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Primzahlen: Die Atome der Mathematik

08.07.2021 | Planet research | FoE Information, Communication & Computing

Von Birgit Baustädter

Mit einem mathematischen „Scherz“ hat es Christian Elsholtz in den vergangenen Monaten ins akademische Gespräch geschafft. Der Mathematiker erzählt über seinen Humor, seine Arbeit und die Liebe zu Primzahlen.

Christian Elsholtz´ Leidenschaft sind die Primzahlen. © Lunghammer – TU Graz

Unter Christian Elsholtz‘ blonden Locken sind die Zahlen zu Hause. Hauptsächlich die Primzahlen. „Die 17 ist meine liebste Primzahl“, erzählt er mit einem hintergründigen Schmunzeln. Die Erklärung verliert sich im Wind, der an diesem Tag im Park hinter der alten Technik weht. Aber eines bleibt hängen wie die Blätter an den hölzernen Bänken: Dieser Mann liebt Zahlen.

„Primzahlen sind wie Atome“, erklärt er. „Alle anderen Zahlen bestehen aus ihnen, sie selbst können aber nicht mehr geteilt werden.“ Vor allem interessieren den Mathematiker die Lücken zwischen Primzahlen. Wie groß können diese Lücken sein? Gibt es eine Regelmäßigkeit? „Mit diesen Lücken können wir noch sehr schwer umgehen. Es gelang vor wenigen Jahren zwar ein großer Durchbruch, aber wir verstehen sie noch immer nicht wirklich.“

Ich habe mir eine Welt vorgestellt, in der der Satz von Euklid nicht stimmt. Eine Welt, in der es also nur endlich viele Primzahlen gibt. Das würde viele mathematische Resultate kaputt machen, unter anderem auch diesen Satz von Fermat bzw. Wiles.

Zu akademischen Scherzen aufgelegt

Wenn Christian Elsholtz von seiner Arbeit spricht, galoppieren ihm manchmal die Worte davon. Es wird deutlich, dass er sich sehr bemüht, seine Gedanken zu bremsen und verständlich zu erklären, was zu seiner täglichen Arbeit gehört. So zum Beispiel auch, wenn er einen akademischen Witz macht, dessen Pointe für mathematische Laien allerdings einer Erklärung bedarf, um sie zu verstehen.  Sein letzter „Scherz“ führte zu einer wissenschaftlichen Arbeit, die sogar von Fields-Medaillen-Preisträger Timothy Gowers (Anm.: eine der höchsten Auszeichnungen in der mathematischen Welt) diskutiert wurde. Der Scherz: Eine Arbeit zu Primzahlen. „Ich habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, sagt Elsholtz und schmunzelt wieder. „Ich habe ein sehr starkes mathematisches Resultat genommen und damit ein sehr viel kleineres Resultat bewiesen. Diese Idee hatten schon mehrere Mathematikerinnen und Mathematiker, aber niemand hat so eine große ‚Kanone‘ genommen wie ich.“ Was Elsholtz genau gemacht hat? Er nahm zwei mathematische Resultate und zeigte, dass das stärkere der beiden – der große Satz von Fermat – das schwächere – die Unendlichkeit der Primzahlen von Euklid – bedingt. Der große Satz von Fermat besagt, dass die n-te Potenz einer Zahl plus die n-te Potenz einer zweiten Zahl niemals die n-te Potenz einer dritten Zahl ergeben kann, d.h. an + bn kann niemals cn sein. (Hierbei sind a,b,c und n positive ganze Zahlen, und n ist mindestens 3). Diesen Satz kritzelte Fermat als Randnotiz in ein Buch – bewiesen hat er diese Behauptung aber nie. Das gelang erst Andrew Wiles gut 300 Jahre später. Euklid bewies bereits 300 vor Christus, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. „Ich habe mir eine Welt vorgestellt, in der der Satz von Euklid nicht stimmt. Eine Welt, in der es also nur endlich viele Primzahlen gibt“, erklärt Elsholtz. „Das würde viele mathematische Resultate kaputt machen, unter anderem auch diesen Satz von Fermat bzw. Wiles.“ So gelang Elsholtz im Umkehrschluss ein neuer Beweis dafür, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. „Die Arbeit war eine Spielerei von mir und als Scherz gedacht. So wurde es auch wahrgenommen, zumindest fast immer...“, erzählt Elsholtz, der sich über das Echo freute.

Das Paper „Fermat´s Last Theorem Implies Euclid´s Infinitude of Primes” ist im Journal The American Mathematical Monthly frei verfügbar erschienen.

Von Griechen, Knoten und Bibliotheken

Warum sich Christian Elsholtz einen sehr alten mathematischen Satz ausgesucht hat, wird deutlich, wenn man ihm etwas länger zuhört. Er erzählt von Pythagoras, von den Babyloniern, von den Anfängen der Mathematik und Geometrie. Er erzählt von Knoten in Fäden, die als erste Maßstäbe dienten, um darauf basierend Räume berechnen zu können. „Ich habe mir bereits als Jugendlicher Mathematik-Bücher in der Bibliothek ausgeliehen, weil es mich einfach interessiert hat“, erzählt er. „Auch sehr viel Historisches, über die Entwicklung der Mathematik.“

Primzahllücken

Versunken in einem dieser Bücher stieß er auch erstmals auf sein heutiges Forschungsgebiet: „Im Buch ging es um den aktuellen Rekord bei Primzahllücken. Das hat mich fasziniert und ich wusste, dass ich so etwas machen möchte.“ Mit Lücken zwischen Primzahlen haben es Forschende derzeit noch schwer. Es ist zum Beispiel nicht bekannt, ob es die Lücke 2 unendlich oft zwischen zwei Primzahlen gibt (wie zum Beispiel zwischen 17 und 19) – die Primzahlzwillingsvermutung ist bis heute unbewiesen. „Vor einigen Jahren gab es einen Durchbruch, der auch öffentlich breit diskutiert wurde. Seither wissen wir, dass es eine Lücke gibt, die höchstens 246 groß ist und unendlich oft vorkommt. Wir wissen aber nach wie vor nicht, wie groß genau diese Lücke ist.“

Es gibt also weiterhin viel zu tun im Forschungsfeld von Christian Elsholtz. Gerade erst startete der Mathematiker mit Kolleg*innen aus Österreich und Frankreich das Forschungsprojekt ArithRand. Darin beschäftigt sich die Gruppe mit Arithmetic Randomness – also mit zufällig aussehenden Eigenschaften von Zahlen. Für Christian Elsholtz ist das ein Glücksfall. So kann er seine Forschung und zusätzlich für die kommenden drei Jahre eine Postdoc-Stelle finanzieren. „Mathematik macht mir einfach unheimlich Spaß“, sagt Elsholtz, bevor er zurückkehrt in sein Büro, zu den Primzahllücken.

Mathematik macht mir einfach unheimlich Spaß.

Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Information, Communication & Computing“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
Mehr Forschungsnews finden Sie auf Planet research. Monatliche Updates aus der Welt der Wissenschaft an der TU Graz erhalten Sie über den Forschungsnewsletter TU Graz research monthly.

Kontakt

Christian ELSHOLTZ
Assoc.Prof. Dipl.-Math. Dr.rer.nat.habil.
Institut für Analysis und Zahlentheorie
Kopernikusgasse 24/II
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 7621
elsholtznoSpam@tugraz.at
www.math.tugraz.at/~elsholtz/