Der Himmel vor dem wandfüllenden Fenster hat die Farbe von frischem Beton. Sonnenstrahlen finden heute keine Lücke in der Wolkendecke. Im Büro von Birgitta Schultze-Bernhardt ist es angenehmer. Es gibt Wasser aus Kaffeebechern und warmes Deckenlicht. Dass der bedeckte Himmel die ultravioletten Sonnenstrahlen schluckt, stört die Physikerin nicht. Denn ihre UV-Strahlen möchte sie in Zukunft selbst machen.
UV-Strahlung ist sehr hochenergetische Strahlung. Trifft sie auf Materie oder Gase, sind die Wechselwirkungen deshalb sehr häufig und stark. Weil sie auch von unserer Sonne ausgestrahlt wird, ist sie für die Forschung besonders relevant. Aber auch schwierig, da es derzeit noch keine Laserquelle gibt, die so hochenergetisches Licht direkt emittieren kann. „Ich habe bereits während meiner Doktorarbeit daran gearbeitet, einen Frequenzkamm für den UV-Bereich zu erzeugen“, erzählt die Forscherin. „Ein Frequenzkamm ist quasi ein Laser-Lineal, mit dem ich Strahlung ganz exakt und breitbandig vermessen kann.“ Für ihre Forschung nutzt sie ein Verfahren zum Umwandeln von Infrarotlicht in UV-Licht – eine leider sehr ineffiziente Methode: Es geht sehr viel Laserleistung verloren, dementsprechend muss auf einem sehr hohen Level gestartet werden.
ERC Starting Grant und START-Preis
In zwei Projekten, die wie ein Baum im selben thematischen Boden wurzeln und sich nach oben hin verzweigen, will sie einen neuen Zugang zur UV-Spektroskopie schaffen. Das Projekt Elektronische Fingerabdruckspektroskopie (ELFIS) wurde im Frühjahr mit dem START-Preis des FWF ausgezeichnet und hat den niedrigeren UV-Bereich im Fokus. Im Sommer erhielt die Forscherin einen ERC Starting Grant des European Research Council, mit dem sie sich nun zusätzlich dem hochenergetischen UV-Bereich widmen kann. „Mit diesen Mitteln kann ich eine besondere Laserquelle und zwei Hochleistungsverstärker nach Graz holen“, freut sie sich auf die kommenden Forschungsjahre.
Die Ergebnisse ihrer Arbeit sollen zum einen die Präzisionsspektroskopie verbessern und zum anderen in der angewandten Forschung eingesetzt werden, zum Beispiel in der Atmosphärenforschung: „Wir könnten damit untersuchen, wie sich das UV-Licht der Sonne auf die Gase in der Erdatmosphäre auswirkt, und damit etwa nachprüfen, zu welchen Verhältnissen genau diese Gasmoleküle zu neuen Molekülen reagieren oder einfach zerfallen“, erklärt sie und fügt an: „Wir Physiker wollen immer alles ganz genau wissen.“
Regenbögen im Kinderzimmer
Und das wollte die heute 39-Jährige schon seit Kindertagen. Licht fasziniert die Forscherin, seit das gerahmte Bild ihrer Großeltern zum ersten Mal einen Regenbogen an die Decke ihres Kinderzimmers warf. „Ich habe das Foto damals immer so arrangiert, dass der Regenbogen besonders schön aussah“, erzählt sie. „Mich haben so simple Dinge wie ein Regenbogen, ein konvexer Spiegel an einer Hausausfahrt oder das umgedrehte Spiegelbild in einem Löffel fasziniert.“ Bereits während der Schulzeit begeisterte sie sich für Mathematik und wenig später kam Physik hinzu – „weil dieses Fach für mich näher an der Realität ist.“ Im Studium entschied sie sich dann für die Physik und beschäftigte sich bereits während ihrer Diplomarbeit bei Nobelpreisträger Theodor Hänsch am Max- Planck-Institut für Quantenoptik mit Frequenzkämmen.
„Viele haben der Wissenschaft den Rücken gekehrt“
„Es gab in meiner Studienrichtung nur wenige Frauen. Was mich aber gestört hat, war, dass während meines Doktorats die Frauen um mich herum immer weniger geworden sind“, erzählt die zweifache Mutter. „Viele haben der Wissenschaft den Rücken gekehrt, weil sie dachten, dass sich Familie und Wissenschaft nicht vereinen lassen.“ Falls möglich, möchte sie jungen Forscherinnen Zuversicht mitgeben: „Lösungen finden sich oft leichter, als man denkt. Bei mir wurde es möglich, weil ich die Leidenschaft für den Beruf und für die Familie vereint habe. Es hat sich sehr viel getan in den letzten Jahren und mittlerweile wird sogar auf einigen Konferenzen Kinderbetreuung angeboten.“
TU Graz und ERC Grants
Derzeit sind an der TU Graz sechs Projekte aktiv, die einen ERC Grant erhalten haben: ELFIS (Birgitta Schultze-Bernhardt, ERC Starting Grant), HelixMold (Gustav Oberdorfer, ERC Starting Grant), POPCRYSTAL (Paolo Falcaro, ERC Consolidator Grant), SmartCore (Anna Maria Coclite, ERC Starting Grant), SOPHIA (Stefan Mangard, ERC Consolidator Grant) und FEEL YOUR REACH (Gernot Müller-Putz, ERC Consolidator Grant).
Gerade beendet wurden zwei ERC-geförderte Projekte: HOMOVIS (Thomas Pock, ERC Starting Grant) und OMICON (Stefan Freunberger, ERC Starting Grant).