Keine Lipide, kein Leben: Lipide bilden in jedem Organismus Zellwände, speichern Energie und geben sie bei Bedarf wieder ab, und spielen eine wichtige Rolle in der Zellkommunikation. Es ist erwiesen, dass Änderungen der Lipidzusammensetzung bei Krankheiten wie Krebs, Fettleber oder Multipler Sklerose eine kausale Rolle spielen. Groben Schätzungen zufolge gibt es etwa 300.000 unterschiedliche Lipide. Rückschlüsse darauf, welche Lipidänderungen zu welchen Krankheitsbildern führen, lassen sich nur durch Vergleiche von Lipiden aus gesunden und aus erkrankten Organismen ziehen. Das setzt eine verlässliche und rasche Detailinformation über die Struktur und Zusammensetzung von Lipiden aus Gewebeproben voraus – und genau dafür haben Forschende des Verbundes BioTechMed-Graz ein Tool entwickelt, das aktuell in Nature Methods vorgestellt wird.
Lipide mit Charakter
Lipide – oft vereinfacht schlicht als „Fette“ bezeichnet - sind komplexe Substanzen, die neben verschiedenen anderen Komponenten hauptsächlich aus Fettsäuren aufgebaut sind. In der gesamten Lipidforschung gibt es noch viel unentdecktes Terrain. Auch die Erkennung struktureller Eigenschaften von Lipidmolekülen im Hochdurchsatzverfahren steht noch relativ am Anfang. Dabei wird eine große Anzahl an Proben massenspektrometrisch vermessen – aus den dabei gewonnenen Daten lassen sich beispielsweise die Lipidart und Lipidklasse oder die Art und Position der Fettsäureketten der Lipide feststellen. Allerdings können sich die gemessenen Spektren ein und desselben Lipids sehr unterscheiden, da Lipide je nach Einstellungen des Massenspektrometers und nach Ladung des Moleküls unterschiedliche Bruchstücke in den Spektren zeigen. Aufgrund dieser Spektrendiversität gab es bislang keine universell einsetzbare Bioinformatiksoftware für die automatisierte Ermittlung von Lipidstrukturen.
Gerhard Thallinger vom Institute of Computational Biotechnology der TU Graz erklärt die Notwendigkeit der automatisierten Lipidcharakterisierung: „Schnelle und übersichtliche Detailinfos zur Lipidzusammensetzung aus Zellproben ist die Voraussetzung für Vergleiche mit Referenzproben aus gesunden Zellen – nur so ist erkennbar, welche Änderungen der Lipidzusammensetzung Biomarker für Krankheiten sein können. Wichtig ist die Frage: Welche Änderungen der Lipidzusammensetzung in Zellen sind in der Diagnostik relevant?“
Der „Lipid Data Analyzer“, den Forschende der TU Graz, der der Med Uni Graz und der Karl-Franzens-Universität Graz nun in Nature Methods vorstellen, wird die Arbeit in der biomedizinischen Forschung immens erleichtern und die Lipidforschung deutlich beschleunigen, ist Jürgen Hartler, ebenfalls Institute of Computational Biotechnology, überzeugt: „Die Methode, die wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Med Uni Graz und der Uni Graz entwickelt haben, interpretiert Lipidspektren anhand intuitiver Regelwerke und kann flexibel an veränderte Fragmentierungseigenschaften angepasst werden. Mit diesem Tool ist es erstmals möglich, Lipide auf einer sehr detaillierten, strukturellen Ebene zu identifizieren, genauer und zuverlässiger als mit bisherigen Lösungen.“ Das Team der TU Graz war für die Softwareentwicklung zuständig, die Massenspektrometer-Experimente und Usability Tests wurden am ZMF der Med Uni Graz und der Uni Graz durchgeführt, biologische Experimente fanden an der Uni Graz statt.
Erweiterbar auf andere Stoffwechselprodukte wie Zucker
Schon jetzt konnten mit dem Lipid Data Analyzer über 100 Lipidspezies identifiziert werden, die bis dahin völlig unbekannt waren. Das Tool lässt sich flexibel anpassen, nicht nur für neue Lipidklassen. Denkbar ist etwa die Anwendung zur Charakterisierung von Vielfachzuckern oder Glykolipiden, also Lipiden mit angehängten Zuckern. Die Forschenden stellen den Lipid Data Analyzer der Wissenschaftscommunity als open source zur Verfügung.
Zum Paper in Nature Methods:
Deciphering lipid structures based on platform-independent decision rules. J. Hartler*, A. Triebl*, A. Ziegl, M. Trötzmüller, G.N. Rechberger, O.A. Zeleznik, K.A. Zierler, F. Torta. A. Cazenave-Gassiot, M.R. Wenk, A. Fauland, C.E. Wheelock, A.M. Armando, O. Quehenberger, Q. Zhang, M.J.O Wakelam, G. Haemmerle, F. Spener, H.C. Köfeler, G.G. Thallinger. DOI: 10.1038/nmeth.4470. *equal contribution