Zum Hauptinhalt springen
TU Graz/ TU Graz/ Services/ News+Stories/

Vertrauen wir der unsichtbaren Assistenz?

28.12.2016 | Planet research | FoE Mobility & Production

Von Birgit Baustädter

Im Projekt MueGen Driving untersuchten Forschende vom TU Graz-Institut für Fahrzeugtechnik geschlechter- und altersspezifische Unterschiede im Vertrauen, das Fahrerassistenzsystemen genießen.

Für das Projekt MueGen Driving entwickelte die TU Graz eigens ein Fahrsimulator.

„Es ist ein bisschen pauschal, aber wir wissen, dass junge Männer öfter an Unfällen beteiligt sind als ältere Frauen“, sagt Arno Eichberger. Was hier tatsächlich verallgemeinernd klingt, haben Eichberger und Kollegin Cornelia Lex vom TU Graz-Institut für Fahrzeugtechnik aus tatsächlichen Unfallstatistiken herausgelesen und auf dieser Basis das Projekt MueGen Driving gestartet. Sowohl Arno Eichberger als auch Cornelia Lex beschäftigen sich in ihrer Arbeit eingehend mit Fahrerassistenzsystemen, die der Person hinterm Steuer eines Fahrzeugs entweder lästige oder monotone Aufgaben abnehmen oder in Notsituationen eingreifen können und Schlimmeres verhindern. „Wenn die Unfallursache nun also von Alter und Geschlecht abhängt, dann muss man auch die Assistenzsysteme in Fahrzeugen anders reagieren lassen. Nämlich so, dass sich der oder die Fahrende maximal wohlfühlt und deren Fahrverhalten akzeptiert“, erklärt Eichberger seinen ursprünglichen Forschungsansatz.

 

Mensch-Maschine-Interaktion

Auch wenn ein Fahrerassistenzsystem den Fahrenden beziehungsweise die Fahrende auf der Straße unterstützt, ist es noch immer der Mensch selbst, der das Fahrzeug steuert. Cornelia Lex ergänzt: „Es tritt das gesamte Spektrum menschlichen Verhaltens auf. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Fahrerassistenzsysteme den Menschen nicht überfordern und persönliche Verhaltensweisen berücksichtigt werden.“ Damit diese Wechselwirkung zwischen Mensch und Fahrerassistenzsystem optimal funktioniert und das System seine Aufgaben bestmöglich erfüllen kann, muss der Mensch hinterm Steuer Vertrauen in das System aufbauen. Als Beispiel: Mit dem System „Adaptive Abstandsregelung“ wählt das Auto automatisch das passende Tempo, um Abstand zum vorderen Fahrzeug zu halten. Ob dieser Abstand vom Fahrenden beziehungsweise von der Fahrenden aber als groß genug empfunden wird und ob das Fahrzeug zum richtigen Zeitpunkt bremst, ist subjektive Wahrnehmung. Und die wirkt sich wieder stark auf das Vertrauen in das System aus. 

Im Projekt MueGen Driving wurde einerseits ein Notbremsassistent und die adaptive Abstandsregelung untersucht.

MueGen Driving

Von diesem Ausgangspunkt aus wurde im von der Ausschreibungsschiene FEMtech der FFG unterstützten Projekt MueGen Driving untersucht, wie die unterschiedlichen Fahrzeuglenkerinnen und -lenker die Assistenzsysteme unterschiedlich nutzen und ob, wie sehr und wann sie ihnen vertrauen. Herangezogen wurden dafür eben die bereits erwähnten Parameter Alter, Geschlecht und Fahraktivität. „Natürlich hätten wir noch mehr Parameter miteinbeziehen können. Aber dann hätten wir eine sehr große Masse an Versuchspersonen gebraucht, um da etwas herauslesen zu können“, erklärt Eichberger. Unterstützt wurde das Projekt von Anfang an maßgeblich von Human-Factors-Expertin Ioana Koglbauer vom Institut für Mechanik, einer Psychologin, die sich auf die Mensch-Maschine-Interaktion spezialisiert hat. Für sie ist es in der Forschung essenziell geworden, vor allem Usability-Tests mit repräsentativen Nutzer/innengruppen durchzuführen: „Wissen über die wahrgenommenen Vor- und Nachteile bei der Anwendung von Technologien von allen relevanten Kund/innengruppen ist essenziell.“

„Wissen über die wahrgenommenen Vor- und Nachteile bei der Anwendung von Technologien von allen relevanten Kund/innengruppen ist essenziell.“

 

Untersucht wurde anhand zweier Assistenzsysteme: dem sicherheitsrelevanten automatisierten Notbremsassistenten und der komfortbildenden adaptiven Abstandsregelung. „Wir wollten bewusst mit einfachen Systemen beginnen, da es die schon serienmäßig in Fahrzeugen gibt“, sagt Eichberger. Methodisch wurde anfänglich mit einer Beobachtung der Personen im realen Umfeld gearbeitet. Proband/innen wurden mit einem Serienfahrzeug, das die Systeme bereits anbietet – einem adaptierten Audi A6 – direkt auf die Straße geschickt. „Natürlich muss man so etwas systematisch machen. Es hat keinen Vergleichswert und keine Aussagekraft, Personen einfach herumfahren zu lassen“, sagt Eichberger. „Wir haben auf andere Versuche mit den Assistenzsystemen zurückgegriffen und aus dem Lastenheft typische Fahrmanöver herausgenommen, die Proband/innen diese durchführen lassen und dann bewertet.“ Bewertet wurde einerseits anhand eines Fragebogens, den die Proband/innen beantworteten, andererseits wurden Objektivdaten aus verschiedensten Messungen zu Geschwindigkeit, Beschleunigung und Ähnlichem analysiert. „Wir haben zum Beispiel gefragt, wie die Testperson subjektiv den Abstand zum vorderen Fahrzeug einschätzt, und es dann mit den objektiven Daten verglichen“, erklärt Eichberger.

Die Untersuchungen fanden sowohl im Realverkehr als auch im Fahrsimulator statt.

 
 
 

Alle Sinne täuschen

 

Für den zweiten Abschnitt des Forschungsprojekts musste erst etwas Neues entwickelt werden: Will man den Versuch mit einem wesentlich größeren Testpersonenkreis durchführen, ist das im Realversuch zeitlich aufwendig, risikoreich und kostet viel. Also entwickelte man über eineinhalb Jahre einen eigenen Fahrsimulator an der TU Graz, um den Versuch mit einem größeren Proband/innenkreis unter den gleichen Bedingungen durchführen zu können. „An und für sich wäre so ein Simulator auch fix und fertig zu kaufen gewesen, aber das war uns zu fad und bietet dann auch nicht die Möglichkeiten, spezifisch für weitere Forschungsprojekte Erweiterungen einzubauen“, schmunzelt Eichberger. Für den Simulator wurde ein Mini Countryman umgebaut, in eine komplett abgedunkelte und schallisolierte Kiste integriert und mit Bildschirmen an allen Scheiben versehen, die nun die Simulation der Straße zeigen. 

Eine Skizze des an der TU Graz entwickelten Fahrsimulators.

Als Weltneuheit wurde gemeinsam mit der Fraunhofer AG die autostereoskope Visualisierung entwickelt, also eine 3D-Visualisierung, die ohne eigene Brille funktioniert. Eingesetzt konnte die Visualisierung bisher aber nur selten werden: „Wir haben leider sehr viel Simulatorkrankheit produziert, weil bei diesem ersten Versuch nicht alle Randbedingungen optimal waren. Aber ich möchte daran in Zukunft unbedingt noch weiterentwickeln. In der Studie haben wir dann mit 2D-Simulationen gearbeitet.“ Der perfekte Sound und die Fahrdynamik, die die Simulation noch viel realistischer machen, kamen von der AVL. „Wir müssen alle Sinne des Menschen täuschen, damit die Ergebnisse auf die Realität umlegbar sind“, erklärt Eichberger den Aufwand. Deshalb gibt es – wie bei realen Straßenverhältnissen – sogar vom Lenkrad Feedback, aufwendig entwickelt vom Kooperationspartner Steer-by-Wire Technology und ausgelegt für einen späteren Einsatz in einem Fahrzeugprototyp. „Uns war ja auch sehr wichtig herauszufinden, wie die Person hinterm Steuer auf veränderte Straßenbedingungen reagiert.“ 

Abbildung 4: Die Innenansicht des Testfahrzeugs.

Über Medienaufrufe und gezielte Öffentlichkeitsarbeit konnte eine Testpersonenkartei von 96 Personen angelegt werden, die an der Studie teilnahmen. „Die jüngste Testperson war 18 Jahre alt, die älteste so um die 86 Jahre“, erzählt Cornelia Lex. Diese Proband/ innen fuhren am Simulator dann die gleichen Manöver wie zuvor die Testpersonen im Realverkehr. Und brachten interessante Ergebnisse hervor. „Es gibt tatsächlich statistisch signifikante geschlechts- und altersspezifische Unterschiede, die man nun für die weitere Entwicklung von Assistenzsystemen verwenden kann“, freut sich Eichberger. Konkret lässt sich sagen: Das subjektive Vertrauen in die adaptive Abstandsregelung ist bei Männern und Frauen in der Altersklasse 20 bis 29 Jahren ähnlich hoch. Je älter die Proband/innen, desto weniger vertrauen Frauen und desto mehr vertrauen Männer. Erst in der Altersklasse 50 bis 59 Jahren haben die Frauen sehr großes Vertrauen in dieses Assistenzsystem, Männer aber weniger. In der Klasse 60 plus wiederrum ist das Vertrauen wieder ähnlich, aber höher als bei den jüngeren Studienteilnehmenden. Die Fahrgeschwindigkeit bei der adaptiven Abstandsregelung wird signifikant vom Straßenzustand und vom Alter der Fahrerin oder des Fahrers beeinflusst. So bevorzugen die Proband/innen der Altersgruppe 60 plus eine signifikant niedrigere Geschwindigkeit als jüngere Personen. Frauen aller Altersklassen vertrauen subjektiv dem automatisierten Notbremsassistenten weniger als Männer. Auch der Komfort des Assistenten wird von Frauen als geringer eingeschätzt als von Männern.

 
 
 

„Aus meiner Sicht liegt aber der größte Unterschied in der Bewertung des ‚Arbeitsplatzes‘ – wie die Informationen dargeboten werden und welche Bedienmöglichkeiten es gibt“, erzählt Eichberger. Männer spreche die Ausführung der getesteten Serienfahrzeuge mit ihren vielen Anzeigeelementen eher an als Frauen.

 

Zukunftsmusik

„Eine Möglichkeit wäre es nun, Assistenzsysteme anders reagieren zu lassen, wenn sie erkennen, dass ein Mann oder eine Frau, eine ältere oder jüngere Person am Steuer sitzt“, blickt Eichberger in die zukünftige Anwendung der Forschungsergebnisse. Und ergänzt: „Wenn das Vertrauen höher ist, dann steigt auch die Akzeptanz und die Zufriedenheit, und damit natürlich auch die Sicherheit.“ Derzeit arbeiten alle Beteiligten bereits an Nachfolgeprojekten, die sich noch intensiver mit der Thematik auseinandersetzen. 

Die Arbeitsgruppe Fahrerassistenz, Fahrdynamik und Fahrwerk am Institut für Fahrzeugtechnik hat den Simulator vollständig in Eigenregie entwickelt.

Dieses Forschungsgebiet ist an der TU Graz im Field of Expertise „Mobility & Production“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern.

Kontakt

Arno EICHBERGER
Assoc.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Fahrzeugtechnik
Inffeldgasse 11/II
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 35210
arno.eichbergernoSpam@tugraz.at