2018 wurde der umtriebige Kärntner mit der Eurographics Gold Medal der European Association for Computer Graphics für seine Verdienste im Bereich Computergrafik ausgezeichnet. Und diese Verdienste sind vielfältig: Seine Karriere begann der heute 59-Jährige an der TU Graz, an die er nach langjährigen Auslandsaufenthalten 2005 wieder zurückkehrte, um das Institut für Computer Graphik und Wissensvisualisierung aufzubauen. Ende 2006 übernahm er die Leitung des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD mit Standorten in Darmstadt, Rostock und Singapur. Heute ist er darüber hinaus als Geschäftsführer von Fraunhofer Austria aktiv und splittet seinen Arbeitsalltag seither zwischen Deutschland, Graz und einem bequemen Sitz im Flugzeug.
Die Eurographics Gold Medal wird seit 2016 jährlich von der European Association for Computer Graphics für Verdienste im Bereich der Computergrafik vergeben. Bisherige Preisträger sind José L. Encarnação, David Duce, Hans-Peter Seidel und Werner Purgathofer. 2018 wurde gemeinsam mit Dieter W. Fellner Pere Brunet mit der Gold Medal ausgezeichnet.
News+Stories: Sie sind heute nicht nur Leiter des Instituts für Computer Graphik und Wissensvisualisierung der TU Graz, sondern auch Leiter des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD mit Hauptsitz in Darmstadt. Wie gelingt Ihnen dieser Spagat?
Dieter W. Fellner: Wenn Sie meine Frau fragen würden, dann lebe ich entweder nirgendwo oder im Hotel (lacht). Meine Familie lebt in Darmstadt, aber ich versuche, oft in Graz vor Ort zu sein, und bin auch deshalb viel im Flugzeug. Die Flugverbindungen sind mittlerweile ausgezeichnet und ich kann mich nach Feierabend nach Graz auf den Weg machen und bin am nächsten Abend wieder zu Hause in Darmstadt. Ich sehe mich ein bisschen als Handelsreisender im Bereich Visual Computing, weil ich auch regelmäßig die anderen Standorte des Fraunhofer IGD besuche. Wenn es sich einmal nicht ausgeht, vor Ort zu sein, dann verbringe ich viel Zeit in Videokonferenzen mit den Kolleginnen und Kollegen in Graz.
Wenn Sie meine Frau fragen würden, dann lebe ich entweder nirgendwo oder im Hotel.
Bevor ich die heutigen Leitungsfunktionen innehatte, war ich ja selbst Forscher und sehe es heute als meine Aufgabe, den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern optimale Arbeits- und Forschungsbedingungen zu schaffen – sie sollen sich nicht mit organisatorischen Dingen herumschlagen müssen. Ich habe an allen Standorten und in allen Unternehmen ausgezeichnete Teams, die ganz wunderbar die PS auf die Straße bringen – sozusagen. Die beiden Institutionen sind sehr unterschiedlich, ergänzen sich aber wunderbar.
Sie wurden gerade für Ihre Verdienste mit der Eurographics Gold Medal ausgezeichnet. Was bedeutet diese Ehrung für Sie?
Dieter W. Fellner: Ich habe mich natürlich sehr gefreut – viele haben diese Auszeichnung noch nicht erhalten. Für mich ist sie eine Anerkennung meiner Forschung und für die Unterstützung des Nachwuchses. Man freut sich ja immer sehr, wenn man erfolgreiche Studierende begleiten kann.
Die Eurographics Association ist eine der zwei international führenden wissenschaftlichen Organisationen – sie ermöglicht uns in Europa, auf Augenhöhe mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Nordamerika zu arbeiten und unsere Erfolge selbstbewusst zu vertreten. Außerdem schaffen solche Organisationen das wissenschaftliche Ökosystem, in dem heutige Karrieren entstehen können.
Haben Sie selbst noch die Gelegenheit zu forschen?
Dieter W. Fellner: Es ist heute eine ganz andere Art der Forschung. „Nur“ Forscher war ich zuletzt an der TU Braunschweig, wo ich in einem Team mit 20 bis 30 Leuten gearbeitet habe und Probleme einer bestimmten Größenordnung angegangen werden konnten. Heute, in einem Fraunhofer-Institut mit 200 bis 300 Personen, kann ich ganz andere Aufgabenstellungen bearbeiten, langfristiger denken und größeren Aufwand betreiben – auch finanziellen. Das ist für mich in gewissem Sinne „Luxus“.
Meine Dissertantinnen und Dissertanten sowie meine Tätigkeit als Gutachter bei Fördergremien sorgen außerdem dafür, dass ich immer am aktuellen Stand der Forschung bin.
Was hat Sie ursprünglich dazu veranlasst, sich mit Computergrafik und Visual Computing auseinanderzusetzen?
Dieter W. Fellner: Ich habe zuerst Technische Mathematik an der TU Graz studiert und mich auf informatische Datenverarbeitung spezialisiert. Der Kontakt zu den Lehrenden war damals sehr direkt, weil dieses Studium wenige Studierende hatte. 1977 ist Hermann Maurer an die TU Graz gekommen und hat alle diese neuen Fragestellungen mitgebracht. Ihm sind damals die Studierenden nur so nachgelaufen (lacht). Ich fand es sehr spannend und wurde Teil seiner MUPID-Arbeitsgruppe, die sich mit Bildschirmtext-Decodern auseinandergesetzt hat. Dort war ich für die grafische Aufarbeitung zuständig.
Wir sind mittlerweile in Bereiche vorgedrungen, die wir damals noch nicht einmal angedacht hatten.
Die Computergrafik hat sich in den 40 Jahren, in denen ich nun tätig bin, radikal verändert. Früher gab es die getrennten Forschungsgebiete „Mensch-Maschine-Interaktion“, „Computer Vision“ und „Computergrafik“ – heute sind sie zu einem Bereich, dem „Visual Computing“, zusammengewachsen. Wir sind mittlerweile in Bereiche vorgedrungen, die wir damals noch nicht einmal angedacht hatten. Denken wir nur an das Internet of Things oder das autonome Fahren – ohne Visual Computing käme man da nicht sehr weit. Oder auch in der Medizin: Natürlich sind es Chirurginnen und Chirurgen, die operieren, aber sie trainieren alle in der virtuellen Realität. Wo wir vor 20 Jahren noch versucht haben zu beweisen, dass diese Dinge funktionieren können, sind wir heute dabei, sie in die Gesellschaft zu bringen.
Was sind die großen Herausforderungen der Zukunft?
Dieter W. Fellner: Wir haben noch sehr viel zu tun, denn die Anwenderinnen und Anwender bekommen beim Essen erst ihren Appetit (lacht). Heute ist das maschinelle Lernen ein sehr wichtiges Thema – und vieles, was dort passiert, kommt aus der Bildverarbeitung. Frühere künstliche Intelligenzen basierten auf Regelalgorithmen und Datenbanken. Eine große Herausforderung ist es, diese regelbasierte KI mit einer datengetriebenen KI verschmelzen zu lassen – und es gibt bereits tolle Erfolge. Aber viele Anwendungen haben noch viel zu wenig Daten.
Wir haben noch sehr viel zu tun, denn die Anwenderinnen und Anwender bekommen beim Essen erst ihren Appetit.
Um wieder die Medizin als Beispiel zu nennen: Bei typischen Untersuchungen reden wir von einem Datenrahmen von 3.000- bis 4.000-dimensionalen Datenpunkten – alleine Blutwerte haben unzählige Attribute, die innerhalb dieses Rahmens liegen können. Und dort kann ich mit maschinellem Lernen ansetzen und zum Beispiel herauszufinden, welche Personen mit welchen speziellen Merkmalen auf welche Medikamente besonders gut ansprechen – also mit Phänotypen arbeiten. Ich erspare mir, alles ausprobieren zu müssen. Das ist deshalb wichtig, weil viele unserer Untersuchungen visuell sind und man als Medizinerin oder Mediziner in der Ausbildung gar nicht so viele Krankheitsfälle sehen kann, wie nötig wären. Wenn wir nun aber die Daten weltweit vernetzen, dann hätte man auf viel mehr Krankheitsfälle Zugriff und könnte sie von einer maschinellen Intelligenz durchpflügen lassen. Das kann sich natürlich auch auf die Kosten auswirken.
Eine wichtige Frage ganz zum Schluss: Online findet man Sie sowohl unter dem Namen Dieter W. Fellner als auch unter Wolf-Dietrich Fellner. Also: Dieter oder Wolf-Dietrich?
Dieter W. Fellner: (lacht) Ich bin mit Dieter aufgewachsen, heiße aber laut meiner Geburtsurkunde Wolf Dietrich. Dieser Doppelname ist dann mit meinem Reisepass und meinen vielen dienstlichen Flugreisen wieder ins Spiel gekommen. Aber ich höre nach wie vor auf Dieter.