News+Stories: Wenn Sie Ihr Nachbar fragt: Kann ich schon mit Wasserstoff Autofahren oder heizen? Was sagen Sie?
Thomas Klatzer: Ich würde sagen, ja, das funktioniert und beide Technologien existieren grundsätzlich schon. Ich würde aber auch dazu sagen, dass Wasserstoff noch nicht so etabliert ist und dass es für manches effizientere Methoden gibt, beim Heizen etwa die Wärmepumpe.
Sonja Wogrin: Dass man mit Wasserstoff Auto fahren kann, ist ja nichts Neues. Aber der Wasserstoff muss ja irgendwie auch produziert werden. Grüner Wasserstoff wird aus elektrischer Energie, etwa aus Wind oder PV, produziert, allerdings mit Verlusten, so wie bei jeder Energieumwandlung. Und dann stellt sich die Frage, warum fahren wir nicht direkt mit dieser elektrischen Energie Auto? Das ist der Knackpunkt. Die Technologie, ja, die gibt es. Aber die Gretchenfrage ist: Wo kommt der Wasserstoff her?
Was mögen Sie persönlich an Wasserstoff?
Klatzer: Die Vielseitigkeit. Er hat grundsätzlich eine Speichereigenschaft, er ist transportabel. Außerdem ist er in verschiedenen Prozessen einsetzbar, und zwar nicht nur energetisch, um ihn wie Gas zu verbrennen, sondern auch als Grundstoff in der chemischen Industrie und in der Eisen- und Stahlindustrie. Da gibt es mit dem Wasserstoff große Potentiale zur Dekarbonisierung.
Ich glaube persönlich, dass die Industrie in Sachen Wasserstoff proaktiver ist als manche glauben.
Wogrin: Mir gefällt an Wasserstoff, dass er dort, wo es wirklich schwierig zu dekarbonisieren ist, eine Chance dafür bereitet. Etwa in den Hochöfen in der Industrie. Die voestalpine hat einen jährlichen Energieverbrauch von 27 Terrawattstunden (TWh) und für die ist es sehr schwierig, die fossilen Brennstoffe zu ersetzen. Als Einzelperson im Haushalt habe ich die Alternative, dass ich mir eine Jacke zusätzlich anziehe, dass ich eine Wärmepumpe einbaue, aber die Industrie hat diese Optionen einfach nicht. Ich glaube persönlich, dass die Industrie daher in Sachen Wasserstoff proaktiver ist als manche glauben. Da gab es zum Teil schon vor dem Ukrainekrieg Pläne, auf Wasserstoff umzustellen. Eventuell haben sich diese Pläne durch die Gasknappheit nach vorne verschoben.
Dieses Interview ist Teil des Dossiers „Grüner Wasserstoff – Hype oder Hoffnungsträger?“, in dem Expertinnen und Experten aus der Wasserstoff- und Energiewirtschaftsforschung an der TU Graz die großen, brennenden Fragen zur Zukunft von (grünem) Wasserstoff beantworten.
Welche Missverständnisse herrschen um den Wasserstoff?
Wogrin: Er wird ein bisschen als Allheilmittel gesehen, besonders beim Thema Klimaneutralität. Alles, was jetzt Gas ist, wird dann Wasserstoff – Problem gelöst. Theoretisch ja. Aber die Praxis schaut ganz anders aus. Um grünen Wasserstoff in ausreichenden Mengen zu produzieren, brauchen wir enorm viele Elektrolyseure, und um die zu betreiben entsprechend viel Energie aus Erneuerbaren. In Österreich sollen laut Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG, Anm.) für den Verbrauch im Elektrizitätssektor bis 2030 jährlich 27 Terrawattstunden zusätzlich aus Erneuerbaren produziert werden. Das alleine ist der Jahresverbrauch der voestalpine. Das sind enorme Mengen Wasserstoff und da stoßen wir auf Limitierungen. Wir brauchen allein für die Umsetzung des EAG 10.000 Fußballfelder voll Photovoltaik und dann im Grunde noch einmal so viel nur für den Verbrauch der voestalpine. Wir brauchen Windräder, die von der Gesellschaft noch nicht wirklich akzeptiert werden. Nur weil es theoretisch möglich ist, ist diese Umsetzung und der Transformationspfad ein großes Fragezeichen.
Apropos Windräder – die sind ja nicht allerorts sonderlich begehrt?
Wogrin: Ein Windkraftwerk ist für mich ja wie eine Breitling Uhr. Das ist ein Wunderwerk der Technik, wo man aus Wind Energie erzeugen kann. Für mich ist das was Schönes. In Spanien, wo ich jetzt die letzten 10 Jahre gelebt habe, gibt es Romantikhotels, die auf Windparks schauen. Da ist die Bevölkerung auch ein bisschen mehr an Bord.
Klatzer: Ich glaube, vorrangig stößt man sich bei den Windrädern an der Optik. Auch der Vogelschutz kommt immer wieder, wobei: Wenn man einen der Flügel der Windräder etwa schwarz streicht, können Vögel sie leichter wahrnehmen und ihnen ausweichen. Aber die Anlagen müssen halt entsprechend groß sein, um effizient zu sein, damit man dann weniger davon bauen muss und die Investitionen sich rentieren.
Gemeinden müssten direkt davon profitieren, wenn dort ein Windpark gebaut wird. Also zum Beispiel die Energie gratis bekommen.
Wogrin: Wind ist im Gegensatz zu Sonne für Photovoltaik Tag und Nacht verfügbar, Sommer wie Winter. Daher brauchen wir nicht nur Photovoltaik-Anlagen, sondern unbedingt auch Windkraft. Der Ausbau von Windkraft würde außerdem viel schneller gehen, wenn die Gemeinden direkt etwas davon hätten, dass dort ein Windpark gebaut wird. Also dass diese Gemeinde zum Beispiel die Energie gratis bekommt. Dann kann man mit den Leuten auch eher reden. Sonst kommt der „Not in my Backyard“-Reflex hoch.
Wo könnte der grüne Wasserstoff denn noch herkommen?
Wogrin: Wir könnten ihn auch außerhalb der EU produzieren, da haben wir dann aber wieder das Infrastrukturthema. Kommt der Wasserstoff aus Südamerika oder aus Afrika, dann wird er mit dem Schiff hergebracht. Dann muss er in eine Pipeline eingespeist werden. Im Moment gibt es keine dezidierten Wasserstoff-Pipelines, also verwenden wir dann unsere jetzigen Gaspipelines und mischen das bei oder bauen wir parallel eine Wasserstoff-Pipelineinfrastruktur? Produzieren wir das hier? Wie viel produzieren wir wo? Die Frage ist: Was wäre für Österreich die kostengünstigste Lösung, die Klimaneutralität tatsächlich zu erreichen und wie schaut der Übergang dorthin aus?
Klatzer: Genau, in der Optimierung und Modellierung von sektorgekoppelten Energiesystemen, also Elektrizität und Gas, kommt der Wasserstoff ganz prominent dazu. Da geht es um genau die Frage: Was mach ich zuerst? Decke ich zuerst den Elektrizitätsbedarf ohne Wasserstoff aus Erneuerbaren und setze dann den Wasserstoff oben drauf?
Wogrin: Wie wichtig diese Energieinfrastruktur ist, hat man jetzt schmerzlich durch die aktuellen politischen Ereignisse in der Ukraine mitbekommen. Was machen wir, wenn wir kein Gas mehr haben? Das ist eine Frage, die dann für den Wasserstoff genauso gilt.
Wo macht der Einsatz von grünem Wasserstoff wirklich Sinn?
Wogrin: In der stofflichen Verwertung, also in der Industrie als Grundstoff überall dort, wo es viel Hitze braucht im Schwerverkehr, im Flugverkehr. Und in der Speicherung von Energie, wenn es keine effizientere Alternative gibt. Im Elektrizitätssystem haben wir besonders in Österreich diese Sommer-Winter-Diskrepanz, weil wir im kalten Winter mehr Energie verbrauchen. Es gibt natürlich Energiespeichermöglichkeiten wie Wasserspeicherkraftwerke, da kann man mit überschüssiger erneuerbarer Energie Wasser von einem niedrigeren Reservoirniveau in ein höheres pumpen, und die Energie im Sinne von Wasser speichern, das man bei Bedarf wieder runterfließen lassen und über Turbinen elektrischen Strom erzeugen kann. Österreich hat Glück, dass es überhaupt diese Wasserkraftspeicher hat, aber die sind natürlich nicht so groß wie zum Beispiel in Brasilien. Dort können sie über Jahre hinweg Energiemengen in Form von Wasser speichern, in Österreich haben wir diese Volumina nicht. Da bewegen wir uns im Wochen- vielleicht Monatsbereich. Da könnte man den Wasserstoff als Energiespeicher nutzen.
Welche Alternativen zu Gas haben wir momentan in Österreich?
Wogrin: Wenig. Der Ausbau von Leitungsinfrastruktur wäre eine Möglichkeit. Wenn es in Norddeutschland einen extremen Überschuss an Energie aus Wind gibt, könnten wir den zu uns herholen. Aber wenn man sich tatsächlich die Übertragungskapazitäten der Leitungen anschaut, dann könnten die größer sein. Dann kommt man schnell in politische Diskussionen. Und selbst wenn wir genug Wasserstoff hätten: Ein Gaskraftwerk baut man nicht von jetzt auf gleich auf Wasserstoff um. 80 Prozent des Gases in Österreich kamen vor dem Ukrainekrieg aus Russland. Wenn das alles auf einen Schlag weggewesen wäre und wir keine Lieferungen aus den Nachbarländern bekommen hätten, müssten wir tatsächlich das Licht abdrehen. Für den kommenden Winter konnten die Gasspeicher noch sehr gut gefüllt werden. Das kann nächsten oder übernächsten Winter anders ausschauen. Da sind wir ein bisschen ausgeliefert, was über die Pipelines tatsächlich noch kommt. Wir wären jetzt in einer besseren Situation, wenn der Gaskauf am Weltmarkt diversifizierter gewesen wäre. Aber diese Was-wäre-gewesen-wenn-Fragen bringen uns jetzt nichts.
Was kann grüner Wasserstoff heute noch nicht, müsste er aber können, damit er breit eingesetzt werden kann?
Wogrin: Was definitiv fehlt, ist erstens ein großer Verbrauch für Wasserstoff, weil im Moment läuft die Industrie auf Gas und nicht auf Wasserstoff. Zweitens ist absolut nicht geklärt, wie die Infrastruktur funktionieren soll. Wir reden von einem System, wo alles mit Wasserstoff funktionieren soll, aber von diesem System ist noch gar nichts da. Wir müssen unser Energiesystem vollkommen umplanen. Wie wird das dann aussehen?
Was fehlt grünem Wasserstoff zum Durchbruch?
Wogrin: Österreich braucht eine kohärente Infrastrukturplanung dafür, wie unser Energiesystem 2040 ausschauen soll. Das bedingt einen Plan zum Ausbau der Erneuerbaren, einen Elektrizitätsleitungsausbau und Vorschläge, wie diese Pläne auch umgesetzt werden können. Es braucht außerdem große Investitionen. Am freien Markt passieren Investitionen nur, wenn sie irgendwie profitabel sind. Wenn ich in einen Elektrolyseur und einen Wasserstoffspeicher investiere, dann muss ich einen Return on Investment sehen. Dass eine Investition wirtschaftlich ist, gehört genauso dazu wie, dass die Technologie funktioniert. Es ist tatsächlich eine sehr spannende Zeit, um in der Energiebranche zu arbeiten. Man hat wirklich das Gefühl, etwas beizutragen und eine bessere Welt zu kreieren.
Klatzer: Es sind unglaubliche Investments im Energiesektor notwendig, hunderte Milliarden von Euro. Da sind Planungsfehler sehr kostspielig und können ausschlaggebend dafür sein, ob wir die Klimaneutralität bis 2050 wirklich erreichen.
Welchen Platz kann Wasserstoff im Energiemix einnehmen?
Klatzer: Es gibt Ambitionen bis 2030, das ist einmal ein Grundstein, und dann entscheidet sich, wie die Infrastruktur geplant wird und was sie zulässt, wie sehr Wasserstoff den Markt durchdringen kann. Ab einem gewissen Zeitpunkt werden Prozesse wie die Stahlerzeugung sicher zu einem Gutteil mit Wasserstoff funktionieren und er wird auch im Transport eingesetzt werden. Aber es ist wieder alles von der Systemplanung abhängig.
Kann Wasserstoff in der aktuellen Energieknappheit Lösungen anbieten?
Wogrin: Ich lehne mich aus dem Fenster und sage: Nein. Das ist eine traurige Wahrheit, die man auch so kommunizieren muss. Kurzfristig sind wir energiepolitisch in einer Situation, in der es wenig Alternativen gibt. Aber wir müssen uns ranmachen, dass wir mittelfristig und langfristig gute Lösungen finden. Als Technikerin sehe ich das ganz ohne Wertung so: Es gibt ein paar technologische Optionen – Atomstrom, massiver Ausbau der Erneuerbaren, massiver Leitungsausbau, massive Effizienzerhöhung oder alles davon. Aber keine dieser Optionen wird uns davor retten, dass wir unseren Lebenswandel ändern müssen.
Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Sustainable Systems“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
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