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Logistik: Trubel auf unseren Transportwegen

14.01.2020 | Planet research | FoE Mobility & Production

Von Birgit Baustädter

Hohe Bestellfreudigkeit sorgt für Trubel auf den Transportwegen. Logistik-Forschende an der TU Graz möchten den Warenverkehr umweltfreundlicher und effizienter gestalten – mit zahlreichen Ideen.

Eine TU Graz Forschungsgruppe des Instituts für Technische Logistik forscht daran, die Logistik umweltschonender und effizienter zu gestalten. © Lunghammer – TU Graz

Irgendwo im Nirgendwo lässt ein Produkt die Beine über die Kante seines Regalplatzes im Warenlager baumeln und wartet geduldig – Schulter an Schulter mit elektrischen Zahnbürsten, intelligenten Staubsaugrobotern und automatischen Hundetüren. Ein Klick auf einen Handybildschirm mehrere hundert Kilometer entfernt wird sein Warten bald beenden. Das geduldige Produkt wird gesucht und gefunden – zwei Hände greifen nach ihm, tragen es fort und packen es in kühlen Karton, dessen Farbe noch sanft an Baumrinde erinnert. Auf dem Bauch des Pakets prangt fein säuberlich ein Adress-Etikett. So wird aus dem Produkt ein Paket und die lange Reise beginnt.

„Auch im Zeitalter der digitalen Transformation und Automatisierungsprozesse werden die meisten Produkte in modernen Warenlagern nach wie vor von Menschen gesucht, mit großen Einkaufswägen per Hand zwischen den Regalreihen transportiert und zu einem Auftrag zusammengestellt“, erklärt Christian Landschützer vom Institut für Technische Logistik der TU Graz. Aus dem Bestreben, „technische Geräte besser zu machen“, entwickelte er seine Leidenschaft für Logistik. Sein Ziel: Das Produkt so umweltfreundlich und effizient wie möglich vom Warenlager zum Bestimmungsort bringen.

Christian Landschützer steht hinter einem Regal, in dem Kisten gestapelt sind. Er blickt durch einen Spalt im Regal.

Logistiker Christian Landschützer im raumhohen Versuchs-Regal in der Grazer Inffeldgasse.

Im Verteilzentrum

Das kleine Paket ist mittlerweile auf einem Transport-LKW gelandet und auf dem Weg ins nächstgelegene Verteilzentrum. Auch dort braucht es noch zahlreiche helfende Hände. Im wahrsten Sinne des Wortes: Die Be- und Entladung der Transporter erfolgt händisch. Als „Nadelöhr in der Verteilung“ bezeichnet Christian Landschützer diesen Punkt in der Lieferkette. Rund eine Stunde wird dafür benötigt, bis das kleine Paket und seine Artgenossen am Förderer liegen. Danach geht alles automatisch. Dieses Nadelöhr effizienter zu gestalten, hatten sich Landschützer und sein Team am Institut für Technische Logistik im Projekt EAGLE vorgenommen und eine automatische Paketentladevorrichtung, eine Art „Entladeteppich“, entwickelt. Aus dem Projekt ist ein StartUp mit dem Namen PHS entstanden. „Das Entladen haben wir damit automatisiert – beim Beladen stehen uns allerdings noch einige Hürden und Entwicklungsjahre bevor“, so Landschützer, dessen ehemalige Kollegen Andreas Wolfschluckner und Matthias Fritz nun die Rapid Unloader genannte Entladevorrichtung vertreiben und weiterentwickeln.

Am Weg zum Bestimmungsort

Das kleine Paket wandert nun bereits mit beachtlichem Tempo auf dem Förderer, dem sogenannten Sorter, im Kreis – bis zu drei Meter pro Sekunde, gerade so schnell, dass es in der Kurve keinen „Abflug“ riskiert und trotzdem zügig vorankommt. Das Adress-Etikett wird maschinell eingelesen, das Paket nach Bestimmungsort automatisch sortiert und auf einen weiteren LKW geladen, der es ins dem Zielort am nächsten gelegene Sortierzentrum bringt. Dort wird es von einem Zustelldienst abgeholt, der es an die Empfängeradresse liefert.

Eine Paketbox fört auf einem Förderband im Kreis.

Im Materialflusslabor des Instituts befinden sich mehrere Versuchs-Förderer, an denen neue Ladehilfsmittel getestet und die Energieeffizienz ermittelt werden.

„Viele Forschende sind der Meinung, es sei momentan ökologischer, sich Produkte liefern zu lassen, als selbst mit dem Auto ins Einkaufszentrum zu fahren“, erklärt Landschützer und ergänzt: „Vorausgesetzt, der erste Zustellversuch ist erfolgreich.“ Klappt das nicht, braucht es einen zweiten oder dritten Zustellversuch – oder der Lieferdienst hinterlegt das Paket an einem anderen Ort, wo es der Empfänger oder die Empfängerin abholen muss. Das führt dazu, dass die sogenannte „letzten Meile“ die ineffizienteste in der Lieferkette und auch aus ökologischer Sicht problematisch ist. Das Institut für Technische Logistik der TU Graz widmet sich diesen Problemen aktuell im Projekt SoWAS. Gemeinsam mit dem ebenso an der TU Graz beheimateten Institut für Straßen- und Verkehrswesen sowie mit mehreren externen Partnern entwickelten die Forschenden eine anbieterunabhängige Packstation, die ab Jänner 2020 am Campus Neue Technik getestet wird. Das Besondere daran: Das System steht nicht nur den sogenannten KEP-Diensten (Kurier-, Express- und Paketdienste) offen. Auch Privatpersonen können die Boxen nutzen, um Dinge für andere Personen zu hinterlegen.

Andere Wege der Zustellung testeten Forschende der TU Graz bereits 2017: Testweise navigierte ein Postwagen autonom in der Grazer Innenstadt und stellte Paketsendungen an ausgewählte Empfängerinnen und Empfänger zu. In entlegenen Regionen demonstrierte die TU Graz und die Österreichische Post die Machbarkeit einer Warenzustellung via Luftpost – mit autonomen Drohnen.

Physical Internet: Wenn das Internet nicht Daten, sondern Waren transportiert

Das kleine Paket liegt nun also bereits vor einer Haustüre und wartet darauf, geöffnet zu werden. Sein Weg war weit, durchgeplant, aber nicht immer optimal für unsere Umwelt transportiert. Auch hier setzten die Grazer Forschenden an.

„Stationäre und E-Commerce-Händler haben ihre je eigenen Logistik-Systeme perfektioniert“, erklärt Christian Landschützer. „Aber es gibt wenig Zusammenarbeit.“ Die Warenzustellung funktioniert, aber die Zustellenden fahren die Hälfte ihrer Strecken leer oder nur zum Teil beladen. „Vom Verteilzentrum zum Bestimmungsort nimmt der Transporter Güter mit, in die Gegenrichtung hat er aber nichts zu transportieren.“ Eine Lösung für diese vielen tausend täglichen Leerfahrten sieht Landschützer im Physical Internet: Ein Netzwerk an Warentransporten, in dem der Handel und Transportunternehmen zusammenarbeiten, Waren unterschiedlicher Anbieter gemeinsam transportieren und so für eine Vollauslastung der Transporter auf allen Strecken sorgen.

Zwei weiße Transportboxen.

Im Projekt MODULUSHCA entwickelten die Forschenden modulare, verbindbare Transportboxen.

Es gilt allerdings noch Detailprobleme zu lösen, die ein gemeinsames Transportieren von Waren mit den Mitbewerbern derzeit noch unattraktiv machen, wie beispielsweise die Diebstahlsicherheit, die Kostenabrechnungsmodelle inkl. Haftungsfragen und Betriebsspionage durch den Mitbewerb. „Wir haben im Projekt MODULUSHCA eine Lösung in Form einer eigenen Transportbox entwickelt, die die Waren schützt. Die Boxen sind stapelbar wie Lego-Steine und nutzen so im Verbund den im Transporter vorhandenen Platz optimal aus“, erklärt Landschützer. 

Lesen Sie in einem Blogbeitrag mehr über das Thema Physical Internet.

Auch eine Flexibilisierung der Lieferzeiten wäre ökonomisch und ökologisch sinnvoll, so Landschützer: „In der Logistik geht es nicht darum, alles so schnell wie möglich zu liefern. Sondern zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen. Deshalb sollten Endkundinnen und Endkunden auch entscheiden können, wann sie ein Produkt bekommen wollen – zum Beispiel könnte die Lichterkette für den ersten Adventsonntag auch gut erst in einem Monat geliefert werden, auch wenn sie schon Anfang November bestellt wurde. Zum gewünschten Liefertermin muss sie aber verbindlich angekommen sein. „Das ist derzeit noch nicht machbar, also wollen wir alles so schnell wie möglich geliefert bekommen – koste es, was es wolle“, so Landschützer.

MULE – ein Konzept für die Zukunft?

Im Sondierungsprojekt MULE (Mobile Multifunctional Urban Logistics-Platform with Electric Drive Train) entwickelte eine Forschungsgruppe mit Beteiligung der TU Graz-Institute für Technische Logistik und für Fahrzeugtechnik ein Konzept für ein nachhaltiges urbanes Transportsystem.

Das System basiert auf einem flexiblen ein- oder zweistufigen Warenumschlag- bzw. Transportsystem und auf elektrisch betriebenen, teils autonomen Lieferfahrzeugen: Große Lagerhubs befinden sich in der Nähe wichtiger Verkehrs- und Schienenwege, außerhalb der Ballungszentren. Funktions- und kostenoptimierte Elektrofahrzeuge holen sie dort ab und stellen sie an die gewerblichen Empfängerinnen und/oder an City/Mikrohubs zu. Passend zum Distributionskonzept wurden zwei e-Fahrzeugkategorien untersucht, in den Einzelfahrzeugklassen 3,5 bzw. 18 Tonnen.

Für den lokalen Verteilverkehr können sehr kostengünstige mittelschwere Elektro-LKW konzipiert werden. Durch die längeren Be- und Entladezeiten besteht die Möglichkeit zwischendurch immer wieder nachzuladen. Damit kann die teuerste Komponente eines elektrischen Nutzfahrzeuges - die Batterie - auf die Dimension und das Kostenniveau der Batterie eines mittleren Elektro-PKW gesenkt werden.

Mit einer Fakultätsinitiative für mehr Umweltverträglichkeit

Mit der Initiative “Nachhaltige Personen- und Gütermobilität“ der Fakultät für Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwissenschaften wollen sich zehn Forschende in den kommenden Jahren noch weiter mit der Ökologisierung des Transportwesens beschäftigen. Aber es ist ein weiter Weg, wie Landschützer beschreibt: „Das derzeitige System funktioniert für Kundinnen und Kunden sowie Betreiber nahezu, aber nur vermeintlich optimal. Es auszutauschen geht nicht von heute auf morgen, weil niemand riskieren kann, dass die Supermarktregale plötzlich leer sind. Das kann verheerende gesellschaftliche Auswirkungen haben. Wie wichtig Logistik ist merkt man erst, wenn sie einmal nicht funktioniert und Waren nicht ankommen. Wir reden derzeit von einer Vision für das Jahr 2050.“

Dieses Forschungsfeld ist im Field of Expertise „Mobility & Production“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
Mehr Forschungsnews finden Sie auf Planet research. Monatliche Updates aus der Welt der Wissenschaft an der TU Graz erhalten Sie über den Forschungsnewsletter TU Graz research monthly.

Information

Im Robotic-Studierendenteam GRIPS (Graz Robust and Intelligent Production System) können Studierende sich in der Entwicklung von Robotern für den industriellen Einsatz – wie die Logistik – erproben. Das Team beschäftigt sich mit künstlicher Intelligenz sowie der Darstellung und Verarbeitung von Wissen – mit der Robotik als Anwendungsbereich. Um die entwickelten Technologien standardisiert mit anderen vergleichen zu können, nimmt das Team an Robotik Wettkämpfen und der RoboCup Weltmeisterschaft teil. Gestartet wird in der Kategorie Logistics, in der vollständig autonome Roboter intelligent und flexibel Produktionsschritte umsetzen müssen. Mehr Informationen: Website Studierendenteam GRIPS.

Kontakt

Christian LANDSCHÜTZER
Assoc.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Technische Logistik
Inffeldgasse 25/E
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 7325
landschuetzernoSpam@tugraz.at