Ultrahochfester Beton (Ultra High Performance Concrete – UHPC) ist mit einer erwarteten Haltbarkeit von über 200 Jahren das Baumaterial der Zukunft. Der Baustoff wird seit 17 Jahren an der TU Graz maßgeblich mit- und weiterentwickelt, einhergehend mit der steten Suche nach neuen Anwendungsmethoden. Nach dem erfolgreichen Bau einer Autobrücke im Kärntner Völkermarkt mit UHPC wandte sich der heute emeritierte Professor Lutz Sparowitz vom Institut für Betonbau mit einer Idee an das Institut für Straßen- und Verkehrswesen der TU Graz: Er hatte die Vision eines neuen Mobilitätskonzepts, das eine wirkliche Alternative zum heute gängigen U-Bahn-Verkehr darstellen sollte.
Energie soll über die Fahrbahnüberdachung aus Solarpaneelen gewonnen werden.
Die Idee war ein schlanker, aus UHPC gebauter Fahrweg ein bis zwei Levels über der Erde, auf dem sich ausschließlich zentral gesteuerte, autonome Fahrzeuge bewegen sollten. Im August 2013 wurde aus der Idee ein FFG-gefördertes Projekt namens QUICKWAY, an dem sich nunmehr das Institut für Betonbau (Viet Tue Nguyen), das Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft (Christian Hofstadler) und das Labor für Konstruktiven Ingenieurbau (Bernhard Freytag) der TU Graz beteiligen. Nach drei Jahren Projektlaufzeit hält man heute ein umfassendes, zukunftsweisendes Mobilitätskonzept für sogenannte Megacities in Händen. Städte also, die zehn Millionen oder mehr Menschen beheimaten. Stimmen nämlich die aktuellen Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung und hält der Trend zur Urbanisierung ungebrochen an, werden alleine bis zum Jahr 2050 zumindest 250 neue Megacities entstehen und anspruchsvolle Verkehrslösungen werden dringend nötig.
QUICKWAY TRAFFIC SYSTEM
An diesem Punkt setzt der Plan von Sparowitz und seinem Forschungsteam an. Das QUICKNET ist ein Netz einspuriger Hochfahrwege, das dank Verwendung von UHPC eine äußerst schlanke Struktur aufweist. „Wir benötigen einen Abstand von rund 30 Metern zwischen zwei Gebäuden, um unsere Fahrwege bauen zu können“, erklärt er. Die Hauptfahrbahn läuft auf Level 1 und 2, also im ersten und zweiten Stock über der Erde. Auf ihr soll der Fließverkehr mit Geschwindigkeiten zwischen 30 und 80 Kilometern pro Stunde geführt werden. „Damit können wir mit der Effizienz eines U-Bahn-Systems mithalten“, erklärt Martin Fellendorf, der sich im Subprojekt AVESTRA mit dem autonom fahrenden Verkehr und dessen Steuerung beschäftigt hat.
Wir benötigen einen Abstand von rund 30 Metern zwischen zwei Gebäuden, um unsere Fahrwege bauen zu können.
Die Haltestellen werden auf Level 0 errichtet. Zu ihnen fahren aber jeweils nur die einzelnen Fahrzeuge, deren Passagiere auch wirklich an diesem Stopp aussteigen wollen. Pro Fahrzeug können, so die Vision, insgesamt zehn Personen transportiert werden, die zu maximal drei unterschiedlichen Haltestellen wollen. „Die Passagiere bestellen ihre Busse vorab per App an die Haltestelle, geben dabei auch schon ihr Ziel an und können so einfach und effizient auf die einzelnen Fahrzeuge aufgeteilt werden“, erklärt Sparowitz. Aber auch an den Haltestellen werden die Fahrzeuge nicht vollständig zum Stillstand gebracht, sondern ähnlich wie heutige Gondelbahnen lediglich auf Schrittgeschwindigkeit gebremst, um das Ein- und Aussteigen möglich zu machen. So fallen auch die vielen öffentlichen Parkflächen auf Level 0 weg und können anderweitig genutzt werden. Der Zustieg ist auf der rechten, der Ausstieg auf der linken Fahrzeugseite möglich, was Personenstaus verhindern soll. Hat das Fahrzeug das Ende des Bahnsteiges erreicht, beschleunigt es selbstständig wieder, fährt auf Level 1 und gliedert sich zurück in die Kolonne ein. Gesteuert wird der Verkehr zentral. „Diese zentrale Steuerung berechnet unter Berücksichtigung des Gesamtsystems für jedes Fahrzeug den optimalen Weg ans Ziel. Wir verhindern so Staus und optimieren die Fließgeschwindigkeit auf den Fahrwegen“, erklärt Fellendorf.
Die Fahrbahn ist auf Level 1 und 2 angelegt, auf Level 0 wird es lediglich Bushaltestellen geben.
Momentan wird hier vor allem noch an der Maschendichte des Fahrbahnnetzes gearbeitet und optimiert. „Wir haben bereits Abstände von unter 400 Metern zur nächsten Haltestelle geschafft“, sagt Martin Fellendorf über den momentanen Stand der Forschung. Der große Vorteil des neuen Verkehrskonzepts: Aktuelle U-Bahn-Systeme erreichen solche und ähnliche Maschendichten zwar ebenfalls, aber fast ausschließlich in den Stadtzentren, je weiter es vom Stadtkern in Richtung Stadtrand geht, desto weiter sind die Wege bis zur nächsten Haltestelle des öffentlichen Verkehrs. QUICKWAY aber ist einfach und schnell erweiterbar und daher auch in der Peripherie gut ein- und umsetzbar.
Damit können wir mit der Effizienz eines U-Bahn-Systems mithalten.
Neben dem Personenverkehr soll über den QUICKWAY auch der leichte Gütertransport (Fahrzeug und Nutzlast gemeinsam leichter als sieben Tonnen) abgewickelt werden.
Baukastensystem
„Wir wollen pro Tag einen bis zwei Kilometer neue Strecke bauen“, erklärt Lutz Sparowitz das äußerst engagierte Vorhaben. Das Fahrbahnsystem besteht aus insgesamt rund 50 standardisierten Bauteilen, aus denen Straßenlayouts für so gut wie alle nur denkbaren Stadtformen zusammengesetzt werden können. Diese Bauteile werden in einer Art Baukastensystem aneinandergesteckt und können auch einfach wieder ab- und an einer anderen Stelle aufgebaut werden. „Es ist wie Legospielen“, sagt Fellendorf. Für die einzelnen Teile existiert je ein Musterstück, von dem ebenfalls aus Beton beliebig viele Schalungen abgeformt werden können. „Wir haben dann zum Beispiel 100 Betonschalungen, in denen parallel die Bauteile gegossen werden können, und können so unsere Baugeschwindigkeit immens erhöhen“, erklärt Sparowitz.
Das Musterstück für die Betonschalungen für den Bau der einzelnen Straßenelemente.
Ein Vorhaben, das natürlich auch von baulogistischer Seite her simuliert und geplant wurde: „Wir halten es für absolut möglich, diese Baugeschwindigkeit erreichen zu können.“
Individueller Verkehr von Haustür zu Haustür
Neben dem öffentlichen Verkehr soll es auf QUICKWAY auch Platz für individuellen Verkehr mit autonom fahrenden Taxis oder Privatwagen geben. Diese fahren ebenfalls im autonomen System auf den Fahrwegen von QUICKWAY, haben aber die Möglichkeit, über spezielle Auf- und Abfahrrampen das geschlossene System zu verlassen und sich in den „normalen“ Verkehr einzuordnen. So können diese Fahrzeuge Passagiere auf Wunsch von Haustür zu Haustür bringen. „Dieses System ist einerseits natürlich für Menschen gedacht, die in eigenen Fahrzeugen alleine fahren wollen, vor allem aber für Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und so den öffentlichen Verkehr nicht nutzen können“, erklärt Fellendorf. „Diese Fahrzeuge für den Mischverkehr werden gerade weltweit von verschiedenen Herstellern entwickelt. Zum Beispiel in Form des Google Car oder ähnlichem.“
Zukunftsvision
„Was den Bau der Fahrwege und die Steuerung der autonomen Fahrzeuge auf diesen geschlossenen Wegesystemen angeht, ist die TU Graz ganz vorne mit dabei“, ist Martin Fellendorf überzeugt. Aber die Vision der Grazer Forschenden geht noch darüber hinaus. Das Mobilitätskonzept soll nicht nur in seiner Bauweise nachhaltig sein, sondern auch umweltschonende E-Fahrzeuge nutzen. „Wir können uns vorstellen, dass der dafür nötige Strom zum Beispiel teilweise aus einer Überdachung der Fahrbahn mit transparenten Solarpaneelen erzeugt wird“, blickt Lutz Sparowitz in die Zukunft. Zusätzlich will man auf Level 0 von der Fahrbahn überdachte Verkehrswege für den individuellen Zweiradverkehr mit Fahrrädern oder E-Motorrädern schaffen.
Wir können uns vorstellen, dass der dafür nötige Strom zum Beispiel teilweise aus einer Überdachung der Fahrbahn mit transparenten Solarpaneelen erzeugt wird.
Morgen umsetzbar
Das Konzept ist schlüssig, in der Umsetzung gibt es allerdings große Herausforderungen, wie Martin Fellendorf erklärt: „Bei unserem System hat es keinen Sinn, eine kurze Teststrecke zu bauen, weil so weder das System noch die Akzeptanz in der Bevölkerung getestet werden können.“ Nötig wird also ein wirklicher Systementscheid eines wachsenden urbanen Raums sein, so wie er vor Jahrzehnten für das heute gängige U-Bahn-System gefallen ist. Deshalb versuchen die Forschenden momentan in Kontakt zu Regierungen zu treten, die diesem Projekt eine Chance geben möchten. Simuliert wurde das Projekt übrigens an der Großstadt Singapur, von der unter anderem auch überaus detaillierte Daten zu Bevölkerung und Mobilität zur Verfügung stehen. „Wenn morgen die Entscheidung fallen würde, das Projekt zu realisieren, dann bräuchten wir nur etwa fünf Jahre, bis auf QUICKWAY die ersten Passagiere befördert werden können.“