Die japanische Buschmücke oder der asiatische Marienkäfer sind sehr gute Beispiele dafür, wie sich eingewanderte und eingeschleppte Tiere aufgrund der geänderten Klimabedingungen in Mitteleuropa wohlfühlen. Dabei ist es durchaus möglich, dass sich manche Einwanderer mit heimischen Arten kreuzen – wie einst auch geschehen zwischen dem modernen Menschen und dem Neandertaler. Und sich danach, sofern sich die betroffenen Arten noch im Zeitfenster der genetischen Kompatibilität befinden, unter den lokalen Umweltbedingungen weiter ausdifferenzieren. Derart angereicherte Genome bieten der Selektion neue Möglichkeiten, wodurch rasch vorteilhafte Genotypen in einem „Mosaikgenom“ fixiert werden. So können gemäß der Hybridschwarm-Theorie durch Hybridisierung neuer Populationen Arten entstehen, die spezifische, vorher nichtexistierende Eigenschaften besitzen. Nach welchen grundlegenden Mechanismen das funktioniert, erforscht ein internationales Team von EvolutionsbiologInnen rund um Christian Sturmbauer von der Universität Graz und Axel Meyer von der deutschen Universität Konstanz. Ihre Probanden sind Buntbarsche im ostafrikanischen Tanganjikasee. Die WissenschafterInnen entschlüsselten anhand einer neuen genomischen Methode mehr als 500 ausgewählte Gene dieser Tiere und konnten so die rasante Entstehung neuer Arten erklären.
Das Projekt wurde durch die intensive Zusammenarbeit von vier internationalen Universitäten – der Arbeitsgruppe von Alan und Emily Lemmon von der Florida State University, von Axel Meyer an der Universität Konstanz und des Teams von Christian Sturmbauer von der Universität Graz in Zusammenarbeit mit Gerhard Thallinger von der TU Graz – möglich. Iker Irisarri (Konstanz), Pooja Singh und Stephan Koblmüller (Universität Graz) leisteten wichtige Beiträge. Die Ergebnisse der Studie sind am 8. August 2018 im renommierten Fachmagazin Nature Communications erschienen.
Die Ergebnisse der Studie sind im renommierten Fachmagazin Nature Communications erschienen.
„An Modellorganismen wie den Buntbarschen, von denen mehrere hundert Arten im abgeschlossenen Ökosystem des Tanganjikasees leben, lassen sich die treibenden Kräfte der Artentstehung besonders gut erforschen“, erklärt Christian Sturmbauer vom Institut für Biologie der Universität Graz. „Über die errechneten Stammbäume haben wir herausgefunden, warum manchmal explosionsartig neue Arten entstehen“, fasst der Evolutionsbiologe zusammen. Es hat sich gezeigt, dass auch am Beginn der ältesten Buntbarsch-Radiation die Umwelt-induzierte Massenhybridisierung zwischen den Besiedler-Linien innovative Formen erzeugt, die sich danach unter stabilen Bedingungen rasch weiter ausgeweitet haben. Unter Radiation versteht man in der Evolutionsbiologie die Entstehung vieler neuer Arten aus einer einzigen Stammart heraus. Das Tempo der öko-morphologischen Innovation und Artentstehung wird dabei so schnell, dass man regelrecht von einem „Boost“ sprechen kann. Am Beispiel der Buntbarsche im Tanganjikasee war es eine Linie aus dem unteren Kongofluss, die zwar nicht mehr eigenständig im heutigen See vorkommt, aber in Form von Genen in den anderen Linien nachgewiesen werden konnte.
Es sorgen also jene Merkmale, die dem Druck der Selektion ausgesetzt sind, für die Entstehung neuer Arten.
„Signifikant dafür waren das nachweislich jene Gene, die für die Farbgebung entscheidend sind sowie die Spezialisierung des Kiefers beeinflussen. Diese Gene variieren schneller, bleiben dann in den differenzierten Arten erhalten und entwickeln sich weiter. „Es sorgen also jene Merkmale, die dem Druck der Selektion ausgesetzt sind, für die Entstehung neuer Arten“, erklärt Sturmbauer den Vorgang. Bei den Buntbarschen ist das beispielsweise die Veränderung des Gebisses, wodurch die Fische bestimmte Nahrungsnischen erschließen können.
Das Team konnte ebenfalls den viel diskutierten zeitlichen Ablauf der Ereignisse wissenschaftlich beleuchten: Bisher waren alle molekularen Eichungsversuche entweder zu jung, was eine transatlantische Verbreitung der Buntbarsche im Zuge der Besiedlung von Südamerika nahelegte, oder zu alt, was den eher problematischen Beginn der Radiationen vor den Entstehungsdaten der jeweiligen Seeökosysteme bedeutete. Die Eichung mit einem neuen methodischen Ansatz steht im Einklang mit dem Aufbrechen des Gondwana-Südkontinents und der Chronologie der Einsenkung des ostafrikanischen Grabenbruchs, wodurch in-situ Evolution im Einklang mit dem reifenden Ökosystem wieder favorisiert werden kann. „Diese Erkenntnisse helfen uns, aktuelle Veränderungen im Tierreich, etwa durch den Klimawandel, zu verstehen“, betont der Grazer Forscher.
Dieses Forschungsgebiet ist im FoE „Human & Biotechnology“ verankert, einem der fünf Stärkefelder der TU Graz.
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