Verlässlichkeit ist ein großes Thema im Leben von Kay Römer. Im TU Graz-Forschungsleitprojekt „Verlässlichkeit im Internet der Dinge“ arbeitet er nicht an neuen, smarten Anwendungen. Sondern daran, dass wir uns auf die vorhandenen verlassen können.
News+Stories: Sie koordinieren das TU Graz-Leadprojekt „Verlässlichkeit im Internet der Dinge“. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Kay Römer: Die Thematik, die wir uns im Projekt anschauen, ist die Erweiterung des Internets, so wie wir es kennen. Alltagsdinge sind immer häufiger mit kleinen Computern ausgestattet, die sie ans Internet anbinden. Eine der ursprünglichen Anwendungen ist das „Smart Home“, wo ich zum Beispiel überwache, ob es daheim warm oder kalt ist. Derzeit geht es aber hin zu kritischen Anwendungen. Das können gesundheitliche Parameter sein, die überwacht werden, oder Fabriken, in denen Werkzeuge und Maschinen miteinander vernetzt sind. Bis hin zu Autos, die miteinander kommunizieren, um selbstständig in Kolonnen fahren zu können. Wenn da etwas ausfällt, kann Schlimmes passieren. Deswegen brauchen wir Systeme, auf die wir uns verlassen können. Das ist der Hintergrund. Und da gibt es viel zu tun, denn wir reden hier über ein globales Phänomen von mehr als 50 Milliarden smarten Dingen aus den Bereichen Gesundheit, Verkehr oder Produktion, die bis 2020 in das „Internet der Dinge“ integriert werden sollen.
Da gibt es viel zu tun, denn wir reden hier über ein globales Phänomen von mehr als 50 Milliarden smarten Dingen aus den Bereichen Gesundheit, Verkehr oder Produktion.
Trotz dieser breiten Anwendung ist es möglich, ein Projekt daraus zu formulieren?
Kay Römer: Genau. Man kann sich das wie eine Kette vorstellen: Wenn ich an ihr ziehe, dann ist die Kette nur so stark wie ihr schwächstes Glied. So ähnlich ist das auch bei den Systemen, mit denen wir uns beschäftigen. Es gibt die Drahtlos-Kommunikation zwischen den Geräten, aber auch die eigentliche Berechnung, die auf den Computern stattfindet und darüber hinaus Regelungsaufgaben, wenn man ein Fahrzeug automatisch in der Spur halten will. Ich muss mir alle Funktionen eines Systems anschauen und tiefgreifend darüber nachdenken, wie es zu konstruieren ist. Alle Komponenten eines Systems verlässlich zu machen, das bedeutet natürlich, dass es entsprechendes Spezialwissen in den jeweiligen Bereichen braucht. Im Projekt bündeln wir die Themenbereiche von zehn Kollegen aus verschiedenen universitären Instituten, um alle sicherheitskritischen Aspekte zu betrachten – sodass jedes Glied in der Kette entsprechend stark ist.
Die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Fachrichtungen ist also wirklich fundamental?
Kay Römer: Sie ist grundlegend, weil ich alleine nur einen Teilausschnitt solcher Systeme betrachten kann. Mein Thema sind zum Beispiel die drahtlos vernetzten, eingebetteten Systeme – aber wie gesagt, das ist nur ein Glied in der Kette.
Haben Sie privat einen Haushalt mit vielen smarten, selbstdenkenden Systemen?
Kay Römer: Interessanterweise ist es bei mir eigentlich anders rum. Ich bin sehr zurückhaltend mit diesen Technologien. Wahrscheinlich kommt das daher, weil ich weiß, dass es hier und dort noch hakt.
Wie könnten sich die Ergebnisse aus dem Leadprojekt auf mein Leben auswirken?
Kay Römer: Das „Internet der Dinge“ ist nichts Hypothetisches mehr, das findet schon statt. Es geht schon bei Internetradios los. Der eine oder die andere hat vielleicht einen Nestthermostat (Anm. ein Thermostat, der selbstständig die Temperatur im Wohnraum regelt) oder eine andere Home-Automatisierungslösung bei sich zu Hause. Wir sind also schon mitten in dem Trend. Unser Ziel ist es nicht, neue Funktionen zu schaffen, sondern sicher zu stellen, dass uns das Ganze nicht auf die Füße fällt. Analog nehme ich manchmal das Energienetz als Beispiel. Solange es funktioniert und der Strom aus der Steckdose kommt, sind wir alle zufrieden, aber wenn es einen Stromausfall gibt, bricht alles zusammen. Beim Internet der Dinge wird es auch so sein. Solange es funktioniert, sind wir alle glücklich und zufrieden, aber wenn es ausfällt, bricht unsere Welt zusammen. Unser Ziel ist es, genau das zu verhindern.
Wenn ich mich einmal zu etwas verpflichtet habe, mache ich es auch.
Inwiefern spielt Verlässlichkeit als Grundsatz in Ihrem Leben eine Rolle?
Kay Römer: Wenn ich mich einmal zu etwas verpflichtet habe, mache ich es auch. Und ich mache es gut und rechtzeitig. Dazu gehören für mich Eigenschaften wie Vertraulichkeit oder auch Integrität, Verfügbarkeit – die eben insgesamt die Verlässlichkeit ausmachen - das liegt mir am Herzen.
Sie stehen zu ihrem Wort?
Kay Römer: Ich stehe zu meinem Wort.
Ihre Forschungsprojekte wurden zum Beispiel vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung, von der Europäischen Kommission, Industriepartnern oder dem Deutschen Bundeswissenschaftsministerium finanziert. Welche Ihrer Eigenschaften macht Sie so erfolgreich?
Das Geschick besteht darin, sich zu überlegen, was das Gegenüber für Wünsche und Erwartungen hat und genau darauf einzugehen.
Kay Römer: Eine gute Idee ist die Grundvoraussetzung, um einen Antrag durchzubekommen. Es reicht aber nicht, eine Idee zu haben und sie dann durchzuboxen. Wenn man heute einen Antrag auf europäischer Ebene einreicht, hat man oft nur eine fünfprozentige Chance, dass er akzeptiert wird. Die Förderagenturen überlegen sich sehr gut, was die relevanten Forschungsthemen sind. Das Geschick besteht darin, sich zu überlegen, was das Gegenüber für Wünsche und Erwartungen hat und genau darauf einzugehen. Die entscheidende Voraussetzung dafür ist Empathie, Einfühlungsvermögen. Wichtig ist außerdem ein gutes Netzwerk von Kontakten und Leuten. Bei vielen Projekten muss ein Konsortium, ein Team von Forschenden, aufgebaut werden. Die richtigen Leute sind nicht nur die Leute, die einen guten Namen haben sondern eben auch Leute, mit denen man hinterher verlässlich und gut arbeiten kann.
War es immer schon Ihr Ziel, in der universitären Forschung erfolgreich zu sein?
Kay Römer: Meine Zeit in Frankfurt hat mich geprägt. Dort habe ich als studentischer Projektmitarbeiter und später als Diplomand früh einen guten Mentor gefunden. Er war selbst Dissertant und wissenschaftlicher Mitarbeiter, hat mich an die Hand genommen und mich in diese Welt eingeführt, mich unterstützt und motiviert. Seit dieser Zeit ist mir klar, dass ich das verfolgen werde. Mir war aber gar nicht bewusst, wie unwegbar und nicht einfach so eine Karriere ist. Man muss darauf vorbereitet sein, dass man drei, vier Mal den Arbeitgeber wechselt, bevor man an einem Ort ankommt, an dem man bleiben möchte.
Ab einer gewissen Stufe auf der Karriereleiter sind Forschende eigentlich „Mädchen (oder Jungs) für alles“.
Was hat Sie dorthin gebracht, wo Sie jetzt stehen?
Kay Römer: Das Wichtigste ist Neugier. Ich kenne viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die ein bisschen Kind geblieben sind. Das meine ich in dem Sinne, dass sie Spaß an ihrer Forschung haben. Als Kind habe ich immer die Dinge auseinander genommen, weil ich wissen wollte, wie sie funktionieren. Das hat mir viel Ärger mit meinem Vater eingebracht. Diese Neugier Funktionsweisen zu verstehen und dann Lösungen zu finden, die besser sind als das Dagewesene – das ist eine ganz grundlegende Eigenschaft. Das zweite ist die Fähigkeit zum Multitasking. Ab einer gewissen Stufe auf der Karriereleiter sind Forschende eigentlich „Mädchen (oder Jungs) für alles“. Neben Lehre und Forschung gibt es viele administrative Tätigkeiten – einerseits die akademische Selbstverwaltung, aber auch die Pflege der internationalen Kontakte und mehr. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Aufgaben ich habe. Damit klar zu kommen ist eine Herausforderung.
Also ist die Karriere mit den richtigen Voraussetzungen planbar?
Kay Römer: Ich beschäftige mich seit längerem mit in vernetzten Systemen eingebetteten Alltagsgegenständen. Als ich zu meiner Promotionszeit an der ETH Zürich war, ging diese Thematik erst los und ich hatte zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle das richtige Thema – und ein gut vernetztes Umfeld. Das bezeichne ich als Glücksfall: Wenn die notwendigen Voraussetzungen da sind. Und dann braucht man gleichzeitig die Neugierde und Beharrlichkeit.
Worauf arbeiten Sie beruflich am intensivsten hin?
Kay Römer: Zuletzt hat mich die Vorbereitung auf die Zwischenevaluierung für die zweite Phase des TU Graz-Leadprojekts beschäftigt. Längerfristig geht es mir darum, dass ich die Dinge, die wir an der TU Graz und in der Steiermark machen, auf internationaler Ebene noch besser positioniere. Als ich nach Graz gekommen bin, habe ich etwas Interessantes beobachtet: Ich kannte das Umfeld nicht und war positiv überrascht, was hier alles passiert. Wir brauchen uns in vielen Bereichen vor einer ETH Zürich keineswegs zu verstecken – sowohl was die administrativen Strukturen als auch die Forschung betrifft. Auch das Firmenumfeld ist toll und dynamisch. Es passiert viel. Nicht umsonst ist die Steiermark die europäische Region, wo gemessen an der Größe am meisten in Forschung und Entwicklung investiert wird. Es liegt mir sehr am Herzen, dieses Potential und die großartige Forschung nach außen zu zeigen. Das kann ich nicht alleine sondern nur in größeren Gruppen und Verbünden – wie im Leadprojekt, und im Field of Expertise „Information, Communication & Computing“. Daher geht ein großer Teil meiner Arbeitszeit und meines Engagements auch in größere Kooperationen über die TU Graz hinaus.
Kay Uwe Römer hat seine frühe Jugend in der Nähe von Dresden verbracht, an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main studiert und über Stationen an der ETH Zürich und an der Universität zu Lübeck an die TU Graz gefunden. Der international anerkannte Experte im Bereich vernetzter eingebetteter Systeme leitet seit 2013 das Institut für Technische Informatik an der TU Graz und koordiniert derzeit mit dem Field of Expertise „Information, Communication & Computing“ eines von fünf Forschungsstärkefeldern der TU Graz. Im COMET-Kompetenzzentrum Pro²Future entwickelt er gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie Produkte und Produktionssystemen der Zukunft. Außerdem betreut er eine eng an das Institut für Technische Informatik angebundene Forschungsgruppe am Complexity Science Hub Vienna , die komplexe Systeme wie zum Beispiel das Finanzwesen oder die Industrie analysiert. Das Ziel: die Verlässlichkeit dieser Systeme zu erhöhen und Zusammenbrüche wie einen Finanzcrash oder Einbrüche von industriellen Lieferketten zu verhindern.