Elektrokeramiken sind das Herzstück vieler elektronischer Bauteile. So sind etwa in einem Mobiltelefon 500 Kondensatoren verbaut, die aus mehreren Schichten Keramik und Metall bestehen. „In Keramiken können wir sehr gut und gezielt Eigenschaften einstellen, die das Material für die jeweilige Anwendung haben muss“, erklärt TU Graz-Materialwissenschafter Jurij Koruza, vom Institut für Chemische Technologie für Materialien an der TU Graz. „Und sie sind auch bei hohen Temperaturen und anderen harschen Bedingungen einsetzbar.“
Wenn an der TU Graz von „Keramiken“ die Rede ist, dann nicht von Keramik im herkömmlichen Sinne – also als Material für Teller, Tassen und anderes Geschirr. Vielmehr geht es um sogenannte Funktionskeramiken, die für die Erfüllung bestimmter Aufgaben designt sind – manche sind zum Beispiel besonders leitfähig oder können Reaktionen katalysieren. Im Team von Jurij Koruza beschäftigen sich die Forschenden insbesondere mit Dielektrika und Piezokeramiken, die elektrische Ladung speichern oder mechanische Energie in elektrische umwandeln können. Ein Beispiel dafür sind moderne Ultraschallgeräte, die in der Medizintechnik für Bildgebung oder in der Industrie für umweltfreundliche Reinigung sorgen. Diese Elektrokeramiken könnten zukünftig aber auch als Stromquelle für Sensoren eingesetzt werden, die an unzugänglichen Orten platziert sind, aber durch Umgebungsvibrationen laufend mechanische Energie erhalten und diese in elektrische Ladung umwandeln – etwa unter einer Straße oder in einer Tunnelwand.
Sonderforschungsbereich „FLAIR“
Gemeinsam mit vier deutschen Universitäten und 13 Forschungsteams unter Leitung der TU Darmstadt haben die Grazer Forschenden Mitte Mai ein neues Projekt zur Erforschung von elektrokeramischen Materialien gestartet. Der Sonderforschungsbereich SFB 1548 („FLAIR“ - Fermi Level Engineering Applied to Oxide Electroceramics) wird von der DFG und der FWF mit insgesamt 10 Millionen Euro für vier Jahre Laufzeit finanziert – mit der Option auf Verlängerung bis zu einem Projektzeitraum von insgesamt 12 Jahren. Ziel des groß angelegten Projektes ist es, eine treffende Methode für das Design bestimmter Funktionskeramiken und vor allem die gezielte Vorhersage der zu erwartenden Eigenschaften zu entwickeln. Als Anleihe wird das sogenannte Fermi-Level-Engineering genommen, das bereits heute in der Halbleiterindustrie für die Produktion von leistungsstarken Siliziumchips eingesetzt wird. Dieses Prinzip möchte das Forschungskonsortium nun auf Keramiken umlegen. „In den ersten vier Projektjahren legen wir die Grundlage für das neue Designkonzept, untersuchen Modelmaterialien, testen Dotierungen und bauen eine Datenbasis auf, die dann in einem nächsten Schritt die Entwicklung vollkommen neuer Zusammensetzungen ermöglichen wird, auch mit Hilfe von Computern“, erklärt Koruza. In möglichen weiteren Projektphasen will sich das Team dann auch auf die Anwendungen konzentrieren.
Spezialgebiet in Graz
In Graz wird man sich auf das eigene Spezialgebiet, die Dielektrika und Piezokeramiken fokussieren. Mittels Festkörpersynthese werden dazu Keramikproben hergestellt und mit unterschiedlichen Elementen dotiert, um das Fermi-Niveau und die Defektzustände gezielt zu verändern. Anschließend wird das Material vermalen und mittels unterschiedlicher Verfahren – etwa durch Verpressen oder 3D-Druck – in die gewünschte Form gebracht. Nach der thermischen Behandlung bei über 1.000 Grad Celsius erhalten die Elektrokeramiken dann die gewünschte Kristallstruktur, Mikrostruktur und Defektkonzentration, die gemeinsam die elektrischen Eigenschaften bestimmen.
Bleifreie Materialien
Neben dem neuen Sonderforschungsbereich engagiert sich das Forschungsteam beim Thema umweltverträgliche Materialien in der Elektronik. Viele elektrokeramische Materialien und Bauteile beinhalten heute Blei – ein giftiges Schwermetall. Aber auch ein Schwermetall, das sehr günstig und universell einsetzbar ist. Bei der Anwendung ist Blei in Keramiken wegen seiner Stabilität weder für die Anwendenden noch für die Umwelt gefährlich. Das Problem ist aber die Endlagerung: Viele unserer elektronischen Bauteile werde nicht ordnungsgemäß entsorgt oder recycelt. Sie landen viel mehr sehr häufig auf ungesicherten Müllhalden, wo sie sich mit der Zeit zersetzen und dadurch das Blei freigesetzt wird. Deshalb ist die Forschung um einen brauchbaren Ersatz für Blei bemüht. In einem kürzlich erschienen Paper in Nature Communications „Tailoring high-energy storage NaNbO3-based materials from antiferroelectric to relaxor states“ stellen Jurij Koruza und sein Team genau so ein Material vor. Vielversprechende Materialzusammensetzungen gäbe es also, erzählt der Forscher. Aber: „Blei ist universell einsetzbar. Die Ersatzmaterialien, die entwickelt werden, nicht – sie müssen für den jeweiligen Anwendungsfall gezielt designt werden. Deshalb ist die Produktion natürlich wesentlich aufwendiger, weil es die Unternehmen plötzlich mit vielen statt einem Material zu tun haben.“
Herzstück
Aber die Forschenden bleiben dran. Denn: „Bei zahlreichen neuen Anwendungen ist nicht die Technologie das Herzstück, sondern das Material. Denn das Material ist für die Funktion zuständig – wie auch in Solarzellen, Brennstoffzellen oder Batterien.“