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Energieeffiziente Gebäudeplanung in Echtzeit-Simulation

20.06.2024 | TU Graz news | Forschung

Von Falko Schoklitsch

Ein interdisziplinäres Team der TU Graz bietet einen revolutionären Einblick in die nachhaltige Planung von Gebäuden. Mittels VR-Simulation werden die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Baumaßnahmen in Echtzeit sichtbar.

Screenshot aus Beyond: Die Sonneneinstrahlung und die vorhandene Fensterfläche müssen bei der Einstellung des Thermostats berücksichtigt werden. Bildquelle: ISDS - TU Graz

aktualisiert am 9.7.2024

Energiedienstleistungen der nächsten Generation sollen Endnutzer*innen eines Gebäudes dabei helfen, die Vorteile neuer energieeffizienter Technologien oder thermischer Sanierungsmaßnahmen zu verstehen und zu visualisieren. Dazu gehört etwa die Steuerung von Heizung und Kühlung, der Beleuchtung oder der Belüftung. Dieses Verständnis zusätzlich effektiv an Studierende weiterzugeben, kann außerdem zu nachhaltigeren Designs durch zukünftige Ingenieur*innen führen. Um diese Ziele zu erreichen, hat ein interdisziplinäres Team der TU Graz im Projekt BEYOND zusammengearbeitet. Teil der Gruppe waren Mitglieder vom Institut für Bauphysik, Gebäudetechnik und Hochbau, vom Institute of Interactive Systems and Data Science sowie vom Institut für Softwaretechnologie. Entstanden ist dabei ein Lernspiel, in dem Nutzer*innen die physikalischen Parameter eines Gebäudes verändern und die Auswirkungen dieser Veränderung in Echtzeit erleben können. Damit sind sie selbst in der Lage, ein korrekt geplantes energieeffizientes Gebäude zu realistischen Kosten zu entwerfen bzw. ein bestehendes energetisch zu verbessern. Durch seinen Fokus steht das Projekt auch im Einklang mit den laufenden Nachhaltigkeitsinitiativen der TU Graz, einschließlich des Ziels, bis 2030 klimaneutral zu sein.

Visuelles und akustisches Feedback

In dem Spiel BEYOND ändern die Teilnehmer*innen in einer Virtual-Reality-Umgebung die Eigenschaften eines Raumes in einem Gebäude und erhalten durch Anzeigen, Notizen und Hinweise eines Erzählers zusätzliche pädagogische Orientierung. Das wird ergänzt durch haptisches Feedback über die Controller und Audiohinweise zu positiven und negativen Auswirkungen dieser Änderungen. Wenn es etwa gilt, eine Wand zu dämmen, ist nicht nur der Wandaufbau und Materialeinsatz relevant, sondern auch die dabei entstehenden Kosten. Auch die Größe der Fensterflächen hat unterschiedliche Effekte. Mehr Tageslicht wirkt sich positiv auf die Menschen aus. Fenster haben jedoch in der Regel einen hohen Wärmedurchgangskoeffizienten, was in den kälteren Jahreszeiten zu größeren Energieverlusten führt als bei einer gedämmten Fassade. Umgekehrt kann eine Verglasung auch solare Gewinne einfangen, wodurch Fenster effektiv zu Heizkörpern werden. Das hat im Winter Vorteile, kann aber auch zu sommerlicher Überwärmung führen.

Durch das eindeutige Feedback lernen die Nutzer*innen die Vor- und Nachteile verschiedener Maßnahmen in Gebäuden besser zu verstehen. Das macht diese Anwendung nicht nur wertvoll für Architekt*innen, Planer*innen und Eigentümer*innen, sondern auch für Endnutzer*innen und Studierende, die mit BEYOND als interaktivem Lehrmittel die Themen Bauphysik und Gebäudeverhalten besser verstehen lernen. Ähnlich wie in Escape-Room-Spielen müssen die Spieler*innen in einem virtuellen Gebäudelabor verschiedene Aufgaben erfüllen, um die Tür zu öffnen und das Labor zu verlassen. Diese Aufgaben bestehen aus Aufträgen wie dem Ändern verschiedener Parameter, etwa der Position und Orientierung des Gebäudes oder der Tages- und Jahreszeit. Andere Aufträge sind die Konstruktion verschiedener Wandtypen mit unterschiedlichen Baumaterialien und die Optimierung des Gebäudes hinsichtlich Energieeffizienz, Kosten und Isolierung. Während der Aufgaben können die Spieler*innen die Auswirkungen ihrer Entscheidungen interaktiv analysieren, etwa die Veränderung des Energieverbrauchs bei erhöhten oder verringerten Heiz- oder Kühlsollwerten.

Zusammenführung von drei Technologien

Einzigartig am Projekt BEYOND ist die Kopplung von drei Technologien und Methoden. Neben einer Virtual-Reality-Umgebung kommen für die Verarbeitung, Darstellung und Veränderungsprognosen der Gebäudedaten maschinelles Lernen und physikalische Simulation zum Einsatz. Hierfür werden Machine-Learning-Ersatzmodelle mit hochauflösenden, physikbasierten Modellen trainiert. Diese weniger rechenintensiven Ersatz- oder Surrogat-Modelle erlauben Online-Simulation, um die tatsächlichen Auswirkungen von Planungseingriffen in Echtzeit zu visualisieren. Als drittes Element sind IoT-Plattformen und Sensornetzwerke für die bidirektionale Echtzeitkommunikation zwischen dem Gebäude und den Benutzer*innen eingebunden.

Gebäudebestand überwiegend ineffizient

Um diese Technologien zusammenzuführen, arbeiteten drei Kernforschungsteams interdisziplinär zusammen. Das Team am Institut für Bauphysik, Gebäudetechnik und Hochbau unter der Leitung von Christina Hopfe befasste sich mit den Gebäude-Energiesimulationen. Ein Team des Game Lab Graz am Institute of Interactive Systems and Data Science mit Johanna Pirker an der Spitze erschuf das Virtual-Reality-Spiel und ein Team am Institut für Softwaretechnologie unter der Leitung von Gerald Schweiger entwickelte Machine-Learning-Modelle und stellte eine Plattform für den Zugriff auf die IoT-Daten bereit. Das TU Graz-Spin-off DiLT Analytics war verantwortlich für die Bereitstellung und Integration des Internet of Things, während EAM Systems die Hardware und Sensoren installiert hat. Gefördert wurde das Projekt von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG im Rahmen des Programms „Stadt der Zukunft“.

„Das Projekt BEYOND behandelt ein interdisziplinäres Thema an der Grenze zwischen Bauphysik, Datenwissenschaft und virtueller Realität“, sagt Christina Hopfe. „Energieeffiziente Gebäude spielen auf dem Weg zur Klimaneutralität eine wichtige Rolle, denn derzeit ist der Gebäudebestand in der EU noch energieintensiv und überwiegend ineffizient - er ist für 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa 36 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. BEYOND ermöglicht erstmals die Verbindung von VR-Technologie, realen Gebäudedaten sowie Echtzeitkommunikation und -simulation. Durch das schnelle Feedback des Systems wird den Nutzer*innen der Energieverbrauch von Gebäuden direkt bewusst.“

Aus Sicht von Christina Hopfe ist dieses Bewusstsein von zentraler Bedeutung für die Änderung des, insbesondere eigenen, energiebezogenen Verhaltens und für die nachhaltige Gebäudeplanung – und damit für das Erreichen der Klimaziele. Sie erklärt weiter: „Die EU strebt an, bis 2050 klimaneutral zu sein, und das bedeutet, dass die gesamte bebaute Umwelt so umgestaltet werden muss, dass sie netto keine Treibhausgasemissionen mehr erzeugt. Erneuerbare Energien sind ein Teil dieser Lösung, aber auch Energiedienstleistungen wie vorausschauende Wartung, bedarfsseitiges Management oder modellprädiktive Steuerung spielen eine wichtige Rolle bei der Senkung des Energiebedarfs von Gebäuden und verwandeln Gebäude in aktive, intelligente Akteure in übergeordneten Energiesystemen.“

Dieses Projekt ist im Research Center Graz Center of Sustainable Construction sowie in den beiden Fields of Expertise „Sustainable Systems und Information, Communication & Computing angesiedelt, zwei von fünf wissenschaftlichen Stärkefeldern der TU Graz.

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Kontakt

Christina HOPFE
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.
TU Graz | Institut für Bauphysik, Gebäudetechnik und Hochbau
Tel.: +43 316 873 6240
c.j.hopfenoSpam@tugraz.at

Johanna PIRKER
Ass.Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr.techn. BSc
TU Graz | Institute of Interactive Systems and Data Science
Tel.: +43 316 873 5665
johanna.pirkernoSpam@tugraz.at

Christina Hopfe, Leiterin des Instituts für Bauphysik, Gebäudetechnik und Hochbau der TU Graz. Bildquelle: Lunghammer - TU Graz
Der virtuelle Raum, in dem die Nutzer*innen Räume und Gebäude energieeffizienter machen. Bildquelle: ISDS - TU Graz
Screenshot aus Beyond: Die Sonneneinstrahlung und die vorhandene Fensterfläche müssen bei der Einstellung des Thermostats berücksichtigt werden. Bildquelle: ISDS - TU Graz
Zahlreiche Indikatoren geben Auskunft zu Energieeffizienz, Kosten oder der strukturellen Beständigkeit. Bildquelle: ISDS - TU Graz
Der passende Wandaufbau ist ebenfalls Teil der Simulation. Bildquelle: ISDS - TU Graz