„Wahlfachgruppe IV Elektromedizin“. Als Wahlfachbündel im Bereich Elektrotechnik startete 1970 eines der erfolgreichsten Lehr- und Forschungsgebiete der TU Graz: die Biomedizinische Technik (BMT). Nur drei Jahre später gründete sich das spezialisierte Institut für Elektro- und Biomedizinische Technik unter dem späteren Rektor der TU Graz, Stefan Schuy. 1975 wurde die Österreichische Gesellschaft für Biomedizinische Technik gegründet.
Heute sind die mittlerweile zahlreichen Institute im vor wenigen Jahren renovierten Biomedical Engineering Building in der Stremayrgasse 16 untergebracht. Der Name kommt nicht von ungefähr: Nirgendwo sonst in Österreich konzentrieren sich die Fachbereiche so an einem Ort, wie an der TU Graz. Dort beschäftigen sich nicht nur die spezialisierten Institute mit Forschung im Bereich Biomedizinische Technik, auch zahlreiche Arbeitsgruppen und Forschungsprojekte widmen sich dem breiten Überschneidungsbereich zwischen Medizin und Technik.
Für biomedizinisch interessierte Studierende besonders interessant sind die beiden aktuellen Studien im Bereich Biomedizinische Technik an der TU Graz: das Bachelor-Studium Biomedical Engineering und das Master-Studium Biomedical Engineering.
Institut für Neurotechnologie
Die Forschenden am Institut für Neurotechnologie widmen sich der Kommunikation zwischen menschlichem Gehirn und Computer. Neben dem Messen von Hirnsignalen ist auch deren Verarbeitung zentrales Thema. Die Ergebnisse münden zum Beispiel in der gedankengesteuerten Bewegung eines robotischen Armes oder einer Neuroprothese. Aber auch Neurofeedback-Systeme, kognitive Neurowissenschaften und Modellierung und Simulation von Neuronenmodellen – speziell von Astrozyten – stehen auf der Forschungsagenda.
Die Erfolge beispielsweise im ERC-finanzierten Projekt „Feel Your Reach“ zeigen, wie wichtig die Forschung in diesem Bereich ist. Instituts- und Projektleiter Gernot Müller-Putz: „Wir haben es geschafft, direkt das `attempted movement´ für die Bewegung der Neuroprothese zu nutzen: Eine querschnittgelähmte Person versuchte schlicht eine Bewegung auszuführen. Wir haben die diesbezüglichen Hirnsignale mittels EEG gemessen, verarbeitet und umgesetzt. Bisher musste ein gedanklicher Umweg genutzt und zum Beispiel an eine Bewegung der Füße gedacht werden, um die linke Hand zu bewegen.“ An der TU Graz nutzt das Team in erster Linie nicht-invasive Methoden, um Hirnsignale zu messen - wie zum Beispiel EEG. „Systeme, die direkt ins Gehirn implantiert werden, haben bereits bessere Resultate erzielen können. Aber wir haben gezeigt, dass die Steuerung einer Prothese auch mit nicht-invasiven Methoden möglich ist.“ Zusätzlich zur verbesserten und kontinuierlichen Steuerung entwickelte das Team ein Feedback-System, dass es einer querschnittgelähmten Person zusätzlich ermöglicht, eine Bewegung zum Beispiel eines robotischen Armes auch zu spüren.
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Auch die Grundlagenforschung im Bereich kognitiver Neurowissenschaften und passiver Brain-Computer-Interfaces ist wichtiger Arbeitsbereich am Institut. Und seit kurzer Zeit auch der Bereich computational Gliacience, der sich mit Neuronen-Astrozyten-Modellen beschäftigt.
Für Studierende besonders interessant ist die Möglichkeit, im Studierendenteam BCI Racing Team Mirage 91 teilzunehmen. Das Team entwickelt eigene BCI-Anwendungen, mit denen es an internationalen Forschungswettbewerben wie dem CYBATHLON teilnimmt - einem Wettkampf für Menschen mit Behinderungen, die unterstützt von modernsten technischen Assistenzsystemen beim Lösen von alltagsrelevanten Aufgaben gegeneinander antreten.
Gernot Müller-Putz und sein Team untersuchen Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer. © Lunghammer – TU Graz
Institut für Medizintechnik
In-vivo Kernspintomographie steht im Mittelpunkt des Forschungsinteresses am Institut für Medizintechnik der TU Graz. In Kooperation mit nationalen und internationalen Patner*innen wird an neuen Strategien in der MR-Bildgebung und der MR-Biomarker-Bestimmung gearbeitet. „Wir konnten mit speziellen Mehrkanal-Messverfahren und verbesserten variationellen Rekonstruktionstechniken die Grenzen der konventionellen Bildgebung deutlich überschreiten“, erklärt Institutsleiter Rudolf Stollberger. Momentan beschäftigen sich die Forschenden intensiv mit Perfusionsuntersuchungen – untersuchen also die Durchblutung im Gehirn – mittels MR und ohne Kontrastmittel. „Das ist bereits seit vielen Jahren ein wichtiges Forschungsthema in der Community. Der wirkliche Durchbruch ist uns aber erst gelungen, als wir alle neuentwickelten Methoden kombiniert haben.“
Ebenfalls wichtiges Thema ist die Verbesserung der funktionellen Informationen, die die Qualität des Bildes verbessern. Im bereits abgeschlossenen Projekt CONQUER konnte gezeigt werden, dass mittels Quadrupolresonanz bestimmte biokompatible Moleküle für die selektive Kontrasterzeugung verwendet werden können. Im gerade gestarteten Projekt „Next Generation CEST MRI“ wird ebenfalls an der Verbesserung der Bildgebung gearbeitet. „Diese Methode gibt uns Auskunft über die Anwesenheit bestimmter Moleküle. Zum Beispiel werden, wenn ein Tumor im Körper entsteht, gewisse Proteine stärker synthesiert. Diese kranheitsspezifischen metabolischen Abläufe werden mit einem CEST-Kontrast sichtbar.“
Um unter anderem diese metabolischen Vorgänge sichtbar machen zu können, benötigen die Forschenden MRTs mit möglichst hohen Feldstärken. „Hohe Feldstärken sind aber inhomogen und das entstehende Bild hat unterschiedliche Kontraste“, erklärt Stollberger einen weiteren Forschungsansatz. „Wir versuchen aktuell, mithilfe mathematischer Verfahren, die Anregungs- und Sättigungsimpulse auf eine neue Basis zu stellen und so gegen Inhomogenität zu schützen.“
Im Rahmen der BioTechMed-Graz-Forschungskooperation konnten Uni Graz und TU Graz gemeinsam ein Forschungs-MRT beschaffen, das heute seinen Platz an der TU Graz gefunden hat. Es ermöglicht einerseits, die eigenen Ideen und Entwicklungen zu testen und steht andererseits für Forschungsprojekte zur Verfügung. „Vor allem in der Psychologie sind diese Messungen eine wichtige Forschungsmethode“, weiß Rudolf Stollberger.
Anja Ischebeck (Uni Graz) und Rudolf Stollberger im MRI Lab an der TU Graz. © Lunghammer – TU Graz
Institut für Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medizinprodukte
Ziel der Forschenden am Institut für Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medizinprodukte ist es, neue technische Ansätze für die Gesundheits-Diagnostik und -Therapie zu entwickeln.
Aktuell arbeitet das Team im Projekt LOGOS-TBI (Light-controlled organic semiconductor implants for regeneration after TBI) daran, die Folgen von Gehirn-Traumata mittels neuer opto-elektronischer Simulationsverfahren zu untersuchen.
„Besonders stolz sind wir, kürzlich das weltweit erste digitale Krebszellenmodell veröffentlicht zu haben“, erklärt Instituts-Leiter Christian Baumgartner. „Damit eröffnen sich völlig neue Wege in der Krebsforschung und der Medikamentenentwicklung.“ Eine genaue Beschreibung der Forschungsarbeit finden Sie in der Pressemeldung „Weltweit erstes digitales Modell einer Krebszelle entwickelt“.
Direkt am Institut angesiedelt ist darüber hinaus die Europaprüfstelle für Medizinprodukte. Die Prüf- und Zertifizierstelle testet und zertifiziert Produktneuentwicklungen auf Normenkonformität und gewährleistet so Sicherheit und Leistungsfähigkeit dieser Produkte. „Eine universitäre Prüfstelle dieser Art ist europaweit einzigartig“, so Baumgartner. Nähere Einblicke in die Arbeit der Prüfstelle gibt der Planet research-Artikel „Prüfstelle für Medizinprodukte: Sicherheit für Patient*innen“.
Institut für Biomechanik
„Wir nutzen Zugänge und Methoden der Mechanik und Biologie, um biomechanische Vorgänge im menschlichen Körper besser verstehen und neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten entwickeln zu können“, erklärt Institutsleiter Gernot A. Holzapfel den Forschungsansatz des Instituts für Biomechanik. An eigens entwickelten Geräten untersuchen Forschende Gewebeproben in Zug-, Scher- und Versagenstests und nehmen die dabei entstehenden mikrostrukturellen Änderungen in bildgebenden Mikroskopen auf. Ziel ist es, die biomechanischen Vorgänge von menschlichen Organen bis zu körpereigenen Proteinen und deren Krankheitsverläufe besser beschreiben und simulieren zu können.
Zentral ist momentan das TU Graz-Leadprojekt Mechanics, Modeling and Simulation of Arotic Dissection. Die lebensbedrohliche Ablösung der Aortenwand – die sogenannte Aortendissektion – steht im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung. Das Projektteam rund um Gernot A. Holzapfel entwickelt Simulationsmethoden weiter, um schlussendlich patientenspezifische Modelle zu ermöglichen, anhand derer Ärzt*innen Diagnosen verbessern und Therapieoptionen testen können.
Katrin Ellermann (Institut für Mechanik) und Gerhard A. Holzapfel leiten das TU Graz-Leadprojekt "Mechanics, Modelling and Simulation of Aortic Dissection". © Lunghammer – TU Graz
Institut für Biomedical Informatics
Laila Taher, Leiterin des Instituts für Biomedical Informatics, nutzt maschinelles Lernen und Methoden aus dem Bereich Big-Data-Analyse, um das menschliche Genom zu verstehen. „Als die menschliche DNA erstmals entschlüsselt wurde dachte man, dass nun alle Geheimnisse der Menschheit gelüftet wären“, erzählt die Forscherin. „Dem ist naturgemäß nicht so. Ganz im Gegenteil: Die Entschlüsselung brachte uns eine enorme Menge an Daten, einen Bauplan unseres Körpers, der aber erst in Interaktion mit den Genen wirksam wird. Derzeit können wir diese Vorgänge noch nicht wirklich verstehen.“
Arbeits- und Projektgruppen
Neben diesen spezialisierten Instituten arbeiten mehrere Arbeits- und Projektgruppen an der TU Graz intensiv an der Verbesserung der Medizintechnik. Beispielsweise die Arbeitsgruppe Medical Image Processing am Institut für Computergrafik und Vision. Mit Blick auf die klinische Anwendung entwickeln die Forscher dort Methoden des maschinellen Lernens, um medizinische Bilder wie Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zu verarbeiten.
BioTechMed-Graz
Unter dem Namen BioTechMed-Graz haben sich die drei Grazer Universitäten TU Graz, Uni Graz und Med Uni Graz zu einem interuniversitären Verbund mit Fokus auf die biomedizinische Forschung zusammengeschlossen. Vor allem universitätsübergreifende Leuchtturmprojekte sorgen hierbei für eine internationale Sichtbarkeit des BMT-Standortes Graz.
Das 2020 abgeschlossene Projekt ILearnHeart war eines dieser erfolgreichen Leuchtturmprojekte. Im Mittelpunkt stand die klinische Bildgebung. Ziel war es, die Therapie von unheilbaren kardiovaskulären Erkrankungen zu verbessern. Entwickelt wurde ein patientenspezifisches Simulationsmodell, das bei der Diagnose und Therapieplanung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen helfen kann. Erste Studien mit dem digitalen Zwillingsherz waren vielversprechend, die Technologie soll nun in einem weiteren Projekt verfeinert werden.
Im Projekt iLearnHeart entwickelte TU Graz-Forscher Thomas Pock gemeinsam mit Kollegen von der Uni Graz und MedUni Graz ein Simulationsmodell, dass bei der Diagnose und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterstützt. © Lunghammer – TU Graz
In einem anderen Leuchtturmprojekt namens MIDAS dreht sich alles um die Autoimmunerkrankung Diabetes I. Dabei greifen die körpereigenen Immmunzellen die insulinproduzierenden Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse an und zerstören sie. Dank der Forschungserfolge kann dieser Prozess nun mittels neuester Bildgebungsverfahren dargestellt und analysiert werden.
Lange Forschungs-Geschichte
Die Forschung rund um Biomedizinische Technik hat an der TU Graz bereits eine lange und erfolgreiche Geschichte, die nun im Jubiläumsjahr gebührend gefeiert wird. Aber danach geht es für die Forschenden wieder zurück in die Labore und vor die Rechner, um weiterhin für verbesserte Medizintechnik, neue Diagnoseverfahren und Therapieoptionen zu arbeiten.
Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Human & Biotechnology“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
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