Informatiker David Garcia will die Menschen verstehen. „Die Sozialwissenschaften sind die harten Wissenschaften. Es ist sehr schwer vertrauenswürdige Daten zu erhalten, wie es zum Beispiel in der Physik möglich ist. Die Forschung ist auf Umfragen und Studien beschränkt– aber da ist so viel, was wir über komplexe menschliche Systeme noch nicht wissen“, erklärt der 35-jährige Professor für Computational Behavioral and Social Sciences am Institute of Interactive Systems and Data Science der TU Graz. Für ihn ist das Wechselspiel zwischen neuen Technologien und dem Verhalten der Menschen interessant. Wie verändern sich Menschen in Gegenwart scheinbar ständig lauschender Haushaltsgegenstände? Wie wirkt sich dieser Verlust der Privatsphäre auf unsere Fähigkeit aus, über Gefühle zu sprechen oder Hilfe zu suchen? Wie kommunizieren Menschen nach hochemotionalen Ereignissen wie einem Terroranschlag oder einer Umweltkatastrophe? Und welche Überlegungen macht eine künstliche Intelligenz, deren Ergebnisse zwar prüfbar sind, aber deren Arbeitsweg unsichtbar bleibt?
Datensicherheit und Privatsphäre
Datensicherheit und Privatsphäre spielen in David Garcias Forschung eine große Rolle. Sie beeinflussen mit, wie sich neue Technologien – wie Smartphones oder smarte Haushaltsgegenstände – auf das Leben und die Kommunikation der Menschen auswirken. „Wir stellen uns in der Forschung die Frage, wie Menschen ihre Emotionen ausdrücken, wenn sie ständig das Gefühl haben, dass alle Gespräche von smarten Gegenständen belauscht und aufgezeichnet werden“, erklärt Garcia.
Emotionen sind ein wichtiger Inhalt seiner Arbeit. So untersucht er beispielsweise, ob sich das Kommunikationsverhalten der Menschen nach hochemotionalen Ereignissen wie einer Naturkatastrophe oder einem Terroranschlag online mit dem offline vergleichen lässt. Einen tragischen Forschungsanlass fand Garcia kürzlich in Österreich: Der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt im November 2020. „Nach einem so schrecklichen Ereignis ist nicht die Zeit, um Umfragen zu machen. Aber das würde man für die Forschung brauchen. Also haben wir untersucht, wie Menschen online über Twitter kommuniziert haben und ob wir diese Erkenntnisse auf die Gesamtbevölkerung umlegen können. Und ja, wir haben gute Ergebnisse erzielt.“ Dabei sollen seine Methoden aber nicht die klassischen Methoden aus der Psychologie oder Soziologie ersetzen, sondern mit ihrem Datenschatz ergänzen.
David Garcia untersuchte die öffentlichen Emotionen nach den Terroranschlägen in Wien und in Paris.
Donald Trump und der Brexit
„2012 habe ich begonnen, mich mit der Polarisierung unserer Gesellschaft zu beschäftigen. Damals war Donald Trump noch kein Politiker und Großbritannien noch in der EU – niemand konnte wissen, wie wichtig dieses Thema bald werden würde“, erzählt Garcia von einem weiteren wichtigen Forschungsinteresse. Gemeinsam mit seinem Team untersucht er online komplexe soziale Geflechte; beobachtet, wie unterschiedliche Gruppen Cluster bilden; lernt, wie sich großgesellschaftlich Meinungen bilden. Insbesondere möchte er so herausfinden, wie sich gesellschaftliche Meinungen über längere Zeiträume zu ändern beginnen.
Neben dem textlastigen Online-Netzwerk Twitter, das ihm oft als Basis seiner Arbeit dient, hat er in Österreich ein neues, aufschlussreiches Medium entdeckt: Das Forum des Nachrichtenportals derstandard.at. „Dieser Datenschatz ist unglaublich. Es wird viel diskutiert – auch von Personen, die eigentlich nicht zur typischen Zielgruppe dieser Zeitung gehören.“
Rechte Hand und linke Hand
Interessant ist auch, dass Menschen nicht nur online kommunizieren, sondern sich auch technische Mittel auf die Kommunikation der Menschen auswirken. So beschäftigt sich David Garcia unter anderem mit dem QWERTZ-Effekt, der beeinflusst, wie positiv ein Text wahrgenommen wird. Dieser Effekt beschreibt, dass sich die Anzahl der mit der rechten Hand auf einer Tastatur angetippten Buchstaben in einem Text auf die Wahrnehmung des Textes auswirkt. „Je mehr Buchstaben darin vorkommen, die auf der rechten Seite der Tastatur angelegt sind, desto positiver wird ein Text für die Lesenden“, beschreibt Garcia. „Ich konnte es am Anfang selbst nicht glauben, als ich zum ersten Mal davon las.“ Also untersuchte er unter anderem die Titel von Videos auf der Videoplattform YouTube. „Und tatsächlich hatten Videos durchschnittlich mehr Likes, wenn ihre Überschrift mit mehr rechtshändigen Buchstaben geschrieben wurde.“
Im Herbst startet an der TU Graz der neue englischsprachige Master-Studiengang Computational Social Systems, der stark von David Garcia Arbeit beeinflusst wird. Alle Informationen finden Sie online unter Masterstudium Computational Social Systems.
Künstliche Intelligenz und Sozialwissenschaft
David Garcia nutzt in seiner Forschung aber auch den umgekehrten Weg und versucht, neue Technologien mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden zu verstehen. Eine künstliche Intelligenz ist zum Beispiel eine schwer zu überprüfende Technologie. Zwar können Forschende sehen, ob die Ergebnisse der KI stimmen, nicht aber, wie sie zu diesen Ergebnissen gekommen ist. „Wir wenden also Methoden aus der Psychologie und Soziologie auf das Verhalten intelligenter Maschinen an“, erklärt der Forscher. „So können wir viel über die Arbeitsweise der KI erfahren und wissen zum Beispiel jetzt, warum sie einen Text als positiv, negativ, wütend oder fröhlich wahrnimmt.“
Diskutieren oder Nicht-Diskutieren
In seiner täglichen Arbeit ist David Garcia mit hochwallenden Emotionen konfrontiert, die oft die Gespräche online dominieren. Ist es dabei überhaupt möglich, selbst ruhig und sachlich zu bleiben? „Ich habe schon lange aufgehört, mich selbst an Online-Diskussionen zu beteiligen“, erzählt Garcia lächelnd. „Online-Medien dienen weniger dazu, die Meinung anderer zu ändern, als die eigene Meinung festzuhalten. Diese Diskussionen tragen selten dazu bei, dass sich die Meinung des Gegenübers ändert. Also beobachte ich heute lieber.“
Dieses Forschungsprojekt ist im Field of Expertise „Information, Communication & Computing“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
Mehr Forschungsnews finden Sie auf Planet research. Monatliche Updates aus der Welt der Wissenschaft an der TU Graz erhalten Sie über den Forschungsnewsletter TU Graz research monthly.