Helmut Eichlseder leitet seit über 16 Jahren das Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik (IVT) der TU Graz. Der gefragte Experte in Sachen Antriebssysteme im Gespräch mit der News+Stories-Redaktion über Technologien im Wettstreit, die Unverzichtbarkeit der Hardware und die Liebe zu Rädern und Menschen.
News+Stories: Entwicklerinnen und Entwickler von Antriebstechnologien leben heute in einer extrem spannenden Zeit. Was sind die zentralen Herausforderungen?
Helmut Eichlseder: Zentral ist mit Sicherheit die Umweltverträglichkeit, ein Thema, das sich sowohl auf die Schadstoffemission als auch auf die Treibhausgasemission bezieht. Als Lösung dafür stehen drei technologische Ansätze im Wettstreit, die in sich jeweils noch eine weite Bandbreite haben. Das ist einerseits die rein batterieelektrische Elektromobilität, auf der anderen Seite das Thema Brennstoffzelle als interessante Alternative und als dritter Ansatz das Thema Verbrennungskraftmaschine. Keiner davon kann den alleinigen Lösungsanspruch stellen. Das macht die Sache so herausfordernd, aber auch so faszinierend. Das Spiel ist vollkommen offen.
Und am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik forschen Sie an all diesen Technologien?
Helmut Eichlseder: Schwerpunkt ist das Thema Verbrennungskraftmaschine, in zunehmendem Maße Elektrifizierung von Antrieben, aber uns beschäftigt auch die Forschung an der Brennstoffzelle. Woran wir nicht forschen ist der rein batterieelektrische Antrieb im Sinne der Batterie- und Zellforschung, das ist Anderen vorbehalten. Es gibt bei Verbrennungsmotoren einige Pfade zur Schadstoffminderung, die sehr vielversprechend sind. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Kraftstoffe, denn die wirklich große und global relevante Aufgabenstellung ist die Abkehr vom fossilen Brennstoff, ich nenne das Defossilisierung. Das ist eine schwierige und für einen Techniker faszinierende Aufgabe. Denn in vielen Bereichen der Personen- und Gütermobilität wird die Verbrennungskraftmaschine sehr lange nicht zu ersetzen sein, ganz zu schweigen von Großmotoren, die zum Beispiel Schiffe antreiben. Bei diesen gibt es aber hinsichtlich der Schadstoffemissionen technologisch noch besonders viel zu tun. Das Großmotorenkompetenzzentrum im Umfeld des IVT forscht an dieser extrem spannenden Aufgabenstellung.
Die wirklich große und global relevante Aufgabenstellung ist die Abkehr vom fossilen Brennstoff, ich nenne das Defossilisierung.
Welchen Antrieb wird das Fahrzeug haben, mit dem Sie in 15 Jahren zu einem Geschäftstermin nach Wien fahren?
Helmut Eichlseder: Wenn ich in fünfzehn Jahren noch zu einem Geschäftstermin fahre (lacht), dann nach wie vor mit einer Verbrennungskraftmaschine, aber mit einem hohen Grad an Elektrifizierung, das heißt elektrischen Komponenten. Betrieben wird sie hoffentlich mit synthetisch, also künstlich erzeugten Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels. Diese Kraftstoffe können erneuerbar hergestellt werden und bieten – ebenso wie Wasserstoff – die Möglichkeit, erneuerbare Energie, die ja unregelmäßig anfällt, zu speichern. Ich halte E-Fuels und Wasserstoff im Langstreckenverkehr für mögliche Lösungen – wobei beim Wasserstoff die Herausforderung im Ausbau der Infrastruktur besteht. Die Stärke von batterieelektrischen Antrieben wird innerstädtisch ausgespielt. Diese Antriebe haben weniger große Reichweiten, sind aber dafür lokal emissionsfrei. Wenn wir das ganze System betrachten, gibt es derzeit keinen alleinigen Sieger. Der optimale Antrieb hängt stark von der Anwendung und von den lokalen Gegebenheiten ab.
Sie setzen sich als Maschinenbauer und Thermodynamiker auch mit den Wechselwirkung von Verkehr und Umwelt auseinander?
Helmut Eichlseder: In der Thermodynamik habe ich gelernt, mir ein Gesamtsystem anzuschauen und nicht nur ein Teilsystem. Da gibt es das Schlüsselwort „cradle to grave“, frei übersetzt von der Wiege bis zur Bahre. Die heutige Gesetzgebung bewertet in Form der Kohlendioxid (CO2)-Emissionen nur den Teil der Energiekette vom Tank bis zum Rad. Die Energie, die gebraucht wird, um Kraftstoff, Antriebe und Batterien herzustellen, wird heute nicht berücksichtigt. Gerade die Batterieherstellung ist aber extrem energieintensiv. In der politischen Diskussion kommt inhaltlich manches zu kurz. Gerade deshalb ist es mir sehr wichtig, sachlich zu einer Mobilitätsdiskussion beizutragen. Am IVT gehen wir daher bewusst regelmäßig mit Informationen und Veranstaltungen an die Öffentlichkeit.
Die heutige Gesetzgebung bewertet in Form der Kohlendioxid (CO2)-Emissionen nur den Teil der Energiekette vom Tank bis zum Rad. Die Energie, die gebraucht wird, um Kraftstoff, Antriebe und Batterien herzustellen, wird heute nicht berücksichtigt.
Neben Ihrem Institut leiten Sie auch das Field of Expertise (FoE) „Mobility & Production“. Welchen Mehrwert hat diese TU Graz-weite Bündelung der Expertise zu Fahrzeugtechnologien, Antriebssystemen und Produktherstellungsverfahren?
Helmut Eichlseder: Durch die regelmäßigen Meetings und die FoE-Tage, an denen die einzelnen Stärkefelder Forschungsbereiche vorstellen, findet auch interne Vernetzung statt. Der zentrale Mehrwert sind die Projekte, die daraus entstehen. Die Bereiche Mobility und Production greifen stark ineinander, das wird gerade in Graz beispielhaft am industriellen Umfeld sichtbar. Da haben wir auf der einen Seite die AVL, die ein Weltleader auf dem Antriebsentwicklungssektor ist und auf der anderen Seite eine Magna, deren größter Produktionsstandort für Fahrzeuge in Graz ist. Und dann haben wir in den FoE noch das wichtige Instrument der Anschubfinanzierung, wo innerhalb des FoE Themenstellungen identifiziert werden, die von der TU Graz finanzielle Starthilfe für Anträge in wettbewerbsorientierten Förderprogrammen bekommen.
Mehrere Leitungsfunktionen, Forschung, Lehre – Sie leben einen fordernden beruflichen Alltag. Was treibt Sie an, wenn Sie morgens zur Arbeit gehen?
Helmut Eichlseder: Grundsätzlich ist es die menschliche Komponente, ich arbeite sehr gern mit Menschen. Es macht Spaß, mit den motivierten Mitarbeitenden am Institut technisch einen Fortschritt zu erarbeiten. Auch bei den Studierenden haben wir sehr viele, die sehr interessiert und engagiert sind. Was mich ursprünglich interessiert hat, als ich von BMW an die TU Graz gegangen bin, war die technische Forschung in ihrer ganzen Bandbreite – noch verlockender, wenn eine so gut ausgestattete Infrastruktur zur Verfügung steht, wie hier am Institut. Eine experimentelle Ausstattung wie hier ist nicht der Normalfall, sondern eher einzigartig.
Eine experimentelle Ausstattung wie hier ist nicht der Normalfall, sondern eher einzigartig.
Helmut Eichlseder (Mitte) mit Kollegen Stephan Schmidt und Roland Kirchberger in seinem natürlichen Element vor dem Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik.
Wie sind Sie zur Motorenforschung gekommen?
Helmut Eichlseder: Am Beginn standen das Zweirad und der Motorsport. Beim Fahrrad hat mich eher die Sportlichkeit interessiert, erst mit dem Motorrad hat mich die Technik so richtig infiziert. In der HTL-Zeit war ich als Mechaniker mit einem Rennfahrer in ganz Österreich unterwegs. Und wahrscheinlich bin ich auch erblich vorbelastet (grinst). Meine Familie war seit Generationen eine Schmiede- und Wagenbaufamilie im Innviertel (steht auf und zeigt ein Foto des Huf- und Wagenschmieds Georg Eichlseder vor seiner Werkstätte).
Wann haben Sie sich zuletzt die Hände an einem Motor schmutzig gemacht?
Helmut Eichlseder: Das war vor einem Monat, als ich zu Hause einen Oldtimer eingewintert habe, ein ganz altes Fahrzeug von 1929, das braucht schon ein wenig Pflege. Auf den Prüfständen am IVT komme ich nicht zu schmutzigen Fingern, da haben wir viel geschicktere und geschultere Mitarbeitende.
Wieviel Elektronik auch dazu kommen mag, die Hardware wird es immer geben – und damit meine ich nicht nur die EDV-Hardware...
Sie sind also Maschinenbauer aus Tradition und Begeisterung. Wenn Sie heute vor der Studienwahl stünden: Würden Sie wieder Maschinenbau studieren?
Helmut Eichlseder: Ja, eindeutig. Ich würde mir im Studium mehr elektrotechnische und elektronische Aspekte anschauen, aber das Thema Maschinenbau mit Elementen der Regelungstechnik und der grundlegenden Thermodynamik, Mechanik bis hin zur Strömungslehre wird immer eine gute Basis sein. Denn wieviel Elektronik auch dazu kommen mag, die Hardware wird es immer geben – und damit meine ich nicht nur die EDV-Hardware sondern auch die, auf die wir etwas aufbauen oder auf der wir sitzen, sei es ein Fahrgestell beim Fahrzeugbau, ein Antriebssystem oder ein Gerüst.
Auf der „Face to face“-Website finden Sie weitere Gespräche mit Menschen, die die TU Graz ausmachen.