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Zum Bewegen bewegen

19.12.2016 | Planet research | FoE Human & Biotechnology

Von Ulrike Keller

Ein Hilfsroboter könnte bald die Behandlung von Bewegungsstörungen bei Kleinkindern früher als bisher möglich unterstützen und so den Therapieerfolg erhöhen.

Einen Fuß vor den anderen setzen – während die meisten Kleinkinder zwischen zwölf und sechzehn Monaten ohne fremde Hilfe „in Gang kommen“, erlernen viele Kinder mit neurologischen Defiziten das Gehen meist deutlich später oder gar nicht. In Österreich ist davon etwa jedes 500. Kleinkind betroffen. Wie bei den meisten Krankheiten gilt auch hier, dass die Therapie umso erfolgreicher ist, je eher damit gestartet werden kann. Für Kinder mit neurologischen Bewegungsstörungen bedeutet dies, dass nicht nur ihre motorischen Fähigkeiten nachhaltig verbessert, sondern auch ihre Lebensqualität gesteigert und zukünftige Behandlungsmaßnahmen und die Zahl der Operationen reduziert werden können.

Bewegungsroboter hilft auf die Sprünge

Im großen Orchester der Behandlungsmaßnahmen, die Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Neuropsychologie umfassen, könnte ein Bewegungsroboter bald ein wichtiges Begleitinstrument auch für ganz junge Patientinnen und Patienten werden: In Zusammenarbeit mit der Klinik Judendorf-Straßengel und der Medizinischen Universität Graz haben Forschende vom Institut für Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medizinprodukte der TU Graz ein sogenanntes Lokomotionsgerät entwickelt, das für die Therapie von bewegungseingeschränkten Kindern bereits im Altersbereich von ein bis vier Jahren ab einer Körpergröße von 65 Zentimetern eingesetzt werden kann.

Kind mit Bewegungsstörungen trainiert mit dem Lokomat.

Das Lokomotionsgerät unterstützt in der Therapie von Bewegungsstörungen bei Kleinkindern. Fotomontage

„Der Bewegungsroboter führt gemeinsam mit den jungen Patientinnen und Patienten Schritte in gleichbleibender Qualität aus und gibt gezielt Bewegungsreize vor. Gleichzeitig können die jungen Patientinnen und Patienten auch aktiv am Bewegungszyklus teilnehmen“, führt Jörg Schröttner aus, der das Projekt am Institut für Health Care Engineering der TU Graz leitet. Da die Therapeutinnen und Therapeuten die Kinder hier nicht selbst führen müssen und daher körperlich nicht ermüden, können die Therapieeinheiten auch länger als bisher festgesetzt werden. Dies kann schneller zu Behandlungserfolgen führen.

Kleinkindgerechte Entwicklung

Initiator des Forschungsprojekts an der TU Graz ist Neurologe und Neuropädiater Peter Grieshofer. Er leitet die Klinik Judendorf-Straßengel in der Steiermark, wo jährlich etwa 250 Kinder und Jugendliche mit vorwiegend neurologischen, neuroorthopädischen und orthopädischen Erkrankungen behandelt werden. Therapeutisch erfolgreich zeigte sich bereits ein von ihm mitentwickelter Lokomat für Kinder, die größer als 100 Zentimeter sind. Um auch kleineren Patientinnen und Patienten eine automatisierte Lokomotionstherapie zu ermöglichen und so den Therapieerfolg erhöhen zu können, wandte er sich an das Institut für Health Care Engineering der TU Graz. Mit Unterstützung von Expertinnen und Experten an der Medizinischen Universität Graz, an der spezielle Ganglabor-Untersuchungen durchgeführt wurden, entwickelten die Forschenden der TU Graz sowohl Hard- als auch Software für den Bewegungsroboter inklusive Planung und Umsetzung eines kindgerechten Sicherheitskonzepts und entsprechender Risikoanalysen. „Die Herausforderung war, das Gerät auf die Bedürfnisse dieser Altersgruppe genau anzupassen – etwa galt es, ein möglichst kleines und leichtes Antriebskonzept zu entwickeln, das die Kraft schonend vom bewegten Stabilisierungsmechanismus auf die Beine des Kindes überträgt“, so Jörg Schröttner. Mit der zugehörigen Software mit übersichtlicher grafischer Oberfläche können die Bewegungen gezielt gesteuert werden. Zusätzlich bietet die Software ein integriertes System zur Darstellung und Verwaltung der gesammelten Patienten- und Patientinnendaten.

Das Entwicklungsteam des Lokomotionsgeräts (v. l. n. r.): Jörg Schröttner, Peter Grieshofer, Andreas Tilp, Heinz Heidinger, Matthias Kalkgruber, Sigrid Ranner.

Klinische Studie als nächster Meilenstein

Testläufe wurden bereits unter fachkundiger Beaufsichtigung der Physiotherapeutin Sigrid Ranner, die an der Entwicklung beteiligt ist, mit einem 16 Monate alten Kind in Anwesenheit der Mutter erfolgreich absolviert. „Im Testlauf zeigte sich, dass der Prototyp nicht nur unsere technischen Erwartungen erfüllt, sondern auch, dass sich das Kind wohl fühlt und die Therapieeinheiten gerne mitmacht“, freut sich Jörg Schröttner.

Im nächsten Schritt in Richtung serienreifes Medizinprodukt planen Jörg Schröttner und sein Team vom Institut für Health Care Engineering der TU Graz eine klinische Studie an 10 bis 15 Kindern, die sie unter der Leitung von Peter Grieshofer an der Klinik Judendorf-Straßengel durchführen wollen. „Die Chancen stehen sehr gut, dass die jungen Patientinnen und Patienten in Zukunft besser gehen lernen können und weniger Handicaps haben als ohne diese technologische Möglichkeit“, erklärt Peter Grieshofer. Vor allem Kindern mit der Diagnose einer infantilen Zerebralparese könnte so bald eine zusätzliche, vielversprechende Therapiemöglichkeit geboten werden. Denkbar ist die Therapie jedoch auch im Falle eines kleinkindlichen Schlaganfalls, einer Myelomeningocele und nach Schädel-Hirn-Traumata.

Kontakt

Jörg SCHRÖTTNER
Assoc.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medizinprodukte
Stremayrgasse 16
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 7395
schroettnernoSpam@tugraz.at
http://www.hce.TUGraz.at