Zwei Tage passiert nichts, aber dann steht ein kleines braunes Päckchen vor meiner Haustüre. Was zwischen meinem Click und der Ankunft passiert, weiß ich nicht so genau. Ganz genau weiß es hingegen Domenik Kaever, Professor am Institut für Technische Logistik der TU Graz, der sich in seiner Forschung u. a. mit Warentransport beschäftigt.
News+Stories: Was genau ist denn eigentlich Technische Logistik, Herr Kaever?
Domenik Kaever: Logistik umfasst grundsätzlich den Transport von Dingen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt, in der richtigen Menge, im vorgegebenen Zustand, an einem bestimmten Ort ankommen müssen. Das können Waren sein, wie wir sie aus dem Handel kennen, aber beispielsweise auch Schüttgut, wie wir es u. a. zur Energieerzeugung abbauen und transportieren. All das ist Logistik. Wir am Institut für Technische Logistik beschäftigen uns mit der tatsächlichen Technik in der Logistik, also mit der Materialflusstechnik, den Gurtförderern, Rutschen, Rollcontainern, Hebebühnen und Sortieranlagen. Aber auch mit dem System, das dahintersteckt: Mit der Organisation eines Paketverteilzentrums und den Transportfahrzeugen sowie den nationalen und internationalen Netzwerken, in denen sich unsere Waren bewegen. Denn viele unserer Waren – sowohl die, die wir online bestellen, als auch jene im Geschäft um die Ecke – haben oft einen langen Weg hinter sich. Sie kommen von einer Produktionsstätte oder einem Verpackungsort in einem weit entfernten Land, werden von einem Verteilzentrum ins nächste transportiert, dort mehrfach sortiert und geschlichtet, bis sie schlussendlich von einem Lieferdienst vor Ihre Haustüre gestellt werden.
An Ihrem Institut ist Virtual Engineering ein großes Thema. Was ist das?
Kaever: Wir bilden die Abläufe und Zusammenhänge des Warenverkehrs digital ab und können so Optimierungsbedarf identifizieren, aber auch neue Ideen und Konzepte virtuell austesten, bevor sie in einem tatsächlichen Verteilzentrum umgesetzt werden. Insbesondere sehen wir uns an, wie die unterschiedlichen Verpackungen und Beladungen mit der Fördertechnik interagieren. Zum Beispiel sind Polybags ein sehr großes Thema – die weichen Kunststofftaschen, die von vielen großen Online-Shops genutzt wurden. Sie verhalten sich natürlich gänzlich anders als steife Kartonpakete. Seit einiger Zeit nutzen die Anbieter aber auch Taschen aus Papier, die wieder ganz neu mit der Fördertechnik zusammenarbeiten. Dieses Feld ist sehr dynamisch und es ändern sich Dinge in sehr schnellen Schritten. Die Versanddienstleister müssen darauf vorbereitet sein. Auch für die Österreichische Post ist das ein großes Thema. Als vom Weltpostverband (UPU) benannter „Designated Operator“ muss die Post nämlich alle Arten von Sendungen verarbeiten können. Private Unternehmen können hier Regeln und Vorgaben machen, die Post nicht. Da sind unsere Simulationen natürlich wichtig – wir können uns vom Gesamtsystem bis hinunter zur einzelnen Sendung alles anschauen.
Welche Trends haben Sie in den vergangenen Jahren gesehen?
Kaever: Wir sehen natürlich, dass die Menge an Paketsendungen immer mehr zunimmt und das wird auch in den kommenden Jahren vermutlich so weitergehen. Wir sehen auch die Belastungsspitzen für die Versandunternehmen – etwa rund um die Weihnachtsfeiertage. Da müssen für kurze Zeit die Kapazitäten enorm gesteigert werden – die Unternehmen müssen kurzzeitig Mitarbeitende einstellen sowie Maschinen und Platz erweitern. Das erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, weil die Peaks nur zeitweise auftreten (Weihnachten, Black Friday, …).
Sie haben das Personal schon angesprochen. In allen Bereichen des Lebens und der Wirtschaft wird auf Automatisierung gesetzt – auch in der Logistik. Hat da der Mensch noch einen Platz?
Kaever: Absolut. Wir sehen sogar einen zunehmenden Fokus auf den Menschen und seine Gesundheit. Nicht zuletzt die Europäische Kommission fordert diese „People Centricity“ mit der Definition von Industrie 5.0 ein. Fragen wie: „Wie kann ich das Arbeitsumfeld besser gestalten? Wie wirken sich Schichtpläne aus? Welchem Lärmpegel sind meine Mitarbeitenden ausgesetzt? Und wie sehen die Laufwege aus?“, werden immer wichtiger.
Maschinen werden auch in Zukunft nicht alle Aufgaben übernehmen können, aber sie können die Menschen in den Logistikzentren bei der Arbeit unterstützen und sind wegen ihrer Skalierbarkeit auch gut geeignet, um Nachfrage-Spitzen abzufedern. Einige ausgewählte Be- und Entladeaufgaben kann die Maschine noch nicht erfüllen. Genauso ist die berühmte letzte Meile eine Aufgabe, die immer noch eine Herausforderung für die Automatisierung ist – also den letzten Schritt zwischen Auslieferfahrzeug und Ihrer Haustüre. Das ist deshalb ein sehr kostenintensiver Arbeitsschritt und die Transportunternehmen machen sich große Gedanken, wie mittels Abstellgenehmigungen, Paketboxen u. ä. sichergestellt werden kann, dass ein Paket nur einmal geliefert werden muss.
Wie kann ein Verteilzentrum menschengerecht gestaltet werden?
Kaever: Einige Themen habe ich mit den Schichtplänen, den Laufwegen und der Arbeitsplatz-Ergonomie schon angesprochen. Ein Thema, das ich für sehr vielversprechend halte, ist der Einsatz des Werkstoffes Holz. Holz ist nicht nur angenehm anzugreifen (Haptik) und riecht gut, es ist auch vielversprechend hinsichtlich der Reduzierung von Schwingungen. So könnte der Einsatz von Holz helfen, Fördertechnik leiser zu machen. Gerade Lärm ist eine große Belastung für den Menschen im Logistikzentrum.
Bei allem Fokus auf den Menschen ist aber Automatisierung trotzdem ein großes Thema, oder?
Kaever: Ja. Wir untersuchen auch Fahrerlose Transportsysteme, die schon heute in unterschiedlicher Intensität zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um autonome Fahrzeuge, die bspw. Rollcontainer innerhalb eines Zentrums oder Waren zwischen Gebäuden eigenständig transportieren. Fahrerlose Transportsystem helfen, den Automatisierungsgrad zu erhöhen, Logistikzentren zu einer sichereren Arbeitsumgebung zu machen und dem Menschen repetitive Arbeiten abzunehmen. So kann sich der Mensch anspruchsvolleren Aufgaben widmen, bei denen die Flexibilität und Kreativität eines Menschen von Bedeutung sind.
Sind auch Roboter ein Thema?
Kaever: Natürlich. Roboter können schon sehr viele Be- und Entladeaufgaben übernehmen. Vor allem einfache Abläufe mit immer gleichen Paketen sind leicht zu erlernen. Aber so ist der Alltag eben nicht. Der Arbeitsalltag erfordert Flexibilität und spontanes Handeln, wenn plötzlich ganz andere Paketsendungen daherkommen. Von einer Standardisierung des Sendungsspektrums können wir in der Paketlogistik nur träumen.
Warum ist es eigentlich notwendig, dass wir Waren um die ganze Welt transportieren?
Kaever: Weil wir es können. Das ist die einfache Antwort. Es ist sehr einfach, mit dem Handy von überall und zu jeder Zeit zu bestellen. Wenn der Gang in einen Laden in der Umgebung aufwendiger ist, als online zu bestellen, dann werden viele Menschen natürlich eher bestellen. Und wir sind immer noch eine sehr preisbewusste Gesellschaft. Es ändert sich aus Umweltschutzgründen gerade sehr viel, aber die große Masse schaut immer noch primär auf den Preis. Und da werden dann Artikel aus Asien bestellt, weil sie trotz Versandkosten günstiger sind. Sogar Tiefkühlprodukte kommen aus Asien. Das ist möglich, weil das Lohngefüge in anderen Ländern ein völlig anderes ist als bei uns und so die Ware immer noch günstiger ist, obwohl sie einmal um die Welt gefahren ist.
Wie sieht die Zukunft aus?
Kaever: Ich glaube, dass die Paketmengen weiter steigen werden und die Kapazitäten in den Verteilzentren wachsen müssen. Weil es aus Umweltschutzgründen immer schwerer wird, neue Flächen dafür zu bekommen, sind vor allem vertikale Sortierkonzepte ein großes Thema, das uns in der Forschung vor ganz neue Herausforderungen stellt. Da braucht es ganz neue Konzepte in der Fördertechnik. Unter anderem aber auch deswegen, weil sich die Verpackung und Befüllung von Postsendungen weiter ändern werden.
Ich habe mir auch die Frage gestellt, was passiert, wenn diese Prognosen doch nicht eintreffen und viele Investitionen umsonst waren. Die Versandunternehmen müssen ja heute darauf reagieren, um morgen die notwendigen Kapazitäten bereitstellen zu können. Und wenn das dann nicht so eintrifft, dann war sehr viel umsonst.
Da fällt mir gerade ein… ich muss noch etwas bestellen. (Lacht)