News+Stories: Ihr entwickelt und baut im Aerospace Team Graz (ASTG) jährlich eine Rakete, um bei internationalen Raketenwettbewerben wie der European Rocketry Challenge (EuRoC) anzutreten. Was ist dabei der Benefit für Studierende?
Georg Witzlinger: Als Studierendenverein bieten wir eine Plattform, auf der sich Studierende weiterbilden können. Wir setzen im Team Projekte um. Wir tauchen in das Thema ein, weil es so faszinierend und cool ist und lernen gleichzeitig dabei – von der technischen Seite angefangen über Teambuilding, Soft Skills, Teamleitung bis dahin, ein Projekt vom Beginn bis zum Ende durchzuführen. Wir wenden das theoretische Wissen von der Universität praktisch an.
Seit wann begeistert euch das Thema Weltraum?
Georg Witzlinger: In der Kindheit habe ich gern in die Sterne geschaut. Ich bekam zwar nie ein Teleskop, aber es war mit freiem Auge auch einiges zu sehen und ich war sehr fasziniert davon. Ich habe das aber mit der Zeit einfach vergessen und nicht als realistisch betrachtet, dass ich überhaupt etwas in die Richtung machen könnte. Die Idee, ein Astronaut zu werden, ist doch sehr weit weg. Dass es aber so viele Möglichkeiten gibt, im Bereich der Weltraumwissenschaften zu arbeiten, war für mich keine Realität. Als ich vom Team gehört habe, dachte ich mir: „Ja, perfekt, das ist meins, da muss ich sofort mitmachen.“.
Wolltet ihr schon immer etwas mit Weltraum studieren?
Dorothea Krasser: Ich studiere Physik im Bachelorstudium. Im Gymnasium hat mich Physik von Anfang an interessiert, aber vor allem ab der Oberstufe – und dann war das Studium eine gegebene Wahl. Mich hat der Weltraum eher von der Physik her interessiert.
Georg Witzlinger: Vor dem Maschinenbau-Studium habe ich die HTL in Steyr in der Abteilung für Mechantronik und Präzisionstechnik gemacht. Die Technik hat mich immer schon fasziniert, ich habe als Kind gerne mit Technik-Lego gespielt und alles, was mit Zahnrädern zu tun hat, gebaut und entwickelt. Es war irgendwie klar, dass ich in diese Richtung gehe, wenn ich ein Studium anfange. An das Thema Weltraum habe ich dabei nicht gedacht.
Wie seid ihr zum Aerospace Team Graz gekommen?
Dorothea Krasser: Ich wollte schon immer in einem Studierendenteam mitarbeiten und im dritten Semester der Corona-Pandemie habe ich mich entschlossen, dass ich jetzt im ASTG starte.
Georg Witzlinger: Ich bin an die TU Graz gekommen, weil Graz sehr klein ist im Verhältnis zu Wien – das wäre die Alternative gewesen – und ich komme aus einer Landwirtschaft irgendwo im Nirgendwo. Da wollte ich nicht gleich in die größte Stadt Österreichs ziehen. Bei den Welcome Days, den Einführungstagen an der TU Graz, haben alle Studierendenteams der TU Graz präsentiert, was sie machen. Vor allem das TU Graz Racing Team war schon sehr bekannt, aber Rennautos waren nicht so ganz mein Ding. Das Aerospace Team gab es da noch nicht. Als ich dann in einer Vorlesung von einem neuen Team gehört habe, das Raketen bauen will, war das das perfekte Thema für mich, Ende 2019 hatten wir den Verein erfolgreich gegründet.
In Studierendenteams wenden Studierende der TU Graz ihr Fachwissen in der Praxis an – auf freiwilliger Basis. Sie entwickeln Rennboliden, starten mit einem Betonkanu bei Regatten oder setzen innovative Ideen in Start-ups um. Auf der TU Graz-Webseite gibt es einen Überblick über alle Studierendenteams der TU Graz.
Wie viele Leute aus welchen Studienrichtungen arbeiten im Team zusammen?
Dorothea Krasser: Im Moment sind wir rund 75 Mitglieder aus 18 Studienrichtungen von TU Graz, Universität Graz und den zwei Fachhochschulen aus Graz. Darunter sind viele aus den Studien Physik, Maschinenbau, Elektrotechnik, Information an Computer Engineering, Informatik und Software-Entwicklung.
Georg Witzlinger: Im Grund ist es aber gar nicht so entscheidend, was jemand studiert, wenn du fasziniert vom Thema Raketenbau bist. Wir sind offen für alle Studienrichtungen.
Einen Überblick über alle Studienrichtungen der TU Graz findest du auf der TU Graz Webseite.
Was war bisher dein spannendster Moment im Team?
Georg Witzlinger: Da gibt es sehr viele, aber der wirklich entscheidende, spannendste Moment war bei unserem ersten Wettbewerbsantritt bei der European Rocketry Challenge 2021 mit der Rakete AVES in Portugal. Ich war zu der Zeit der Leiter des Projektes und ja, die zehn Sekunden vor dem Start der Rakete waren sehr nervenaufreibend.
Was war es? Die Frage, ob sie überhaupt starten wird?
Georg Witzlinger: Genau. Funktioniert alles? Schon fünf Tage zuvor war die Anspannung immens. Wir haben noch auf einige Sachen hingearbeitet, einige Probleme gefixt, kurz vor dem Start, die Starterlaubnis war unsicher. Dass wir dann starten durften am letzten Tag, das war schon sehr spannend.
Dorothea Krasser: Da muss ich Georg zustimmen. Ich war auch mit und es ist einfach das erste Mal, dass man die Rakete gestartet hat, es ist alles so neu. Man weiß nicht, was passiert, wie läuft das jetzt ab, ist alles okay?
Witzlinger: Der Launch von AVES II war auch sehr spannend, aber 2021 in Portugal war das erste Mal.
Wie erfolgreich wart ihr bisher bei Studierendenwettbewerben?
Georg Witzlinger: Bisher haben wir zweimal an einem Studierendenwettbewerb teilgenommen. Die European Rocketry Challenge (EuRoC) gibt es seit 2020. Sie findet jedes Jahr im Oktober in Portugal statt. Der Start mit AVES 2021 war unser erster Versuch überhaupt, eine Rakete für einen Wettbewerb zu machen. AVES ist Lateinisch und heißt Vogel. Wir haben die Rakete innerhalb von vier Monaten entwickelt und haben damit den Technical Award bekommen. Der steht für die beste technische Dokumentation des Projektes. Jedes Team muss vor dem Wettbewerb einen Bericht abliefern und darin alle technischen Systeme beschreiben und erklären, wie das Team auf die Lösung gekommen ist. Und da waren wir gleich die besten.
Das war motivierend, dann kam gleich der nächste Antritt?
Dorothea Krasser: Wir haben uns direkt nach dem ersten Antritt entschlossen, es im nächsten Jahr wieder zu versuchen. Dafür haben wir AVES II entwickelt. Alles, was wir von AVES gelernt haben, haben wir in AVES II umgesetzt. Bei der EuRoC 2022 konnten wir zwei Awards gewinnen. Das war einmal der Team Award für das beste Auftreten im Team, die beste Kommunikation mit den Wettbewerbsoffiziellen, die beste Wettbewerbsorganisation, den besten Sportsgeist im Team. Für den anderen Preis, den New Space Award, muss man einen Sales Pitch abliefern. Du bist quasi ein fiktiver Satellitenlaunch-Provider und musst verkaufen, dass du der Beste bist. Wir haben uns am besten verkauft.
Zu wievielt seid ihr 2022 angereist?
Dorothea Krasser: Bei der EuRoC 2022 waren wir 30 Leute.
Braucht es so viele Teammitglieder vor Ort?
Georg Witzlinger: Den Großteil definitiv. Der Vorteil ist, wenn man mehr Leute hat, können die Arbeiten im Team besser aufgeteilt werden. Acht Tage dauert der EuRoC-Wettbewerb. Grundsätzlich ist die ganze Woche etwas zu tun. Zu Beginn stellt das Team die Rakete aus, präsentiert sie allen anderen Teams und Interessierten. Das ist wie auf einer Messe. Jedes Team hat seinen eigenen Stand. An den weiteren Tagen werden die Raketen nach der Reihe gestartet. Vor dem Start gibt es noch Sicherheitsüberprüfungen bei denen die Veranstalter schauen, ob alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden.
Ich stelle mir das Testen der Rakete vor dem Wettbewerb nicht so einfach vor. Wie und wo testet ihr?
Dorothea Krasser: Einen Testflug haben wir bis jetzt noch nie geschafft, weil es in Österreich sehr schwierig ist, dafür eine Versicherung zu bekommen. Mit 33 Kilogramm ist die Rakete zu schwer für Modellbauraketenversicherungen und ohne Versicherung kann man schwer starten. Wir testen nur in Teilen. Gerade haben wir zum Beispiel an der TU Graz mit Vakuumkammertests die Funktion des Flugcomputers getestet. Dafür haben wir unsere eigene Vakuumkammer gebaut. Den Antrieb testen wir bei einem Sponsor, einer Pyrotechnikfirma. Die haben das entsprechende Gelände dafür.
Georg Witzlinger: Wir testen alle Subsysteme einzeln, teilweise sogar die einzelnen Bauteile, dann gehen wir einen weiteren Schritt in die übergeordneten Baugruppen und so immer weiter nach oben. Der letzte Test, der optimale Test, wäre natürlich ein Flugtest. Der war bisher leider nicht möglich.
Das heißt der erste Flug ist tatsächlich beim Wettbewerb?
Georg Witzlinger: War bisher so, ja.
Mit welcher Rakete startet ihr bei der nächsten Challenge, mit AVES III?
Georg Witzlinger: Nein, wir haben dieses Jahr auf ein neues Triebwerk, ein Hybridtriebwerk – eine Mischung aus Feststoff- und Flüssigantrieb – umgestellt und wollten deshalb auch einen neuen Namen. Es wird eine Vogelart, die fliegt und im Wasser taucht.
Dorothea Krasser: Der neue Name ist Halcyon. Das ist wieder Lateinisch und steht für den Eistaucher. Halcyon wird wie AVES II einen Durchmesser von 15 Zentimetern haben. Die Länge kann noch variieren, wir sind in der Entwicklung. AVES II war dreieinhalb Meter lang. Wir starten mit Halcyon bei der EuRoC im Oktober 2023.
Was ist euer Ziel für die European Rocketry Challenge 2023?
Georg Witzlinger: Wie bei den letzten beiden Wettbewerben: so gut wie möglich abzuliefern. Wir wollen die technische Dokumentation so perfekt wie möglich machen. Nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch für das Team intern, damit alle zukünftig aus dem Wissen, das wir jetzt haben, einen Vorteil ziehen können. Dazu kommt ein weiteres großes Ziel: Die beiden letzten Raketen sind beim Wettbewerb gut gestartet, aber aus unterschiedlichen Gründen bei der Landung abgestürzt. Wir haben daraus gelernt – und heuer ist es definitiv unser Ziel, einen erfolgreichen Start plus Landung zu schaffen.
Wieviel Zeit investiert ihr für die Arbeit im Studierendenteam?
Georg Witzlinger: Zu viel (lacht). Zu Spitzenzeiten investiere ich als Teamleiter bis zu 80 Stunden pro Woche, aber ansonsten im Schnitt vielleicht 20 oder 30 Stunden. Wir haben aber die Philosophie im Team, dass es trotz Einsatz für das Team studierbar bleiben muss. Das Studium wird dadurch natürlich verlängert.
Warum tust du es trotzdem?
Georg Witzlinger: Weil es spannend ist. Weil ich im Bereich Raketentechnik Erfahrungen machen kann. Weil ich Leute kennenlerne, die dieselbe Faszination dafür haben. Ich kann mich als Führungskraft ausprobieren, zusätzlich Kontakte zu Unternehmen knüpfen.
Dorothea Krasser: Ich lerne im Team so viel dazu, was ich im Studium gar nicht mitbekomme. Und die Erfahrung ist einfach unbezahlbar.
Was sind eure Zukunftspläne? Wird es etwas in Richtung Space Science?
Dorothea Krasser: Ich werde bald mit dem Bachelor fertig und dann möchte ich Space Science and Earth from Space studieren, weil es mehr Weltraum-Bezug hat als Physik. Ich denke, dass ich auch beruflich in der Richtung bleiben werde.
Georg Witzlinger: Ich stehe auch knapp vor dem Bachelor-Abschluss. Danach geht es für mich weiter mit dem Masterstudium Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau an der TU Graz. Später möchte ich in Richtung Weltraumforschung gehen. Da gibt es in Österreich und generell in Europa sehr viele Unternehmen, die Möglichkeiten bieten. Die Luft- und Raumfahrt ist ein aufsteigender Wirtschaftszweig, in dem es in Zukunft sehr viele Jobs geben wird. Ich mache mir keine Sorgen, dass das Richtige für mich dabei sein wird.