Es war die Nacht vom 3. zum 4. Jänner 2018, die den Alltag von Daniel Gruss, Michael Schwarz und Moritz Lipp sowie den Alltag ihres Doktorats-Betreuers Stefan Mangard schlagartig und von Grund auf änderte. Nach tagelangen Spekulationen auf Blogs, Social Media und in den Medien war klar: Die Entdeckung der Computer-Attacken Spectre und Meltdown war ein Schock für die IT-Welt und rückte das internationale Team, das die Lücken gemeinsam mit den vier Grazer Forschern aufgedeckt hatte, mit einem Mal weltweit ins Rampenlicht. Schadsoftware wie diese hatte die IT-Welt so noch nicht gesehen und es folgten lange Wochen, in denen die großen Chip-Produzenten intensiv nach Lösungen suchten. Wochen, in denen Gruss, Schwarz, Lipp und Mangard quasi jede Minute Arbeitszeit Medienanfragen beantworteten und Interviewtermine wahrnehmen mussten.
Wie geht es jemandem, der die Fachwelt auf den Kopf gestellt hat? „Uns geht es soweit gut“, lacht Daniel Gruss, der ausnahmsweise wieder in seinem schwarzen Bürosessel in der Grazer Inffeldgasse sitzt und nicht quer durch die Weltgeschichte fliegt, um über Prozessorlücken und Hackerangriffe zu referieren. „Der Medienrummel hat sich gelegt. Wir sind aber noch immer mehrmals im Monat zu Vorträgen oder Konferenzen eingeladen, um über unsere Arbeit zu sprechen.“
Deckten gemeinsam Meltdown und Spectre auf: Michael Schwarz, Daniel Gruss, Stefan Mangard und Moritz Lipp.
Neben seinem Computer-Bildschirm hat der 32-jährige Schokoriegel gebunkert – Energie für intensive Arbeitstage. Der Bildschirm selbst ist, ganz in Schwarz gehalten. Ein scheinbares Merkmal von IT-Profis. „Der dunkle Hintergrund ist für die Augen angenehmer und man wird weniger schnell müde“, erklärt Gruss schmunzelnd. Vor kurzem hat er seine Dissertation zum Thema „Software-based Microarchitectural Attacks“ abgeschlossen. Mit dieser Arbeit räumte er gleich mehrere Preise ab: den ACM SIGSAC Doctoral Dissertation Award for outstanding PhD theses in Computer and Information Security 2017, den GI-Dissertationspreis for the best PhD thesis in computer science in German-speaking countries 2017, den Forum of Technology and Society (Graz University of Technology) Award for the best PhD thesis with particular Societal Relevance 2017 und Heinz Zemanek Award for the best PhD thesis in Computer Science in Austria 2016/2017.
Weiterer Schwerpunkt in Gruss´ Arbeit sind Rowhammer-Attacken, die Schwachstellen in der Hardware nutzen, um in Computersysteme eindringen zu können.
Die Entdeckung von Spectre und Meltdown kam vor allem für Daniel Gruss gerade im richtigen Moment – als er sich nämlich für permanente Stellen an Universitäten umsah. „Nach der Veröffentlichung der Paper habe ich sehr viele tolle Angebote aus der ganzen Welt bekommen“, freut er sich über die vielen Möglichkeiten. Schlussendlich hat Gruss sich wieder für die TU Graz entschieden. Seit 1. Oktober arbeitet er als Assistant Professor am Institut für Angewandte Informationsverarbeitung und Kommunikationstechnologie. „Das Arbeitsklima ist toll und das Team einmalig“, begründet er seine Entscheidung. „Ich hatte darüber hinaus schon länger die Möglichkeit, die Lehre aktiv mitzugestalten und Studierende auf die Themen vorzubereiten, die wir bearbeiten. So haben wir heute einerseits tolle Studierende, die uns direkt in unserer Arbeit unterstützen können und andererseits haben die Studierenden die Möglichkeit, an ‚cutting edge-research‘ mitzuwirken und zu publizieren.“
Unorthodoxer Karriereweg
Der Werdegang des gebürtigen Deutschen ist an sich schon beeindruckend, sieht man sich aber seinen Bildungsweg an bekommt er weitere Tiefe:
Geboren wurde der junge Mann mit den blonden Locken in der Nähe der deutschen Stadt Köln. Seine Eltern, selbst ohne akademische Ausbildung, förderten den Bildungswunsch des Sohnes. „Als Kind habe ich mit meinem Papa ausgemusterte Computer repariert und auf Flohmärkten verkauft“, erzählt Gruss über die ersten Berührungspunkte mit jenem Fach, das ihn sein weiteres Leben begleiten sollte. „Das hat mich fasziniert und ich wusste sehr schnell, dass das meine Zukunft ist.“ Wie viele Kinder spielte auch Gruss ausgiebig Computerspiele und entwickelte erste Karrierepläne: „Wie viele, die eine Karriere in der Informatik beginnen, wollte ich zuerst mal Spieleentwickler werden“, erzählt er. „Ganz grundsätzlich bereitet mir das Programmieren viel Freude: Man schreibt auf sehr strukturierte Weise seine Wünsche auf. Und der Computer erfüllt sie dann. Wie man es sich als Kind immer wünscht: Ich sage ‚Räum mein Zimmer auf‘ und es passiert. Mit meinem Zimmer habe ich es zwar nicht geschafft, aber meine ersten Programme haben zumindest für Ordnung in meiner MP3-Sammlung gesorgt“, fügt er lachend hinzu.
Man schreibt auf sehr strukturierte Weise seine Wünsche auf. Und der Computer erfüllt sie dann. Wie man es sich als Kind immer wünscht: Ich sage ‚Räum mein Zimmer auf‘ und es passiert. Mit meinem Zimmer habe ich es zwar nicht geschafft, aber meine ersten Programme haben zumindest für Ordnung in meiner MP3-Sammlung gesorgt.“
Für das Innenleben von Computern interessierte sich Daniel Gruss schon sehr früh und restaurierte alte, ausgemusterte Geräte.
Die Schule war für den Teenager eher als notwendiges Übel auf dem Weg zu seinem Traumjob in der Informatik: „Ich war nie gut in der Schule, tat nur das Nötigste und hatte entsprechende Noten und Fehlstunden.“ Nicht nur einmal hörte er deswegen aus dem Jobcenter, er würde das Abitur ohnehin nicht schaffen und solle doch endlich eine Ausbildung machen, die ihm ein Gehalt bescheren würde. Auch aus dem familiären Umfeld und seitens der Lehrer gab es große Skepsis. Von seinem Traum abhalten lies er sich davon aber nicht: „Ich wusste, dass ich das Abitur ablegen muss, um dann zu machen, was mich wirklich interessiert.“ Mit seiner Freundin, die bereits mit ihrem Informatik-Studium an der TU Graz begonnen hatte, besuchte er die ersten Vorlesungen und war von Anfang an fasziniert: „Ich wusste gleich, dass ich in diesem Studium zu Hause bin.“ Und von einem Tag auf den anderen änderte sich sein Arbeitstempo von „nur das Nötigste“ in der Schule zu „so viel wie möglich“ an der Universität. „Ich habe damals mehr als 30 ECTS pro Semester gemacht. Ich kann allen raten, die ein Studium beginnen, in die Lehrveranstaltungen am Anfang ausreichend Zeit zu investieren: So schafft man eine solide Basis, auf der man dann etwas später die wirklich interessanten Probleme in Angriff nehmen kann.“ Zusätzlich engagierte Gruss sich als Tutor und investierte von Anfang an viel Zeit in die Lehre. „Ich habe oft das Feedback bekommen, zu streng zu sein und zu genau zu schauen. Aber ich wollte alles so gut wie möglich machen“, erzählt er. „Heute weiß ich viel besser, welche Hilfestellungen ich den Studierenden geben kann und wie ich ihnen die Anforderungen kommunizieren muss, die an sie gestellt werden.“ Ein Learning, dass sich auszahlt: Heute sind die Lehrveranstaltungen von Daniel Gruss, Michael Schwarz und Moritz Lipp gern besucht und werden unter Studierenden weiterempfohlen. 2018 ist Daniel Gruss mit einer Vorlesung außerdem für den Preis für exzellente Lehre nominiert, der im November vergeben wird.
Jungen Menschen, die sich wie er für ein Leben in der Informatik interessieren rät Gruss: „Findet etwas, dass euch wirklich begeistert und das ihr den ganzen Tag machen wollt. Ich glaube nicht, dass ich in einem anderen Studium erfolgreich gewesen wäre. Aber die Informatik hat mich begeistert.“
Moritz Lipp, Daniel Gruss und Michael Schwarz vor ihrem Büro in der Grazer Inffeldgasse.
Ein neues Forschungsfeld
Während Daniel Gruss erzählt, füllt sich das gemeinsame Büro. Denn gemeinsam mit Michael Schwarz und Moritz Lipp arbeitet Gruss auch in Zukunft an den großen Sicherheitsfragen, die die IT-Welt beschäftigen. „Das Feld wird immer breiter. Die Herausforderung ist es jetzt, eine Struktur aufzubauen und eine gemeinsame Sprache zu entwickeln“, erzählt er. „Wir sind selbst überrascht, was sich aus unserer Entdeckung heraus alles entwickelt hat. Aber es ist großartig, ganz vorne dabei zu sein, wenn ein neues Forschungsfeld entsteht.
Dieses Forschungsgebiet ist im FoE „Information, Communication & Computing“ verankert, einem der fünf Stärkefelder der TU Graz.
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