„Eine Theorie besagt, dass die Sesshaftwerdung der Menschen mit dem Bierbrauen zusammenhängt“, erzählt Biotechnologin Birgit Wiltschi vom TU Graz-Institut für Molekulare Biotechnologie scherzend. Schließlich war das Bierbrauen „ja nicht gut möglich, solange ständig umhergezogen wurde. Tatsächlich liegen die Anfänge der Biotechnologie genau dort: im Bierbrauen. Und im Brotbacken. Das waren die ersten Prozesse, für die der Mensch Bakterien und Mikroorganismen nutzte, um etwas Neues herzustellen. Heute freilich geht die moderne Biotechnologie wesentlich weiter, wie die Forscherin erklärt: „Es geht nicht mehr nur darum, Mikroorganismen so zu nutzen, wie sie in der Natur vorkommen. Es geht auch darum, sie auf eine spezielle Anwendung hin maßzuschneidern.“
In der Biotechnologie geht es darum, Mikroorganismen an die Anwendung anzupassen, sie maßzuschneidern. Eine gezielte Veränderung des Systems, um etwas Sinnvolles damit zu machen. – Birgit Wiltschi, Institut für Molekulare Biotechnologie
Wiltschi selbst beschäftigt sich an ihren Arbeitsplätzen an der TU Graz sowie im Kompetenzzentrum acib (Austrian Centre of Industrial Biotechnology) damit, Enzyme und Proteine nach Belieben zu verändern und zu optimieren. „Die Natur hat ein System entwickelt, das für ihre Zwecke perfekt funktioniert. Proteine und Enzyme sind ihre grundlegenden Werkzeuge. Wir versuchen nun, diesen Baukasten zu erweitern und mit chemischen Methoden neue Funktionen zu ermöglichen.“ Gearbeitet wird unter anderem an einer Art „Druckknopf“-Baustein für Proteine – dabei handelt es sich um reaktive Aminosäuren, die gezielt in einem Protein platziert werden und so eine kontrollierbare Andockstelle für weitere Stoffe schaffen. Zum Beispiel könnte daraus ein selbstständig und lokal wirkendes Medikament erzeugt werden: „Diese Druckknopf-Aminosäuren kann ich zum Beispiel in Antikörper einbringen, die Krebszellen aufspüren. Über den „Druckknopf“ wird gezielt ein Wirkstoff angebracht, der erst freigesetzt wird, wenn der Antikörper eine Krebszelle gefunden hat.“ Diese Therapie wäre wesentlich schonender, weil ärmer an Nebenwirkungen, als zum Beispiel eine herkömmliche Chemotherapie. Sie wirkt nicht im gesamten Organismus, sondern gezielt an der zu therapierenden Stelle. „Der Wirkstoff muss in einer präzisen Menge an einer präzisen Stelle an das Protein gehängt werden können – unsere Druckknopf-Aminosäuren erlauben das.“
Am gleichen Institut wie Wiltschi beschäftigen sich die drei Doktorandinnen Kamela Myrtollari, Andrea Nigl und Karishma Shah mit biobasierten Polymeren aus landwirtschaftlichen Reststoffen, die sie für die Produktion von Biokunststoffen optimieren wollen. „Wir widmen uns sowohl der Verbesserung der Polymere an sich als auch der Optimierung des Produktionsprozesses“, erklärt Andrea Nigl. „Wir versuchen mit unterschiedlichen Ansätzen verbesserte Monomere zu produzieren. Je mehr Monomere wir zur Verfügung haben, desto mehr Polymere mit unterschiedlichen Eigenschaften können wir schlussendlich daraus bauen.“
BioTechMed-Graz ist ein Forschungsverbund der drei Grazer Universitäten TU Graz, Uni Graz und Med Uni Graz und fördert laborübergreifende Forschung. So zum Beispiel mit hoch dotierten Leuchtturmprojekten, in denen alle drei Forschungseinrichtungen gemeinsam arbeiten – aktuell etwa im Projekt „Dynamics of subcellular partitioning through protein modification (DYNIMO)“ an der Methylierung von Argininen, die in Zusammenhang mit Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen stehen soll. An der TU Graz ist vor allem Birgit Wiltschi vom Institut für Molekulare Biotechnologie in das Projekt involviert. Ebenso finanziert der Forschungsverbund Young Researcher Groups, wo unter anderem TU Graz-Biotechnologin Anita Emmerstorfer-Augustin eine Forschungsgruppe leitet, die sich unter anderem mit Sterolen beschäftigt.
Zucker als Basis
Ebenfalls zwischen acib und TU Graz verortet sind die Forscherinnen Christiane Luley und Barbara Petschacher, die sich primär mit kohlenhydrataktiven Enzymen beschäftigen. Im EU-H2020- Projekt CARBAFIN etwa, das bereits in der finalen Forschungsphase angekommen ist, arbeiten sie mit ihrem Team daran, die Synthese von Glucosiden ausgehend von Saccharose – Haushaltszucker – zu optimieren und auf einen industriell interessanten Maßstab zu heben. Haushaltszucker ist ein nachwachsender Rohstoff und kann in weit größeren Mengen gewonnen werden, als die Lebensmittelindustrie benötigt. Hochwertige Glucoside wiederum können als Wirkstoff in der Medizin oder Kosmetik oder auch als Nahrungsmittelzusatzstoffe eingesetzt werden. „In diesem Projekt arbeiten wir einerseits an der Entwicklung von robusten Biokatalysatoren, also Enzymen, die wir hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit in mehrstufigen Umsetzungen verbessern. Andererseits möchten wir den Prozess durch gezielte Integration der einzelnen Prozessschritte für den industriellen Maßstab fit machen, unterstützt auch durch ökologische und ökonomische Evaluierung“, erklärt Barbara Petschacher die zwei Forschungsrichtungen des Projekts. Wichtiger Nebenschauplatz: Außer Glucosiden wird in diesem Prozess auch Fruktose gewonnen, die die Forschenden nicht etwa entsorgen, sondern auf ihre Eignung für die Produktion von Bioplastik prüfen.
Weiteres wichtiges Thema der Forscherinnen: Humane Milcholigosaccharide (HMO) – also Mehrfachzucker, die in der menschlichen Muttermilch vorkommen und sie für Säuglinge besonders wertvoll machen. „Das Ziel hier ist, die enzymatische Produktion der Oligosaccharide zu optimieren, um Muttermilch-Ersatzprodukten durch den Zusatz dieser HMO Eigenschaften zu geben, wie sie die Muttermilch auch hat. Die präbiotischen Eigenschaften der HMO könnten auch für eine zukünftige Verabreichung an Erwachsene interessant werden.“.
Bernd Nidetzky, Christiane Luley, und Barbara Petschacher. © Lunghammer – TU Graz
Ebenfalls mit kohlenhydrataktiven Enzymen beschäftigt sich Martin Pfeiffer am Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik. Sein Fokus sind ihre Reaktionsmechanismen. Pfeiffer untersucht Enzyme deren Reaktionsprodukte besondere Zucker wie zum Beispiel Fucose sind. Diese Zuckermoleküle sind an der Regulation des menschlichen Immunsystems beteiligt oder dienen als Nahrung für probiotische Darmbakterien, die als Dank krankmachende Bakterien verdrängen. Darüber hinaus machte der Forscher eben erst Schlagzeilen mit der Erzeugung von Pseudouridin, einem wichtigen Bestandteil von synthetischer RNA. „Wir haben es geschafft, es umweltfreundlicher, günstiger und aus biologischen Bestandteilen herzustellen“, so Pfeiffer. „Für mich ist die Biotechnologie deshalb so interessant, weil wir Enzyme verstehen lernen und sie dann so verändern, dass sie eine erwünschte Reaktion durchführen.“
In der Biotechnologie gilt es herauszufinden, wie biologische Prozesse im Detail funktionieren, und sie dann anzuwenden. – Martin Pfeiffer, Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik
Von Cellulose zum Biotreibstoff
Der Einsatz von biotechnologisch erzeugten Produkten oder auch der Biotechnologie selbst ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, erzählt Manuel Eibinger vom Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik, egal ob es um Textilien geht – so wird beispielsweise der optische Effekt von stonewashed Jeans heute durch den Einsatz von Cellulasen erzeugt – oder um die Aufbereitung von Abwasser. „Eine Kläranlage ist im Grunde ein großer Bioreaktor. Es werden Mikroorganismen genutzt, um das Wasser zu reinigen“, erläutert er. Als weitere eindrucksvolle Beispiele nennt er mikrobielle Bioremediation nach Umweltverschmutzungen oder dass Waschmittel, manchmal unter Einsatz von Enzymen, auch bei niedrigen Wassertemperaturen Schmutz entfernen können.
Biotechnologie ist die Nutzung biologischer Systeme für industrielle Fragestellungen. – Manuel Eibinger, Institut für Biotechnologie und Bioprozesstechnik
Eibinger selbst beschäftigt sich mit dem Abbau von Cellulose, einem für den Menschen unverdaulichen Polysaccharid. „Aus Cellulose kann Bioethanol – also Treibstoff – erzeugt werden“, erklärt der Forscher. „Weil der Mensch sie nicht verdauen kann, haben wir auch kein Problem damit, ein Lebensmittel für die Treibstoffproduktion zu verwenden.“ Für den Abbau der Cellulose nutzt er verschiedene Enzymsysteme, die entweder vom Pilz Trichoderma reesei oder vom Bakterium Clostridium thermocellum isoliert werden. „Wir vergleichen beide Systeme und versuchen mitunter zu verstehen, unter welchen Rahmenbedingungen sie optimal funktionieren.“
Manuel Eibinger im Labor. © Lunghammer – TU Graz
Einen Schritt davor
In der Arbeit von Peter Macheroux geht es zwar noch um Grundlagenforschung, aber immer mit einem Fuß in Richtung Anwendung. Peter Macheroux, Leiter des Instituts für Biochemie an der TU Graz, selbst beschäftigt sich in seiner Forschung vor allem mit Enzymen und Prozessen, die in der Medizin Anwendung finden können – als Fungizide, Antibiotika und Notfallmedikamente. So etwa wird das Enzym Dipeptidyl-Peptidase 3 (DPP3) erforscht, das in lebensbedrohlichen Krankheitsprozessen eine wichtige Rolle spielen kann: „Wir wissen, dass DPP3 bei bestimmten akuten Erkrankungen wie einem Herzinfarkt in erhöhter Konzentration auftritt. Je höher die Konzentration, desto geringer die Überlebenswahrscheinlichkeit. Wir versuchen nun, dieses Enzym zu inaktivieren und so die Chancen der Patient*innen in einer lebensbedrohlichen Lage zu erhöhen.“
Zu Biotechnologie zählt alles, wo Grundlagenforschung aus der molekularen und nicht-molekularen Biowissenschaft in industriellen, land-wirtschaftlichen oder pharmazeutischen Prozessen Anwendung findet. – Peter Macheroux, Institut für Biochemie
Gustav Oberdorfer, ebenfalls am Institut für Biochemie tätig, befasst sich vorwiegend mit Proteindesign. Ziel ist es, komplett artifizielle Proteine zu gestalten, die dann eine bestimmte Aufgabe übernehmen können. In seinem mit einem ERC Starting Grant ausgezeichneten Projekt HelixMold untersucht sein Team designte alpha-helikale Proteine, die sehr hohe Thermostabilität aufweisen. „Proteine bzw. Enzyme funktionieren normalerweise am besten bei einer Temperatur, die häufig einhergeht mit der Umgebungs- bzw. Körpertemperatur des jeweiligen Organismus, aus dem sie stammen. Also im Falle des Menschen bei rund 37°C. Viele dieser Proteine beginnen sich aber oberhalb dieser Temperatur zu entfalten und ihre Funktion zu verlieren“, erklärt Oberdorfer. „Wir konnten Proteine designen, die auch noch bei 90 oder 95 °C stabil sind, was für viele Prozesse sehr interessant ist.“ Darauf aufbauend will Oberdorfer nun diese thermostabilen Proteine nutzen, um neue Bindestellen für Moleküle zu schaffen, ohne an Stabilität zu verlieren. Anfang 2020 startete das FET Open- Projekt ARTIBLED, in das Oberdorfer zentral involviert ist. Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam will er Bio-LEDs herstellen, die statt seltener Erden biologische Komponenten – thermostabile Proteine – beinhalten. „Unsere Idee ist es, dass diese Proteine dann überall auf der Welt einfach im Bakterium E.coli gezüchtet werden können.“
Gustav Oberdorfer im Labor. © Lunghammer – TU Graz
Andreas Winkler, Institut für Biochemie, beschäftigt sich ebenfalls mit Proteinen und Licht – allerdings fokussiert er sich auf Prozesse, die mithilfe von Licht gesteuert werden können. „Wir wollen lichtaktivierbare Proteine verstehen und sie nutzen, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen.“ In der Natur steuern solche Fotorezeptoren zum Beispiel den Tag-Nacht-Rhythmus; im Labor kann man ähnliche Proteine aber auch gezielt einsetzen, etwa um Motor-Neuronen eines Organismus zu aktivieren und ihn damit steuern zu können. Ziel ist es, optogenetische Tools zu entwickeln, die als Medikamente eingesetzt werden können und im menschlichen Körper erst durch Bestrahlung aktiviert werden. „Licht als Trigger hat sehr viele positive Effekte. Es ist sehr gut räumlich kontrollierbar und kann gezielt ein- und ausgeschaltet werden. Insofern wäre es möglich, einen Wirkstoff in den Körper einzubringen, um ihn dann mit Licht ganz gezielt an einer bestimmten Stelle und zu einem gewissen Zeitpunkt im Körper zu aktivieren“, so der Forscher.
Mikrobiom-Biotechnologie
Einen völlig anderen Ansatz in der Biotechnologie verfolgt Tomislav Cernava vom TU Graz-Institut für Umweltbiotechnologie: Er möchte das Pflanzenmikrobiom gezielt mit Mikroorganismen bestücken, die die Pflanze gesund halten. „Wir haben zum Beispiel ein Bakterium gefunden, das die Pflanze aktiv gesund halten kann. Wenn wir dieses Bakterium im Samenmikrobiom – dem Übergang zwischen den Generationen – ansiedeln können, dann könnten wir sehr robuste Pflanzen gestalten“, erklärt er. In einem seiner Forschungsprojekte beschäftigt er sich mit dem Mikrobiom der Cannabispflanze, die sowohl als Nutzpflanze als auch in der Medizin eingesetzt werden kann.
Tomislav Cernava mit Institutsleiterin Gabriele Berg im Labor. © Lunghammer – TU Graz
Aktuell in allen Laboren
Die wohl prominenteste Anwendung von Biotechnologie findet sich laut Birgit Wiltschi momentan aber in diversen Spritzen: die mRNA-Impfstoffe, die derzeit als Schutz gegen das Coronavirus verimpft werden. „Das ist Biotechnologie auf höchster Stufe und wäre ohne die langjährige Forschung auf diesem Gebiet niemals möglich.
Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Human & Biotechnology“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
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