280 Meter lang ist der Rundweg rund um den Speicherring im Zentrum der Forschungseinrichtung Elettra Sincrotrone Trieste, hoch oben in den Bergen über der italienischen Hafenstadt Triest. Wie auf einer endlosen Laufbahn kann man hier seine Runden ziehen und entlang der 28 derzeit betriebenen Beamlines vorbeiflanieren. Der Spaziergang vorbei an Bürocontainern und Arbeitsplätzen dauert gut zehn Minuten. Im Gegensatz zum gemächlichen Tempo eines Menschen schaffen die Elektronen, die im Inneren des Speicherringes unaufhörlich im Kreis jagen, die ganze Runde 1,1 Millionen mal pro Sekunde. Etwas schneller, als man es jemals zu Fuß, per Roller oder gar mit einem Fahrrad schaffen würde.
Der Speicherring hat einen Durchmesser von 80 Metern und ist das Herzstück der Forschungseinrichtung, die im kleinen, zu Triest gehörigen Ort Basovizza im Jahr 1994 aufgebaut wurde und seither mit mehreren Forschungseinrichtungen europaweit betrieben wird. Die TU Graz beteiligt sich seit mehr als 20 Jahren an der Erfolgsgeschichte der Forschungseinrichtung.
Im Synchrotron – ein Teilchenbeschleuniger in Ringform – wird sehr intensives Licht erzeugt das organische und anorganische Materialien in den Beamlines bis zum Kern durchleuchtet und untersucht. Das Licht dient aber auch dazu, um Materialstrukturen im Nanoformat überhaupt erst herzustellen. Essentiell ist diese Forschung für unterschiedliche Bereiche wie die Mikroelektronik, die Nanotechnologie, die Medizin und die Umwelttechnik.
Das Forschungszentrum Elettra Sincrotrone Trieste liegt auf einem Hügel über Triest nahe Basovizza.
Der Speicherring
Erzeugt wird das intensive Licht in mehreren Schritten. Zunächst schickt eine metallische Elektrode geladene Elektronen in einen sogenannten Booster – ein Stahlrohr unter Hypervakuum, das von einem starken elektromagnetischen Feld umgeben ist. Die Elektronen beschleunigen annähernd auf Lichtgeschwindigkeit und werden anschließend in den Speicherring geleitet. Dort drehen sie, 1,1 Millionen Mal pro Sekunde eine Runde im Kreis.
Beim Speicherring handelt es sich um keinen Ring im eigentlichen Sinne – vielmehr ist es eine Aneinanderreihung von geraden Stücken und Kurven. Starke Magnete außerhalb des Speicherrings an den kurvigen Ringstücken lassen die Elektronen in eine Wellenbewegung übergehen – dabei geben sie überschüssige Energie in Form von Lichtwellen ab. Dieses Licht ist um ein Vielfaches stärker, als Lichtquellen in einem herkömmlichen Labor abgeben können und ermöglicht dadurch die so außergewöhnlichen Einblicke in die Materialeigenschaften.
Der Lichtstrahl wird an den Kurven des Ringes gebündelt und mit hoher Intensität in die 28 Beamlines abgeleitet. Die Wellenlänge kann dabei je nach Anforderung von Infrarot bis hin zur Röntgenstrahlung reichen. „Im Grunde muss man sich das wie einen sehr intensiven Laserpointer vorstellen, mit dem man direkt in die Materie hineinschauen kann. Nur mit dem Unterschied, dass man selbst entscheidet, welche Wellenlänge das Licht hat und welche Einblicke damit möglich sind“, erklärt Max Burian. Er ist Teil des TU Graz-Teams und arbeitet an der SAXS-Beamline – einer der zwei Beamlines die von der TU Graz betrieben werden.
Eine Materialprobe wird für Versuche an der SAXS-Beamline im Synchrotron Triest vorbereitet.
Das Team der TU Graz blickt ganz tief ins Material hinein...
SAXS steht für „Small Angel X-ray Scattering“ – also Röntgen-Kleinwinkelstreuung. Die SAXS Beamline wurde 1996 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgebaut. Seit 2012 betreiben sie Forscherinnen und Forschern des TU Graz-Instituts für Anorganische Chemie unter der Leitung von Heinz Amenitsch. Das in Triest stationierte Team forscht aber nicht nur selbst: Es betreut auch Gastforschende, die für spezielle Versuche in die nord-italienische Stadt kommen.
Neben der Anlage in Triest betreibt das Institut für Anorganische Chemie auch in den Laboren in Graz mehrere Forschungsanlagen, mit denen Arbeiten in unterschiedlichsten Bereichen möglich sind: Elementaranalyse, GC-MS, NMR, IR, UV, Ramanstreuung, Lichtstreuung, Röntgendiffraktion und Labor-SAXS.
Die Forschenden in Triest untersuchen vor allem Materialstrukturen und Strukturveränderungen von organischen und anorganischen Proben in flüssiger, fester oder gasähnlicher Form . Um die Probe zu durchleuchten, fokussieren sie den hochkonzentrierten Röntgenstrahl auf die Probe. Je nach Molekülstruktur wird das Licht unterschiedlich abgelenkt. So entsteht ein Streubild, das Rückschlüsse auf die Probe zulässt. „Dieses Verfahren ist sehr abstrakt, weil wir Daten nicht im Realraum erzeugen, sondern in einem mathematischen Raum: dem sogenannten Reziprokraum. Das bedeutet, dass wir alle Daten zunächst mit Hilfe von Modellen interpretieren und die Daten in den Realraum zurückrechnen müssen, um zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu kommen“, erklärt Max Burian. „Unsere Experimente dauern oft nur wenige Minuten. Die Datenauswertung hingegen kann aber Wochen in Anspruch nehmen.“
Max Burian bereitet einen neuen Versuch an der Beamline vor.
Spezialgebiet der italienischen Anlage und des TU Graz-Forschungsteams ist es, Reaktionsvorgängen in Lösungen und ungeordneten Systemen zu beobachten. „Dank des Synchrotonlichts sind wir in der Lage, diese vergleichsweise schnellen Vorgänge, die in Lösungen und ungeordneten Systemen stattfinden, hochzeitaufgelöst zu beobachten – mit klassischen Laboranlagen wäre das nicht möglich, weil die Lichtquellen zu wenig intensives Licht erzeugen“, erklärt Max Burian. Und das geht so: Wenn eine Reaktion mehrere Sekunden dauert, richtet Burian den Lichtstrahl alle zehn Millisekunden auf die Probe und nimmt so insgesamt 1.000 Röntgenbilder auf. Anschließend reiht er alle Bilder aneinander und es entsteht eine Art Film, mit dem die Reaktion gut nachvollziehbar ist.
Ein Portrait über den Forscher Max Burian finden Sie in der Kategorie Young talents auf Planet research.
Das TU Graz-Team arbeitet seit einigen Jahren daran, diese Art der Beobachtung zu verfeinern – mit Erfolg, wie das erste Experiment im November beweisen konnte. „Bisher spielten sich unsere Messungen im Millisekunden-Bereich ab – das entspricht einem Tausendstel einer Sekunde. Mit unserer neuen Methode sind wir nun in der Lage, im Nano- bzw. Piktosekundenbereich zu arbeiten“, ist Burian begeistert. Möglich macht das ein neuer Röntgendetektor und der Anbau eines Free-Elektron-Lasers. Mit dem neuen Equipment wurde auch eine neue Methode eingeführt. Während die Forschenden bei normalen SAXS-Messungen – ähnlich wie bei einer Serienaufnahme eines Fotoapparates – sehr schnell hintereinander rund 1.000 Bilder einer Reaktion aufnehmen, wird mit dem neuen Set-Up eine Pump-Probe-Messung gemacht: Dabei sendet ein Laser kurz vor der Messung einen Impuls aus, um die Reaktion zu starten – direkt im Anschluss daran wird ein einzelnes Bild aufgenommen. Dieser Vorgang wiederholt sich bei jeder Umdrehung der Elektronen im Speicherring – also 1,1 Million Mal pro Sekunde. Parallel dazu vergrößert sich der Zeitraum zwischen Laserimpuls und Bildaufnahme kontinuierlich, um die Reaktion immer zu einem anderen Zeitpunkt abzubilden. So entsteht ein noch viel genauerer Film der beobachteten Reaktion.
In Zukunft will sich das Grazer Team in Triest noch intensiver mit den Möglichkeiten von Laser-Messungen beschäftigen und plant, ein eigenes Laser-Labor parallel zur SAXS-Beamline aufzubauen.
Im Inneren der Forschungsanlage: Durch dieses Rohr wird das Licht auf die Materialprobe geworfen.
... und baut Strukturen im Nanomaßstab
Die zweite von der TU Graz betriebene Beamline steht räumlich einige Meter von der SAXS-Beamline entfernt und arbeitet mit Deep X-ray Lithographie (DXRL). Hier baut das Team Objekte aus Polymeren im Mikro- und Nanomaßstab, wie zum Beispiel Zahnräder im Miniformat, Verabreichungssysteme für Medikamente, Miniaturnadeln, Sensorsysteme oder Mikrochips.
Das Polymermaterial wird in einem flüssigen Lösungsmittel mit der hoch energetischen Röntgenstrahlung durch eine Maske beschossen und so nach Wunsch verformt. Die so erzeugte Form kann wiederrum als Maske dienen, um Metallteile wie Sensoren oder Mikroelektronikbauteile in Miniatur in der Masseproduktion zu erzeugen.
So forschen Sie am Synchrotron
Forschende der TU Graz, aber auch externe Forschende können die zwei Österreichischen Beamlines am Synchrotron in Triest und die Laborinstrumente in Graz für ihre eigenen Forschungsprojekte nutzen. Über das internationale Forschungsinfrastruktur-Netzwerk CERIC (Central European Reasearch Infrastructure Consortium) können Interessierte zwei Mal pro Jahr Projektanträge im Konsortium einreichen und das umfangreiche, europaweite Infrastrukturnetzwerk von CERIC bei Genehmigung nutzen. Alle Informationen unter finden Sie entweder auf der Website des TU Graz-Instituts für Anorganische Chemie oder auf der Website von CERIC.