News+Stories: Warum ist der Leichtbaugedanke gerade im Bereich Schiene so wichtig?
Peter Brunnhofer: Die Wechselwirkung zwischen dem Fahrzeug und der Schiene ist im Bereich Bahn wesentlich höher als etwa bei Autos auf einer Straße – hier geht es um Stahl auf Stahl statt um luftgefüllte Reifen auf Asphalt. Schienenfahrzeuge können den Fahrweg stark belasten. Der Trend in unserem Bereich ist es deshalb, nicht mehr die einzelnen Teilsysteme, wie Schienenfahrzeug und Oberbau, isoliert zu betrachten, sondern als Gesamtsystem. Früher wurde ein hohes Augenmerk auf die Anschaffungskosten gelegt – heute richtet sich der Blick aber viel mehr auf den gesamten Lebenszyklus bzw. die Total Costs of Ownership. Kurz gesagt: Wer beim Kauf auf das falsche Fahrzeug setzt, wird im Betrieb sehr hohe Kosten haben. Falsch ausgelegte Fahrzeuge können das Schienennetz stark schädigen.
Gibt es noch weitere Trends im Bahnwesen?
Brunnhofer: Ja. Man geht immer stärker weg von der geplanten Instandhaltung. Darunter versteht man, dass gewisse Teile nach bestimmten Intervallen, etwa einer bestimmten Fahrleistung oder Einsatzdauer, ausgetauscht werden – unabhängig davon, ob eine Beschädigung oder Ermüdung vorliegt. Der Trend geht hin zur Überwachung der einzelnen Bauteile und zu Vorhersagen von notwendigen Wartungen. So kann die Instandhaltung effizient, flexibel und kostengünstig durchgeführt werden.
Genau in diese Richtung bewegen wir uns in unserer Forschung auch. Der Leichtbau ermöglicht es uns, weniger ungefederte Masse auf der Schiene zu bewegen. Das hat zwei Vorteile: Zum einen sinkt die Belastung auf die Schiene und zum anderen können mehr Personen oder Fracht befördert werden.
Und wir arbeiten an Methoden der gezielten Überwachung von Bauteilen, um Wartungsintervalle effizient zu gestalten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Brunnhofer: Wir arbeiten seit Jahren sehr gut mit dem Unternehmen Siemens Mobility in Graz zusammen. Gemeinsam ist ein sehr spannendes Patent entstanden: eine Leichtbauradsatzwelle. Die hohen Beschleunigungen, die Schienenfahrzeuge haben, sorgen für hohe Belastung. Die Leichtbauradsatzwelle besteht nicht wie üblich aus Vollmaterial, sondern aus einem dünnwandigen Rohr mit größerem Durchmesser, wodurch das Gewicht deutlich reduziert werden konnte.
Diese Radsatzwelle ist aber nicht nur leicht, sondern überwacht sich auch selbst. Die Radsatzwellen werden in regelmäßigen Abständen auf Risse geprüft. Das ist deshalb so wichtig, weil sie ein sicherheitskritisches Bauteil ist. Ein Versagen kann zu schwerwiegenden Folgen führen. Für die Zeit der Überprüfung muss das Fahrzeug aus dem Verkehr genommen werden. Diese Leichtbauradsatzwelle ist nun so gebaut, dass im Betrieb eine laufende Überprüfung möglich ist. Die Hohlwelle ist mit einem Überdruck versehen, der laufend mittels Sensoren überprüft wird. Fällt der Druck, dann wissen wir, dass es einen Riss gibt. Dieser Riss ist noch nicht sicherheitskritisch, sodass das Fahrzeug noch problemlos in die nächste Werkstatt fahren kann.
Die Eisenbahn gilt nun nicht als klassischer Innovationstreiber. Oder täuscht hier der Eindruck?
Brunnhofer: Zu Unrecht gilt die Eisenbahn nicht als klassischer Innovationstreiber bzw. als klassisches Anwendungsgebiet für den Leichtbau. Man denkt hierbei in erster Linie an Materialien wie Carbon, Titan, Kunststoffe oder ähnliche Werkstoffe. Aber in den seltensten Fällen an Stahl. Bei Leichtbau geht es darum, unter vorgegebenen funktionalen und ökonomischen Randbedingungen das Gewicht zu minimieren, und das unter Gewährleistung der Systemzuverlässigkeit über die gesamte Einsatzdauer. Ein Fahrwerk ist klassischerweise zwischen 30 und 40 Jahre im täglichen Einsatz. Bei einem Auto sprechen wir nach dieser Zeit schon von einem Oldtimer. Unter den gegebenen Umständen ist Stahl für Strukturbauteile im Drehgestell deshalb immer noch die erste Wahl. Und auch hier sind immer noch Innovationen möglich.
Ein großer Unterschied etwa zum Auto-Markt ist, dass es im Entwicklungsprozess keine Prototypenfahrzeuge gibt. Deshalb ist der sogenannte Digital Twin sehr wichtig – also die digitale Abbildung. Es ist essentiell, aber auch sehr aufwendig einzuschätzen, ob ein Material mit der langen Lebensdauer und den hohen Belastungen eines Schienenfahrzeuges zurechtkommen kann. Aber auch das ist eine Stärke unseres Instituts.
Welche Infrastruktur besitzt das Institut, um Bauteile zu prüfen?
Brunnhofer: Am großen Prüffeld unseres Instituts in der Inffeldgasse arbeiten wir mit servohydraulischen Zylindern, die Ermüdungsversuche im großen Stil möglich machen. Es werden hier Langzeitversuche von über 10 Millionen Lastenwechseln durchgeführt, aber auch Werkstoffcharakterisierungen und Modellvalidierungen. Wir können mit unseren Anlagen von der Kleinprobe bis zur kompletten Komponente – etwa einem ganzen Drehgestell – jegliche Bauteile testen. Jeder Versuch ist in gewisser Weise einzigartig, wodurch wir Sonderprüfstände bauen, die die Anforderungen der einzelnen Tests individuell bestens bedienen können. Die Herausforderung ist, in kurzer Zeit realitätsgetreue Belastungen zu erzeugen, die zu realitätsnahen Schädigungen führen.
Daneben haben wir zwei Radsatzwellenprüfstände, wo auch die Leichtbauradsatzwelle auf Betriebsfestigkeit geprüft wurde, und mehrere Kleinprüfstände. Und seit kurzer Zeit betreiben wir einen völlig neuen Prüfstand für Schienenfahrzeuge, mit dem wir Bremsen und auch deren Wechselwirkung mit dem der vor allem die Bremsen testen kann.
Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Mobility & Production“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
Mehr Forschungsnews finden Sie auf Planet research. Monatliche Updates aus der Welt der Wissenschaft an der TU Graz erhalten Sie über den Forschungsnewsletter TU Graz research monthly.