Franz Haas lässt den Blick durch die Forschungs- und Lernfabrik smartfactory@tugraz in der Grazer Inffeldgasse schweifen. Hier hat sich in den vergangenen Monaten so einiges getan – viel mehr, als die zwei neuen kleinen Antennen im Raum vermuten lassen, wie der Dekan der Fakultät für Maschinenbau erzählt: „Wir haben gemeinsam mit unserem Partner T-Mobile Austria ein vollwertiges, so genanntes Campus-5G-Netz installiert, mit dem wir in Zukunft forschen werden.“ Der Fokus liegt dabei auf den Themen schnelle und sichere Datenübertragung, funktionale Arbeitssicherheit, System-Zuverlässigkeit und innovative Produktions- und Automatisierungssysteme. „Wir sehen uns mit dem neuen 5G-Netz als Inkubator für neue Anwendungsideen und möchten mit Partnerunternehmen aller Größen und Branchen spannende Projekte umsetzen.“
5G ist der Nachfolger des bisherigen Mobilfunkstandards 4G. Bisher wurde ein Frequenzbereich zwischen 3 kHz und 6 GHz für die Datenübertragung im Mobilfunk genutzt. 5G erweitert diesen Bereich auf bis zu 300 GHz. So können wesentlich mehr Daten in viel kürzerer Zeit mit deutlich geringerer Sendeleistung übertragen werden. Das ist vor allem für jene Bereiche interessant, wo systemkritische Echtzeitdaten in sehr hoher Menge anfallen, wie z. B. im Internet der Dinge, in der hochautomatisierten Produktion und beim autonomen Fahren.
Franz Haas (l.) und Rudolf Pichler inspizieren die 5G-Antennen (oben) in der Pilotfabrik smartfactory@tugraz. © Lunghammer – TU Graz
Einsatzmöglichkeiten und neue Ideen
Die Einsatzmöglichkeiten sind breit gestreut, wie Franz Haas erklärt: „5G ermöglicht uns, dass Daten quasi in Echtzeit verarbeitet und versendet werden. Das kann die Sicherheit in Produktionsanlagen wesentlich erhöhen.“ Der neue Standard wäre zum Beispiel ausreichend schnell, um Mitarbeitenden Gefahrenmeldungen augenblicklich über getragene Datenbrillen anzuzeigen oder Not-Halt-Befehle an Maschinen bei kritischen Fehlern zu versenden. „Safety ist und bleibt auch in Zukunft ein zentrales Thema – 5G kann hier viel bewirken“, so der Forscher.
Neben der Sicherheit sieht Haas wesentliche Entwicklungsmöglichkeiten für die maschinelle Bildverarbeitung. So werden aktuell in einem ersten Projekt Mitarbeitende mit Datenbrillen ausgestattet, um Produktionswerkzeuge richtig zu erfassen, dadurch Betriebsfehler frühzeitig erkennen und vermeiden zu können und Wartungsarbeiten zu erleichtern. „Gerade an der TU Graz ist die Bildverarbeitung eine Domäne“, stellt Haas mit Blick auf zum Beispiel das Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen fest.
Und auch im Bereich der „Virtual und Augmented Reality“ ist der neue Mobilfunkstandard ein Türöffner zu neuen Welten. So können Konstrukteur*innen mittels Headsets quasi direkt in ihre Konstruktionen eintauchen und sie im wahrsten Sinne „von innen heraus“ bearbeiten. „Derzeit können Datenbrillen das dafür notwendige Rendering aufgrund ihrer Hardware-Restriktionen nur mit großem Aufwand leisten. Mithilfe der 5G-Technologie könnten diese großen Rechenaufgaben aber einer Cloud übertragen werden, die in Echtzeit die zu verarbeitenden Daten sendet und empfängt“, so Haas. Das führt so in eine komplett neue Welt des gemeinsamen Gestaltens von Maschinen und ganzen Fabrikanlagen.
Beim Thema Datensicherheit bahnt sich eine Kooperation mit dem Unternehmen SGS an: Der Weltmarktführer auf dem Gebiet der Prüfung, Verifizierung, Testung und Zertifizierung von Produkten, der auch IT-Sicherheitsevaluierungen durchführt, hat im Februar 2019 gemeinsam mit der TU Graz den Cybersecurity Campus Graz initiiert – dieser befindet sich am Campus Inffeldgasse, in direkter Nähe zur smartfactory@tugraz. „Es gab bereits erste Gespräche und ein starkes Commitment, eng zusammenzuarbeiten“, fasst Haas zusammen.
Das 5G-Netz in der smartfactory@tugraz wurde gemeinsam mit dem Mobilfunkanbieter T-Mobile Austria GmbH und mit Förderungen der Stadt Graz, der Wirtschaftskammer und des Landes Steiermark realisiert.
Geringste Strahlenbelastung
Neben den vielen Anwendungsmöglichkeiten wird auch ein öffentlich breit diskutiertes Thema aufgegriffen: 5G und die Gesundheit. Die kurzwellige Strahlung ist wesentlich störungsanfälliger als die bisher genutzte langwelligere Strahlung und könnte schon durch Steinmauern oder starken Regen beeinflusst werden. Deshalb werden wesentlich mehr Sendestationen als bisher notwendig sein. Diese Stationen sind aber auch deutlich kleiner und arbeiten mit geringeren Sendeleistungen als die aktuellen Sender. Das bedeutet, die neuen Stationen werden näher an die Wohnumgebung der Bevölkerung heranrücken. Das weckt bei Teilen der Öffentlichkeit Sorgen um die Gesundheit. Gemeinsam mit der AUVA will Haas hier langfristig die Strahlenbelastung durch 5G untersuchen. „Wir werden uns insbesondere anschauen, wie sich unterschiedliche Sendeleistungen der Antennen auswirken. Interessant ist auch, dass durch die Vielzahl an Sendestationen die aktuell nicht voll genutzten Stationen abgeschaltet oder in einem reduzierten Modus betrieben werden können und es so insgesamt sogar zu einer geringeren Strahlenbelastung als bisher kommt.“
Gemeinsames Forschen und die Zukunft gestalten
Rudolf Pichler, der Leiter Pilotfabrik smartfactory@tugraz, und Franz Haas laden ab sofort Unternehmen aller Branchen und Größen zur Kontaktaufnahme ein. „Wir möchten gemeinsam mit ihnen innovative Ideen zu Projekten rund um 5G-Anwendungen definieren und einen Transfer dieser neuen Technologie in die unternehmerische Realität ermöglichen. Wir sind mit unserem 5G-Campus-Netz österreichweit Pioniere und nützen Erfahrungen unserer Partner an der RWTH Aachen und an anderen Standorten.“