„Neuro Information Systems“ – NeuroIS – ist eine Teildisziplin der Wirtschaftsinformatik, die neurowissenschaftliche Methoden einsetzt, um das menschliche Verhalten bei der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) zu beschreiben. Dies wurde bislang hauptsächlich mittels Befragung oder Beobachtung erforscht. Da insbesondere Befragungsdaten erheblichen Verzerrungen unterliegen können, ist der komplementäre Einsatz neurowissenschaftlicher Methoden vorteilhaft. Im Speziellen ist eine Gehirn-Computer-Schnittstelle eine vielversprechende Methode, die Gehirnaktivität direkt zu messen und zu klassifizieren. Ein Forschungsschwerpunkt am Institut für Neurotechnologie widmet sich der Anwendbarkeit von Gehirn-Computer-Schnittstellen auf spezielle Konstrukte der NeuroIS-Forschung, wie zum Beispiel (un-)bewusste Entscheidungen und Technostress.
Klassifikation (un-)bewusster Entscheidungen
Eine klassische Gehirn-Computer-Schnittstelle stellt eine Verbindung zwischen Gehirn und Computer dar und erzeugt durch Messung von Gehirnströmen Steuersignale, die nur durch mentale Vorstellung beeinflusst werden können. In den letzten zehn Jahren sind diese Systeme auch für andere Forschungsrichtungen interessant geworden. Vor allem passive Gehirn-Computer-Schnittstellen, bei denen die Gehirnaktivierung von der Maschine kontinuierlich analysiert wird, gewinnen zunehmend an Attraktivität. So werden momentane Aufmerksamkeitszustände oder kognitive Belastungen der Nutzer anhand ihrer Gehirnaktivität aufgezeichnet und in Echtzeit rückgemeldet. Diese Funktionalität könnte genutzt werden, um Benutzeroberflächen in Echtzeit immer wieder iterativ an die individuellen Nutzerinnen und Nutzer anzupassen, um zu einer deutlichen Verbesserung der Mensch-Maschine-Interaktion beizutragen.
Entscheidungsfindung und das Eisberg-Konzept.
In den letzten Jahren zeigte sich auch im Bereich Marketing ein zunehmendes Interesse an derartigen Systemen, da Personen meist nicht in der Lage sind, eine Entscheidung vollständig zu erklären, wenn man sie direkt danach fragt. Aus diesem Grund werden verstärkt neurowissenschaftliche Methoden wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) oder Elektroenzephalographie (EEG) eingesetzt, um unbewusste Prozesse in der Entscheidungsfindung zu entdecken. Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen konnten, dass Entscheidungen bereits Sekunden vor deren bewusstem Erleben getroffen werden.
Um dies zu untersuchen, ist vor allem ein passives BCI-System eine geeignete Methode – was wir in mehreren EEG-Studien bereits nachweisen konnten. Wir haben bei Personen die unterschiedlichen Aktivierungsmuster bei der Betrachtung verschiedener Autodesigns aufgezeichnet und klassifiziert. Nach entsprechender Datenanalyse zeigte sich ein signifikanter Unterschied in den frühen ereigniskorrelierten Potenzialen (<250 ms) zwischen dem Autodesign, das den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am besten gefiel, und allen anderen. Das heißt, wir konnten, ohne die Teilnehmenden direkt zu fragen, bereits in der Analyse ihrer Gehirnsignale eine Unterscheidung zwischen favorisiertem Autodesign und allen anderen machen. Diese Anwendung einer Gehirn-Computer-Schnittstelle könnte vor allem auch im Neuromarketing interessant sein, um unbewusste neuronale Prozesse der Präferenzen von Konsumentinnen und Konsumenten oder Produktgestaltungsprinzipien zu untersuchen.
Oben: Aufbauund Timing eines Experiments. Unten: Durchschnittliche Aktivität im Gehirn bei der Betrachtung des Lieblingsautos. Links: Topografische Karte der erhöhten Gehirnaktivität (in Blau) nach Präsentation des Stimulus. Rechts. Frühe, auf das Ereignis bezogene Potenziale zwischen 130 und 230 ms zeigen das unbewusste Verarbeiten visueller Information bei der Betrachtung des Lieblingsautos.
Reduktion von Technostress
Ein weiterer neuer Anwendungsbereich der sogenannten passiven Gehirn-Computer-Schnittstellen ist deren Einsatz zur Reduktion von Technostress. Unter Technostress versteht man ein Phänomen, das durch die direkte Interaktion mit fehlerhafter ICT entsteht. Zum Beispiel verursacht ein Textverarbeitungsprogramm, das ständig abstürzt, deutlichen Stress bei den Anwenderinnen und Anwendern. In der Vergangenheit wurden die Auswirkungen von Technostress vor allem mittels Muskelspannung, Hautleitfähigkeit und Herzratenvariabilität untersucht. In einem zukünftigen Projekt werden wir zusätzlich zur Messung der Hautleitfähigkeit auch das EEG und fMRT aufzeichnen. Ziel ist es, die Gehirnaktivität bei Technostress zu untersuchen und über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle geeignete Bewältigungsstrategien (zum Beispiel Abspielen der Lieblingsmusik) zu starten, sobald ein erhöhter Stresslevel detektiert wird. Durch dieses Neurofeedback werden selbstregulierende Mechanismen gestartet, die augenblicklich eine Reduktion des Stresslevels zur Folge haben. Da laut Statistik arbeitsbedingter Stress am häufigsten zu Erkrankungen führt, könnte diese Gehirn-Computer-Schnittstelle wesentlich zum Wohlbefinden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beitragen.
Schemantischer Überblick über die zukünftigen Anwendungen von BCI zur Reduktion von Technostress.
Im Sinne von „BCI trifft NeuroIS“ wird dieses Projekt in Kooperation mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik an der FH Oberösterreich durchgeführt.