„Mein Vater hatte früher ein Motorrad“, erzählt Ricardo Buzolin, nur um sich gleich lachend zu korrigieren. „Mein Vater hat früher ein Motorrad gehabt.“ Denn Ricardo Buzolin liebte es, als junger Mann Dinge auseinander zu nehmen, um herauszufinden, wie sie gemacht wurden. Wobei, im Falle des Motorrades hatte er sogar die Erlaubnis dazu. „Mein Vater hatte dieses alte Motorrad. Es hat nicht mehr funktioniert. Anstatt es wegzuwerfen hat er es genutzt, um seinen Sohn für mehrere Monate zu unterhalten“, erzählt er mit einem breiten Lächeln. „Wir haben das Motorrad gemeinsam Stück für Stück auseinandergenommen und uns alles angesehen. Das habe ich geliebt.“
Mein Vater hatte früher ein Motorrad...
Vom Ingenieurswesen zur Materialwissenschaft
So begann für Ricardo Buzolin die Liebe zu Maschinen, die ihn zuerst zu einem Ingenieur-Studium an der Universität St. Paulo in Brasilien und später in die Materialwissenschaften führte. „Meine Sicht damals war, dass das Ingenieurswesen die Basis aller Dinge ist und es dann alle Möglichkeiten gibt.“ Noch im ersten Studienjahr begann er sich für Materialien zu interessieren, denn: „Ich habe mir als Ingenieur alles in sehr großem Maßstab angesehen, fand es aber extrem wichtig, die Materialien auch auf dem atomaren Level zu untersuchen, um eine Maschine zu entwickeln.“ Über seinen Diplom-Betreuer fand er schließlich den Weg ins deutsche Geestacht, wo er 2016 zuerst seinen Master abschloss und anschließend als Forscher arbeitete. Für sein Doktoratsstudium kam er an die TU Graz – in das CD Labor für Design of High Performance Alloys via Thermomechanical Treatments unter Cecilia Poletti, wo er nun als PostDoc tätig ist.
Ricardo Buzolin hat für seine Arbeit den Nachwuchspreis der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde erhalten.
Modelle beschreiben, was im Material geschieht
Sein Forschungsinteresse gilt der Metallurgie und den Leichtbaumaterialien. Er untersucht Werkstoffe wie Titan-, Aluminium- und Nickellegierungen. „Ich untersuche, was im Material passiert, wenn es verarbeitet wird, wenn es in Form gebracht wird.“ Der junge Forscher entwickelt Modelle, die die Materialien bis ins kleinste Detail beschreiben, um der Industrie zu ermöglichen, Prozesse zu designen und zu verbessern. „Das Ziel ist es, die Materialeigenschaften soweit es möglich ist zu optimieren und vorherzusagen, wie sich das Material unter bestimmten Prozess- und Gebrauchsbedingungen verhalten wird.“
Flugzeughersteller vs. Autoindustrie
Ein starker Fokus seiner Forschung liegt heute liegt auf Titan-Legierungen für die Flugzeugindustrie – ein großer Unterschied etwa zu Anwendungen in der Autoindustrie, auf die Buzolin in anderen Projekten abzielte. „Der große Unterschied ist die Zeit, in der Änderungen implementiert werden. Die Autoindustrie will das Material und die Prozesse so schnell wie möglich verbessern. Sie müssen normalerweise in wenigen Monaten mit ihren Innovationen auf den Markt kommen.“ Flugzeughersteller planen hingegen in Jahren. Sie müssen das Maximum aus den Materialien unter höchsten Sicherheitsanforderungen herausholen. Die Zeit ist hier ein geringerer Faktor.“
Neugierde und Nachhaltigkeit sind sein Antrieb
Seine eigene Motivation für die Arbeit ist dieselbe, wie es schon beim Zerlegen des Motorades mit seinem Vater war: Neugierde. „Ich möchte ständig neue Dinge lernen und Themen weiterbringen, über die Menschen die vergangenen zwei Jahrhunderte nachgedacht haben. Die Fragen, die wir am Institut bearbeiten, sind seit der ersten industriellen Revolution relevant.“ Aber noch ein weiteres Thema treibt den Brasilianer an: die Nachhaltigkeit. „Ich sehe unsere Arbeit als Motor für die Digitalisierung. Um Produktionsprozesse zu digitalisieren braucht es gute, einfache und robuste Modelle. Mit digitalisierten Arbeitssabläufen wiederrum können wir Ressourcen sparen und so die Umwelt schützen. Natürlich ist es nur ein kleiner Tropfen, aber viele Tropfen gemeinsam machen ein Meer.“
Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Advanced Materials Science“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
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