Ein Team von Forschenden des Know-Centers, der Technischen Universität Graz, der Johannes Kepler Universität Linz, der Universität Innsbruck und der Universität Utrecht hat die Treffsicherheit von Algorithmus-basierten Musikempfehlungen für Hörerinnen und Hörer von Mainstream- und Nicht-Mainstream-Musik untersucht. Dafür wurde ein Datensatz des bisherigen Hörverhaltens von 4.148 Nutzerinnen und Nutzern der Musik-Streaming-Plattform Last.fm verwendet, von denen die eine Hälfte vorwiegend Nicht-Mainstream- und die andere Hälfte vorwiegend Mainstream-Musik hörte.
„Da immer mehr Musik über Musik-Streaming-Dienste verfügbar ist, sind Empfehlungssysteme für das Suchen, Sortieren und Filtern umfangreicher Musiksammlungen unentbehrlich geworden. Die Qualität der Empfehlungen vieler hochmoderner Musikempfehlungstechniken für Nicht-Mainstream-Musikhörenden lässt aber noch einiges zu wünschen übrig. In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass sich die Offenheit von Hörerinnen und Hörer für Musik abseits der eigenen Hörpräferenzen positiv auf die Qualität von Empfehlungen auswirkt. Der sogenannte ‚Blick über den Tellerrand‘ zahlt sich also auch beim Musikhören aus“, erklärt Dominik Kowald, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Leiter des Forschungsbereichs Social Computing am Know-Center.
Algorithmus klassifiziert Musikhörer
„Wir haben zunächst ein Computermodell mit jenen Künstlerinnen und Künstlern erstellt, die von den Nutzerinnen und Nutzern am häufigsten gehört wurden. Anhand dieses Modells konnten wir vorhersagen, wie wahrscheinlich es ist, dass die Empfehlung von vier gängigen Musikempfehlungsalgorithmen den individuellen Hörgeschmack tatsächlich trifft. Das Ergebnis legt nahe, dass Hörerinnen und Hörer von Mainstream-Musik offenbar treffendere Musikempfehlungen erhalten als Hörerinnen und Hörer von Nicht-Mainstream-Musik“, so Elisabeth Lex, wissenschaftliche Leiterin der Studie und Assoziierte Professorin am Institute of Interactive Systems and Data Science der Technischen Universität Graz.
Die Hörerinnen und Hörer von Nicht-Mainstream-Musik wurden durch einen Algorithmus anhand der Charakteristika der Musik, die sie am häufigsten hörten, in folgende Kategorien eingeteilt: Hörerinnen und Hörer von Musikgenres, die ausschließlich mit akustischen Instrumenten gespielt werden (z.B. Folk), Hörerinnen und Hörer von energiegeladener Musik (Hardrock, Hip-Hop), Hörerinnen und Hörer von Musik mit akustischen Instrumenten aber ohne Gesang (z.B. Ambient) sowie Hörerinnen und Hörer von energiegeladener Musik ohne Gesang (z.B. Electronica).
Die Forschenden verglichen die Hörgewohnheiten der einzelnen Gruppen miteinander und ermittelten, welche Personen am häufigsten Musik außerhalb ihrer bevorzugten Genres hörten und wie breit gestreut die gehörten Musikgenres innerhalb jeder Gruppe waren. Wer hauptsächlich Musik wie Ambient hörte, wies am ehesten eine Bereitschaft auf, sich auch auf Musik einzulassen, die eigentlich von Hardrock-, Folk- oder Electronica-Fans bevorzugt wurde. Personen mit einer Vorliebe für energiegeladene Musik waren am wenigsten geneigt, Musik zu hören, die von der Folk-, Electronica- oder Ambient-Anhängerschaft bevorzugt wurde. Sie hörten stattdessen die größte Vielfalt an Genres, zum Beispiel Hardrock, Punk, Singer/Songwriter und Hip-Hop.
Verzerrte Musikempfehlungsalgorithmen
Anhand des Computermodells prognostizierten die Forschenden, wie wahrscheinlich es ist, dass den verschiedenen Gruppen Nicht-Mainstream-Musikhörender die von den vier gängigen Musikempfehlungsalgorithmen generierten Empfehlungen tatsächlich gefielen. Die Empfehlungen für Liebhabende von überwiegend energiegeladener Musik schienen am wenigsten zutreffend zu sein, während sie bei Ambient-Hörenden die höchste Treffsicherheit erreichten.
Die Autorinnen und Autoren verweisen auf den potentiellen Nutzen ihrer Ergebnisse für die Entwicklung von Musikempfehlungssystemen, um bessere Empfehlungen für Musikbegeisterte zu generieren, die sich abseits des Mainstreams bewegen. Sie schränken aber ein, dass ihre Analysen auf einer Stichprobe von Nutzerinnen und Nutzern des Online-Musikdienstes Last.fm beruhen und die Ergebnisse nicht unbedingt repräsentativ sind für alle Last.fm-Nutzerinnen und Nutzern oder für Personen, die andere Musik-Streaming-Plattformen nutzen.
Diese Forschung ist an der TU Graz im „Field of Expertise“ Information, Communication & Computing verankert, einem von fünf Stärkefeldern.