Kompostwender. Sagt Ihnen dieser Begriff etwas? Nein? Keine Sorge, damit sind Sie nicht allein. Wenn Ihnen aber Eva Reitbauer einmal davon erzählt, dann werden Sie das Thema sehr spannend finden. Denn obwohl sie anfangs auch nicht über den Kompostierprozess Bescheid wusste, ist die TU Graz-Forscherin nach mehreren Jahren Arbeit in der Navigation autonomer Landwirtschaftsgeräte heute nicht nur Expertin dafür, sondern auch davon begeistert. Sie ist gemeinsam mit ihren Kolleg*innen dafür zuständig, dass der Kompostwender am Kompostplatz selbstständig durch die Komposthäufen – sogenannten Dreiecksmieten– fährt und dabei das zu kompostierende Material wendet.
Kompostwender sind essenziell für die gewerbliche Kompostierung. Bei der Kompostierung muss das Rohmaterial mit der passenden Temperatur, Feuchtigkeit und Belüftung gelagert werden, damit schlussendlich nährstoffreiches Erdreich entsteht. Und es muss regelmäßig gewendet werden. Diese Arbeit wird auf Kompostplätzen mit Kompostwendern erledigt – großen Maschinen, die mit 50 bis 300 Metern pro Stunde äußerst langsam durch die Mieten hindurchfahren und das Material überwerfen. Gesteuert werden diese Maschinen heute von Menschen – eine anstrengende, geruchsintensive und eintönige Arbeit. Um sie zu erleichtern, wird am Institut für Geodäsie gemeinsam mit dem Institut für Technische Logistik, der Firmen Pusch & Schinnerl GmbH, Sonnenerde GmbH und dem Institut für Logistik und Materialflusstechnik der Universität Magdeburg an autonom fahrenden Kompostwendern geforscht. Das Ziel, Kompostwender autonom durch die Mieten fahren zu lassen, haben die Forschenden der TU Graz bereits am Ende des Projekts ANTON erreichen können, wie Eva Reitbauer erzählt: „Wir hatten im vergangenen Herbst eine große Versuchskampagne am Kompostplatz und der Kompostwender ist einwandfrei gefahren. Sogar, als der Betreiber das Gerät vollkommen schief an das Ende der Miete gestellt hat, hat der Kompostwender ohne Probleme seinen Weg gefunden.“ Ihre Aufgabe ist vor allem die zentimetergenaue Positionierung des Kompostwenders, die für die Navigation essenziell ist. Dafür nutzt die Forscherin globale Satellitennavigationssysteme (GNSS), eine inertiale Messeinheit, Inkrementalgeber und eine Stereokamera. Um die Positionierung ausfallsicher zu machen, führt sie die Daten aller Sensoren zusammen und verwendet spezielle Bewegungsmodelle, mithilfe derer im Falle des Ausfalls eines Sensors die Position weiter berechnet werden kann.
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So fährt der autonome Kompostwender.
Aus ANTON wird ANDREA
Im Nachfolgeprojekt ANDREA geht es nun darum, die Abläufe auf der Kompostieranlage weiter zu automatisieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Kompostwender am Rande einer Miete auch umdreht und die nächste Miete ins Visier nimmt. Und es soll der Dokumentationsaufwand für den Betreibenden erleichtert werden: „Jeder Kompostplatz muss den Kompostierprozess genau dokumentieren und etwa die Temperatur immer wieder an verschiedenen Stellen messen. Unser Kompostwender fährt jetzt ohnehin durch das Material und wir möchten ihn mit Sensorik ausstatten, die diese Messungen automatisch durchführen kann.“
Navigation statt Diplomatie
Eva Reitbauer ist heute Universitätsassistentin an der TU Graz. Nach ihrer Schulzeit am bilingualen Grazer Gymnasium GIBS horchte sie tief in sich hinein und entschied sich schlussendlich gegen die vorgezeichnete Karriere in der Diplomatie oder im Rechtswesen, die gerne von GIBS-Absolvent*innen eingeschlagen werden. Ihr Ausbildungswunsch war die Technik und die Geodäsie faszinierte sie aufgrund der Nähe zum Weltall, das sie seit ihren Kindertagen speziell interessiert hatte.
Ihre Arbeitstage gestaltet Eva Reitbauer sehr unterschiedlich und teilt ihre Stunden auf Lehre, Forschung und Administration auf: „Jeder Tag schaut anders aus. Ich bereite Lehrveranstaltungen vor, korrigiere Arbeiten, oder bin in Bücher und Paper vergraben, um neue Ideen und Ansätze zu finden. Oder ich sitze unter einem Berg an Zetteln und versuche, mir etwas herzuleiten oder suche nach Fehlern in meinen Programmierungen.“
Ihre Dissertation will die 28-jährige im Sommer abgeben und plant ihr Rigorosum für den Herbst. Thematisch befasst sie sich mit der Kombination von unterschiedlichen Navigationssensoren, die bestmöglich kombiniert landwirtschaftliche Maschinen autonom fahren lassen können. Ein Thema, dass eben auch in den beiden Forschungsprojekten ANTON und ANDREA im Zentrum stand. „Mich fasziniert vor allem die Kombination aus Mathematik und Praxis. Ich leite mir oft seitenweise bestimmte Dinge her und wenn man dann sieht, wie die Maschinen das dann tatsächlich umsetzen, ist das schon faszinierend.“, erzählt sie mit einem breiten Grinsen um die Mundwinkel. Auch wenn sie, wie sie zugeben muss, vor diesem Projekt noch nicht einmal gewusst hat, was ein Kompostwender überhaupt ist. „Im Zuge des Projekts habe ich mich dann auch sehr stark mit dem Fahrzeug an sich beschäftigen müssen. Zum Beispiel fährt es ja kettengetrieben – was eine völlig andere Bewegungslogik ist als bei einem Auto.“ Und fügt lachend hinzu: „Und ich habe natürlich auch einiges für meinen eigenen Garten gelernt. Dort kommt jetzt nur noch der wirklich gute Kompost drauf.“
Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Information, Communication & Computing“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
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