Der folgende Text ist ein wörtliches Transkript der Podcastfolge.
Talk Science to Me – der Wissenschaftspodcast der TU Graz
Herzlich Willkommen beim Wissenschaftspodcast Talk Science to Me. Heute beschäftigen wir uns noch einmal mit dem Thema Nachhaltiges Bauen. Zu Gast ist heute TU Graz-Professor Brian Cody. Er ist Ingenieur mit über 30 Jahren Erfahrung in der Analyse und im Design von energieeffizienten Städten, Gebäuden und Systemen. Und leitet an der TU Graz das Institut für Gebäude und Energie.
Talk Science to Me: Lieber Herr Professor Cody, vielen Dank, dass Sie heute meine Fragen beantworten zum Thema Nachhaltiges Bauen. Es wäre toll, wenn Sie sich als Erstes kurz vorstellen könnten. Wer sind Sie? Was haben Sie bisher gemacht?
Brian Cody: Ich bin Vorstand des Instituts für Gebäude und Energie an der TU Graz. Und seit, ich schätze, 30 Jahren beschäftige ich mich mit diesem Thema: Energienutzen der gebauten Umwelt.
Sie sagen, seit 30 Jahren – wo ist das Interesse für Sie hergekommen?
Cody: Das ist natürlich nicht über Nacht entstanden. Ich habe Ingenieurwesen studiert und habe mich aber immer für Architektur interessiert. Und die ersten Jahre war ich in Amerika, dann in London bei Ove Arup. Das ist ein großes Ingenieurbüro in London, weltweit operierend. Und war eigentlich in der Forschung und Entwicklung am Anfang. Dann in der Planungsabteilung, habe Projekte auf der ganzen Welt projektiert. Die Aufgabe war Gebäude und Bauphysik. Und relativ schnell ist mein Interesse daran gewachsen, wie man mehr in diese Schnittstelle, in die Architektur rein kommt. Weil hier eigentlich die Energieperformance zu einem großen Anteil bestimmt wird. Das war am Anfang der 90er-Jahre, wo das Thema an Bedeutung gewonnen hat. Es ist passiert sozusagen. Aber relativ schnell passiert. 1989 habe ich absolviert. 1992 war ich in Berlin als der Potsdamer Platz gebaut wurde und war schon voll drinnen im Geschehen. Also insofern ging das sehr rasch. Das Interesse ist eigentlich die Neugierde, wie man bei diesen physischen Prozessen, den Energienutzen der gebauten Umwelt zu einem besseren Verständnis kommt. Und dann mit diesem Wissen Gebäude und Städte baut, die natürlich einen minimalen Impact auf die Umwelt haben. Aber genauso wichtig, die eine Lebensqualität, also eine Livability wie man sagt, also eine Aufenthaltsqualität haben. Die Gesundheit der Menschen und das Wohlbefinden der Menschen gleichzeitig verbessern oder maximieren. Das ist die Motivation sozusagen.
Talk Science To Me ist der neugierigste Wissenschaftspodcast der Podcastwelt – aber vor allem der TU Graz. Wir stellen Fragen – unsere Forschenden antworten. Von künstlicher Intelligenz über Nachhaltiges Bauen bis hin zu Mikroorganismen, die sich von CO2 ernähren und so Proteine erzeugen. Hört rein und lasst euch begeistern.
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Ich möchte Ihnen jetzt ein kurzes Zitat von Ihnen vorlesen. Und zwar: „Vor dem vorherrschenden Hintergrund der globalen Erwärmung, rapide zur Neige gehenden Energieressourcen, exponentiellem Bevölkerungswachstum, steigenden geopolitischen Instabilitäten, die aus der Unsicherheit der zukünftigen Energieversorgungssituation resultieren, zusammen mit der Tatsache, dass Gebäude für mindestens 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich sind, ist gute Architektur ohne ein gutes Energiekonzept nicht möglich.“ Ist die Zukunft wirklich so düster?
Cody: Also das, was da aufgezählt wird, sind einfach Fakten. Das sind die nackten Tatsachen. Und in diesen Tagen erleben wir das. Bis hin zu den geopolitischen Instabilitäten. Und die Abhängigkeit von Systemen und Orten. Also was die Energieversorgung anbelangt. Bis hin zu Wachstum. Also zwischen diesem Moment und dem gleichen Zeitpunkt gestern ist ungefähr die Bevölkerungsanzahl von Graz auf die Welt dazu gekommen. Also irgendwo muss ein Graz jetzt in 24 Stunden gebaut werden, um diese hinzukommenden Menschen aufzunehmen. Also jede Sekunde mehr als 2,5 Personen. Also all das sind Fakten. Auch, dass Architektur eine große Rolle dabei spielt – wie gesagt: 40 Prozent. Sie ist also dominant sozusagen, weit vor den anderen wichtigen Sektoren wie Verkehr oder Industrie. Also auch nur ein Faktum. Dass das Bild so düster ist, da fängt erst die Wahrnehmung an. Oder die Meinung. Das Bild ist nur dann düster, wenn man der Meinung ist, man kann nichts dagegen machen. Oder man möchte nichts dagegen machen. Dann sieht es natürlich düster aus. Aber erst dann fängt die Wahrnehmung an. Das war ja auch nicht in meinem Zitat. Ich sehe das nicht als ein düsteres Bild, sondern wir können das machen, wenn wir wollen. Es ist natürlich auch nicht leicht. Das ist klar. Architektur als 40 Prozent-Verbraucher des gesamten Energiebedarfs, als der größte Verursacher des Problems sozusagen, bedeutet andererseits auch, dass das größte Potential bei der Architektur zu finden ist. Also das ist, wenn man in diesem Gebiet tätig ist, natürlich ein Grund für Optimismus. Das heißt, hier können wir die Lösungen finden. Wenn man heute von Zukunftsberufen redet, dann ist auch von Biotech oder Informatik, diesen Berufen, die neuer sind, die Rede. Und die sind natürlich sehr wichtig. Aber die Architektur ist genauso ein Zukunftsberuf. Und das wird in der allgemeinen Gesellschaft nicht so wirklich im Moment wahrgenommen. Aber wenn man bedenkt, ist es nicht weniger als die größte Herausforderung, mit der wir als Gesellschaft konfrontiert sind. Also das größte physische Problem, nämlich der Klimawandel und die globale Erwärmung und die Verursacher der Emissionen. Wenn Architektinnen und Architekten zusammen mit Ingenieurinnen und Ingenieuren für Gebäudetechnik, Bauphysik und die entsprechenden Gebiete die Lösung finden können, dann ist das wohl eine sehr wichtige Zukunftsaufgabe.
Was kann Architektur da leisten?
Cody: Wie gesagt: Mindestens 40 Prozent des Problems sind Gebäude. Klarerweise was wir machen müssen insgesamt ist, sobald wie möglich, weltweit bei der Art der Energienutzung, nicht nur in der gebauten Umwelt – aber wie gesagt ist das das Gebiet, wo die meiste Energie genutzt wird – die Effizienz steigern und die Bereitstellung dieser Energiemengen bis hin zur Quelle ändern. Wenn wir das schaffen, dann lösen wir das größte Problem, mit dem wir als Gesellschaft heute konfrontiert sind. Und auch in der Zukunft konfrontiert sein werden.
Wie genau muss ich mir Ihre Arbeit vorstellen?
Cody: Meine Arbeit besteht aus drei wesentlichen Elementen: Die Lehre, die Forschung und die Praxis. Also theoretische Forschungsprojekte, aber auch Gebäude, die tatsächlich gebaut werden. Das sind die drei Elemente. Aber im Prinzip kommt alles zurück zu einem gemeinsamen Nenner: Es geht um die Maximierung der Energieperformance von Gebäuden und Städten. Auch in der Lehre ist das eine forschungsgeleitete Lehre. Das heißt, alles, was wir dort, jedes Semester, jedes Jahr angehen, ist sehr verquickt mit Forschungsprojekten oder Dingen, die gerade aktuell sind in der Forschungsarbeit oder der Praxis. Insofern gibt es eigentlich keine Unterscheidung zwischen diesen drei Elementen. Die Arbeit besteht darin, an diesen Konzepten zu arbeiten und Dinge zu entwickeln mit den Studierenden, mit den Mitarbeitenden am Institut und den anderen Instituten, mit Architekturbüros auf der ganzen Welt. Also diese Gemeinschaft – jeden Tag geht es darum, hier Lösungen zu finden. Das ist die Arbeit, die Faszination, der Wille, das zu verbessern. Natürlich könnte man Maximierung der Energieperformance oder Reduzierung der CO2-Emissionen als Ziele nennen. Aber wenn man tieferliegend den Grund oder die Motivation sucht, dann ist es, wie gesagt, Gebäude zu entwickeln und Städte zu entwickeln, wo die Gesundheit der Menschen, das Wohlbefinden der Menschen verbessert wird. In erster Linie ist das die Motivation. Es ist eigentlich eine positive Motivation. Dinge noch schöner, noch besser zu machen. Gleichzeitig aber den negativen Impact auf die Umwelt mit all den Konsequenzen zu minimieren. Beides ist wichtig. Ich glaube, dass das für mich wichtig ist, dieses Positive. Ich glaube, dass es bei den meisten Menschen so ist, dass positive Dinge mehr motivieren als die Vermeidung von negativen Dingen. Das kann kurzzeitig motivieren.
Damit man ein bisschen eine Idee hat, woran wir forschen: Zusammenfassend: die Maximierung der Energieperformance von Gebäuden, von Städten. Es gibt die Gebäudeebene und die Stadtebene. Bei den Gebäuden haben wir Themen wie Bauen in verschiedenen Klimazonen. Das ist ein sehr wichtiges Element in unserer Arbeit – Forschung, Lehre und Praxis. Also auf der ganzen Welt Lösungen entwickeln, nicht nur begrenzt auf bestimmte Klimazonen. Auch in heißen, feuchten oder trockenen Klimazonen. In extremer Kälte. Und was das heißt, wenn man wo anders baut. Die Beziehung zwischen Klima und Energie oder Klima und Architektur. Und das ist auch in der Lehre so, dass wir auf der ganzen Welt mit den Studierenden arbeiten. Einerseits weil so, wenn man es umfassender angeht, das Wissen in einer anderen Tiefe angereichert wird, und andererseits weil es auch für die Zukunft der Studierenden ganz wichtig ist. In Österreich lebende Architektinnen und Architekten der Zukunft und sogar der Gegenwart müssen eigentlich auf der ganzen Welt arbeiten. Nur die wenigsten können, wenn sie das überhaupt wollen, geografisch eingrenzen auf ein Gebiet, wo man gerne arbeiten möchte.
Dann: Hochhäuser. Wolkenkratzer sind ein Schwerpunkt. Natürliche Belüftung von Gebäuden, insbesondere Gebäude, wo man es schwer hat. Zum Beispiel eben Hochhäuser.
Smart Skins oder Smart Facades sind ein Forschungsprojekt. Anpassungsfähige, adaptive Gebäudehüllen, die reagieren auf nicht nur äußere Umwelteinflüsse, sondern auch auf innere Konditionen, die sich ändern. Bis hin zu denkenden Fassaden mit einer eingebauten Intelligenz, sodass die Fassade reagiert und sich optimiert. Wenn man zum Beispiel ein Klima wie in Graz hat: Heute sitzen wir zum Beispiel bei einer Temperatur von gefühlt 35 Grad draußen und in sechs Monaten wird es vielleicht -10 Grad haben. Und diese Schwankungen, diese Fluktuationen, auch in der relativen Feuchte, Windgeschwindigkeit, Helligkeit, etc. Wir leben in einer Welt, die absolut dynamisch ist. Egal wo man auf der Welt ist, ist man innerhalb dieser Dynamik und versucht, die Behaglichkeit für Menschen zu erreichen. Aber auch das Innenleben von Gebäuden ist sehr dynamisch. Man kommt, man geht. Je nachdem, wie das Gebäude genutzt wird, sind viele Menschen da, oder wenige Menschen oder gar keine. Und zwischen diesen zwei dynamischen Welten – Innen und Außen – wird die Fassade meistens als ein starres System gebaut. Das sich nicht ändert. Das einfach statisch ist. Und das kann natürlich nicht zu einem optimalen Ergebnis führen. Und daher entwickeln wir diese adaptiven, anpassungsfähigen Fassenden. Das heißt, die können sich anpassen. Und andererseits müssen sie wissen, wann sie was tun sollen. Da kommt die Regelung hinzu. Und überhaupt die Entwicklung, dass wir in der Forschung herausfinden, in welchem Spektrum welche Werte geändert werden müssen. Also die Integration von erneuerbaren Energiequellen in neuen Gebäuden ist ein absolut aktuelles Thema, nachdem in der EU jetzt jedes Gebäude ein nahezu Null-Energie-Gebäude sein muss. Und, dass wir natürlich darüber hinaus, sobald wie möglich wirklich Null-Energie-Gebäude beziehungsweise Plus-Energie-Gebäude als Standard etablieren müssen. Die Integration von Photovoltaik und anderen Technologien der erneuerbaren Energiequellen in den Gebäudeentwurf ist ein sehr, sehr wichtiges Gebiet auf dem wir forschen.
Und ganz, ganz wichtig ist natürlich auch, wie man das alles letztendlich evaluieren kann. Wie man bewerten kann, ob es gut oder schlecht oder mittel ist. Wie man sie miteinander vergleicht. Das ist ein Gebiet, dass für mich persönlich auch sehr interessant ist und wo wir auch viel geforscht haben. Es geht um den Begriff der Effizienz, der Energieeffizienz, und wie sie bewertet werden kann. Effizienz ist ein Begriff, bei dem jede*r weiß, was es heißt. Aber nichtsdestotrotz wird er oft missbraucht oder falsch verwendet oder er wird missverstanden. Gerade im Gebäudesektor. Wenn wir sagen: „Das ist ein energieeffizientes Gebäude.“ Da ist der erste Gedanke oft, dass es wenig Energie verbraucht. Aber Effizienz ist immer als Beziehung, als Verhältnis zu verstehen zwischen zwei Größen. Und zwar geht es um Nutzen und Aufwand beziehungsweise um Input und Output ganz kurz gesagt. Und in Gebäuden ist das nichts anderes. Man muss überlegen, was der Nutzen ist und was der Aufwand. Und in Gebäuden ist es die, nach meiner Definition, die Beziehung zwischen der erreichten Qualität des Raumklimas, des Innenklimas, der Aufenthaltsqualität im Gebäude und der notwendigen Energiemenge, die zugeführt werden muss, um diese Qualität aufrechtzuerhalten. Also ein ganz objektiv messbarer Effizienzbegriff. Ich habe vor Jahren ein System entwickelt, dass sich BEEP nennt – Building Energy and Environmental Performance – mit dem man zum ersten Mal eigentlich dieses Verhältnis bilden kann. Und somit auch verschiedene Gebäude miteinander vergleichen kann beziehungsweise für ein bestimmtes Gebäude die verschiedenen Entwurfsoptionen miteinander vergleichen kann. Und auf ähnliche Weise, wenn es um die Effizienz von Städten geht, kann es, auch wenn es natürlich ein breiteres Thema ist, im Prinzip begriffen werden als das Verhältnis zwischen der Qualität der Stadt – Livability – und dem Aufwand, die Ressourcen, die notwendig sind, um diese Qualität zu schaffen. Und es ist nicht nur die Evaluierungsmethodik, sondern dieses Verständnis ganz, ganz wichtig. Dass man eben Effizienz nicht zu eindimensional begreift, dass man einfach wenige Ressourcen benutzt und sich dabei nicht überlegt, was am anderen Ende herauskommt.
Wenn wir jetzt bei der Stadt sind: Wir haben Forschungsprojekte, wo es um urbane Form und Energie geht. Im Prinzip verschiedene Formen der Stadt – wie die Stadt mit welcher Typologie, in welcher Konfiguration die Stadt gebaut werden soll in einem bestimmten Klima, um die Energieperformance der Stadt zu maximieren. Outdoor-Komfort ist zunehmend ein ganz aktuelles Thema, wo wir auch verstärkt arbeiten. In diesen Tagen ist auch medial sehr viel die Rede von der Hitze. Das sind so Themen, die kommen und sind in ein paar Wochen wieder weg natürlich. Aber das spürt man, dass es allmählich wärmer wird und, dass das Probleme schafft. Und dieser urbane Heat-Island-Effekt. Aber wie gesagt, wir bauen Projekte auf der ganzen Welt und das spürt man natürlich noch mehr im Nahen Osten, im Fernen Osten oder in vielen Bereichen, die viel extremeres Klima haben als Österreich. Hier geht es zunehmen darum, wie man es schafft, nicht nur in den Gebäuden, sondern in den Räumen zwischen den Gebäuden was wir Outdoor-Komfort nennen, also, dass die Stadt livable ist. Dass die Stadt eine Qualität hat, wo man nicht sofort vom Auto ins Gebäude rennt, sondern, dass die Stadt wirklich als Stadt funktioniert. Das hat viel mit Komfort zu tun. Thermischer Komfort, Windkomfort und so weiter. Wie schafft man das, ohne Energie oder ohne CO2-Emissionen zu produzieren ist die Herausforderung.
Dann arbeiten wir an Zukunfts-Stadt-Visionen. Also im Prinzip in der theoretischen Forschung: Wenn wir eine Stadt bauen und sie in einem holistischen Sinne das Gesamtsystem der Stadt optimieren – wie würde diese Stadt aussehen? Da haben wir Projekte bis hin zur Integration von Vertical Farming – die Lebensmittelproduktion also mitten in der Stadt. Hier haben wir Projekte wie die Hyperbuilding City. Man kann sagen, dass das so Gedankenmodelle sind, die aber Impulse liefern sollen, wie man Städte weiter baut. Und tatsächlich arbeiten wir an Städten, die momentan gebaut werden. Das ist etwas, was passiert. Es werden Städte von Null auf aufgebaut. Diese Fragen und diese Forschung sind aber nicht nur für diese Städte wichtig, sondern für sämtliche Städte. Weil hier ist ein Missverständnis, wenn man meint, und das höre ich oft wenn ich in Europa von diesen Themen rede, dass das nur interessant ist für China und Indien, weil in Europa alles schon gebaut ist und wir alles nur noch sanieren müssen. Und das ist ein Missverständnis. Also die Frage des Bestandes wird so oft betont. Und das ist natürlich ein wichtiges Element. Wenn man heute schaut ist, je nachdem wie man es misst, 99% Bestand davon, was heute gerade da ist. 1% ist noch im Bau. Aber, und das ist die wichtige Unterscheidung wie man es betrachtet, wenn man gemessen zwischen jetzt und in 50 Jahren schaut was passiert, und wenn wir weiter so, konservativ gesehen, machen wie bisher, dann ist nach diesen 50 Jahren in einer Stadt wie Graz oder Wien mehr als die Hälfte der Gebäude, die dann stehen, sogenannte Neubauten, die dann auch entstanden sind. Insofern ist es absolut falsch zu sagen, wir müssen nur noch sanieren und schauen, was wir mit dem Bestand machen. Sondern mittelfristig gesehen ist der Neubau genauso wichtig. Aber noch wichtiger ist, das Ganze als holistisches System zu betrachten und zu überlegen, von dem Bestand ist eine wichtige Frage, was beizubehalten ist, was auch in das Bild der Stadt passt in der Zukunft. Weil alles, was behalten werden kann ist natürlich eine Reduzierung der CO2-Emissionen, die mit einem Neubau einhergehen würden. Aber andererseits, wenn man einfach sagt: Alles was da ist müssen wir behalten und wir schauen, wie wir weitermachen, dann führt das zu falschen Ergebnissen. Weil es schon Situationen innerhalb dieses Gesamtbilds gibt wo man sagen muss, der Abriss hier eröffnet ein anders Potential, wo über die nächsten 50 Jahre viel weniger CO2-Emissionen stattfinden werden, als wenn wir es behalten.
Interessanterweise haben wir auch ein Projekt gemacht, wo es über diese Stadt-Ebene hinausgeht. Also über den Maßstab der Stadt hinaus. Wo es um die gesellschaftlichen Formen im Prinzip geht – wie überhaupt ein Land konfiguriert ist, die energetischen Strukturen im Prinzip eines ganzen Landes. Das war vielleicht vor zehn Jahren dieses Projekt. Und zwar haben wir uns konzentriert auf die Frage, wie man Telearbeit zum Beispiel einsetzen könnte. Also diese virtuelle Infrastruktur, die wir schon vor zehn oder 20 Jahren aufgebaut haben, erlaubt uns, dass man überall arbeiten kann, dass man eigentlich eine ganz andere physische Infrastruktur haben könnte. Aber wir bauen die Stadt trotzdem wie vor 100 Jahren weiter – die Straßen, die Gebäude, Wohnen, Arbeiten, Verkehrswege und so weiter. Die Frage war im Prinzip: Wenn wir die virtuelle Infrastruktur, die wir haben, konsequent einsetzen und mit diesem Wissen des Vorhandenseins dieser, die physische Infrastruktur anders konfigurieren würden, konsequent mit dem Ziel die Energieperformance zu maximieren und die CO2-Emissionen zu reduzieren, wie würden wir dann die Stadt bauen? Es war im Prinzip, kurz gesagt, die Stadt neu denken. Hier haben wir im Prinzip Dienstleistungsunternehmen modelliert bestehend aus Wohngebäuden, Bürogebäuden, Server, Datacenters, Verkehrswegen und so weiter und so fort. Und dann verschiedene Was-wäre-Wenn-Szenarien durchgespielt und untersucht. Im Prinzip das Ergebnis war damals sehr interessant. Wir haben gezeigt, dass wenn wir das Stadtsystem neu denken und konsequent Telearbeit einsetzen, sodass die Menschen zum Beispiel drei Tage zu Hause arbeiten, zwei Tage im Büro, dass man mehr als alles andere, was wir machen bis hin zu Photovoltaik und Wärmedämmung und all die anderen Strategien, die praktisch umgesetzt werden, dass das Potential hier am größten war. Hier konnten wir tatsächlich von den 5.000 Watt pro Person Energieverbrauch, den wir haben als Europäer*innen, hinkommen zu ungefähr der Hälfte. Das ist wo wir hinkommen müssen. Wenn wir ein solches Modell wirklich implementieren würden. Damals war allgemeines Interesse da. Aber alle haben gemeint, dass das aber kein Mensch will und wir das nicht machen können. 2020 von einem Tag auf den anderen haben wir plötzlich gesehen, es geht doch. Kurzfristig ist auch dieser Effekt eingetreten, aber der Unterschied ist, dass man das konsequent umsetzen muss. Einfach ein bisserl zuhause arbeiten, einfach ein bisserl im Büro und jeden Tag ein paar Mal hin und her fahren ist natürlich nicht die Lösung. Man muss das ganze konsequent umsetzen. Aber wie gesagt, es war schon interessant für mich, diese Pandemie und wie schnell das alles plötzlich möglich war. Viele haben damals gesagt: Du hast mit dem Projekt damals recht gehabt! Der Energieverbrauch ist tatsächlich kurzzeitig gesunken. Viele sind der Meinung, dass es nach der Pandemie ganz, ganz anders werden wird. Ich bin nicht so sicher. Aber vielleicht hat man auch etwas anderes gesehen. Und zwar, wenn wir wirklich wollen oder müssen, dann ist vieles möglich, was man sonst meint, dass es nicht möglich ist. Wir haben eingangs von diesem düsteren Bild gesprochen. Es ist nicht düster, weil man vieles machen kann. Die Frage ist nur, warum wir das nicht machen im großen Maßstab, wo wir eigentlich fast alle – ich würde nicht behaupten jeder einzelne, aber die meisten – ganz genau wissen, dass die Zeit rennt, dass sobald wie möglich alles geschehen muss. Und nichtsdestotrotz wird es verschoben. Und weil diese Gefahr, die wir wohl erkennen, nicht so nahe ist. Und der Mensch reagiert intuitiv erst dann, wenn die Gefahr wirklich nahe ist. Corona ist zum Beispiel so eine Situation. Und der Klimawandel, der eine viel wichtigere Herausforderung darstellt, ist viel gefährlicher, aber es passiert nicht heute. Auch nicht morgen. Somit ist das die Erklärung glaube ich. Natürlich könnte mehr getan werden.
Bei dem Konzept von dem Sie jetzt gesprochen haben mit drei Tage Teleworking und zwei Tage im Büro – war das die einzige Änderung, die gemacht worden ist oder ist da das gesamte Stadt-Konzept verändert worden so wie wir es jetzt kennen?
Cody: Wir haben damals nicht eine bestimmte Stadt simuliert, sondern die Strukturen einer Stadt, und wir haben schon konsequent die Stadt umgestaltet. Und wenn man das weiter implementieren würde, müsste sich die Stadt physisch auch ändern. Weil wenn man das so konsequent implementieren würde, dann realisiert man – was viele zum Beispiel in den letzten zwei Jahren realisiert haben – um wirklich zuhause arbeiten zu können braucht man mehr als einen Küchentisch. Gleichzeitig, was aber auch nicht so schnell passieren kann, wenn weniger im Büro gearbeitet wird und wenn das effektiver genutzt wird, müsste man Bürogebäude anders konfigurieren, anders planen, anders bauen. Mehr als Kommunikationszentrum. Die Verkehrswege, weil es weniger Verkehr gibt, ändern sich insofern konsequenter Weise, weil man würde in der Zukunft die Stadt so weiterbauen, im Wissen des Vorhandenseins der virtuellen Infrastruktur, müsste man die physische Infrastruktur anders bauen. Es hat viel eigentlich mit Effizienz zu tun. Wir haben eine Einheit entwickelt, um das alles zu messen – Kubikmeter/Stunden. Also das Produkt von Raum und Zeit. Wenn man das tut, dann kann man bewerten, wie effizient die Infrastruktur genutzt wird. Und so sieht man, das wissen wir natürlich, unsere Straßen sind für eine Stunde in der Früh, für eine Stunde am späten Nachmittag zu 100% ausgelastet. Aber für viele Stunden über die 24 Stunden fast gar nicht. Wohngebäude kann man ebenfalls so betrachten. Bürogebäude noch mehr. Gerichtsgebäude. Schulen. Und so weiter. Wenn man einfach überlegt, wie viel von dieser Infrastruktur oft nicht genutzt wird, leer ist – das ist purer Luxus oder Ineffizienz. Dieses Projekt ging in diese Richtung. Und dann haben wir natürlich aufgezeigt, wenn man weitergeht, was auch möglich wäre. Es ging eigentlich am Ende, und das ist auch ein Thema, das immer aktueller wird, inwieweit man Dinge besitzen muss oder inwieweit man Dinge nutzen kann. Bis hin zu Gebäuden, Autos, alles im Prinzip. Das ist eine Entwicklung, die wir jetzt langsam aber sicher tatsächlich erleben. Weil so kommt man hin zu anderen Möglichkeiten, wie die Dinge einfach auch effizienter genutzt werden. Aber wie im Prinzip auch, was das Glück von Menschen und die Sorglosigkeit und viele philosophische Fragen, die hierbei vielleicht auch beantwortet werden können. Also das Projekt war sehr theoretisch und zukunftsgerichtet. Aber über die vergangenen acht Jahre hat man interessanter Weise vieles gesehen, was einem Hoffnung gibt, was die Forschung in diesem Projekt gezeigt hat und im Prinzip der Auslöser für dieses Projekt war, dass einfach das Optimieren von Bestehendem oder das Reparieren von dem bestehenden System, das Flicken hier und Weiterentwickeln da, nicht die notwendige Reduktion bringt. Wie gesagt: 5.000 Watt pro Person haben wir in Europa. Und wir müssen auf ungefähr 2.000 herunterkommen. Mindestens. Das heißt halbieren. Und mit Modellen, die wir vorher gebaut haben, wo wir Was-Wäre-Wenn-Szenarien durchgespielt haben – was ist, wenn alle Autos elektrisch sind, was ist, wenn alle Gebäude Passiv-Häuser sind, was ist, wenn die Wärmedämmung einen halben Meter dick ist – alle Dinge führen zu Änderungen, die einfach nicht ausreichen. Und sie sind zum Teil natürlich auch unsinnig – aber das ist eine andere Frage. Aber die bringen nicht den notwendigen Effekt. Und das heißt, wir müssen die Stadt neu denken. Wir müssen radikal überlegen, wie kommen wir da hin im großen Maßstab? Dann überlegen, was das für die verschiedenen Elemente einer Stadt heißt. Aber das war im Prinzip der Auslöser.
Wenn man sich ein bisschen mit Ihrer Arbeit beschäftigt, dann liest man auch sehr oft von der Nutzung natürlicher Kräfte. Was genau ist damit gemeint? Und wie kann das im Stadtbild oder auch bei einzelnen Gebäuden integriert werden?
Cody: Was wir Energy Design nennen ist vereinfacht gesagt die Nutzung von natürlichen Kräften. Das sind Kräfte wie Sonnenenergie, Wind, Tageslicht. Also die Umweltbedingungen mit denen wir umgeben sind. Seit Anfang der modernen Architektur zumindest versuchen wir, uns eigentlich nur davor zu schützen. Wenn man sich die Terminologie im Bauwesen anschaut, dann sind da Begriffe wie Windschutz, Sonnenschutz, Dampfsperre, Dampfbremse und alle diese Begriffe. Die gesamte Denke ist, wie wir uns in einem Gebäude schützen können vor diesen Elementen. Und das führt dazu, dass man sich dann behelfen muss mit Energiebereitstellung, die im Moment zu 80 bis 90 Prozent auf fossilen Brennstoffen basiert. Die Lösung ist, dass man sich diese natürlichen Kräfte zu Nutze macht und mit diesen Kräften arbeitet, um das Ergebnis zu erreichen, dass man erreichen will. Nämlich ein behagliches Raumklima. Interessanter Weise ist oft das, was am Standort für ein bestimmtes Projekt ein Problem zu sein scheint – zum Beispiel die Sonne an einem heißen Ort oder der Wind für ein Hochhaus, oder das Tageslicht, dass für die Exponate in einer Ausstellung schädlich ist – dass oft genau die Nutzung von diesen feindlichen Kräften zur Lösung führt. Das heißt, wir haben Gebäude, wo wir mit der Sonne das Gebäude kühlen, gebaut. Wir haben Gebäude, wo wir Wind einsetzen in einem Hochhaus, um das natürlich zu belüften. Oder wir nutzen auf kontrollierte Weise Tageslicht in einem Museum, wo das Licht so hineingebracht wird, dass es nicht schädlich ist und dass es zur Beleuchtung dient, anstatt zum Beispiel Black Box, die Natur bleibt draußen und dann muss das Klima und das Licht künstlich beschaffen werden. Also das ist im Prinzip ein wenig wie die Kampfsportarten in Asien, wo man die angreifenden Kräfte aufhält und umlenkt und dann gegen den Gegner einsetzt quasi, um das zu erreichen, was man erreichen will. So kann man das vielleicht beschreiben. Aber es gibt auch nicht viele von diesen Kräften. Es geht um die Außentemperaturen zum Beispiel, den Rhythmus zwischen Tag und Nacht auszunutzen mit thermischer Speichermasse, nächtlicher Kühlung. Die Sonne ist natürlich die mächtigste Kraft. Wind ist wichtig. Aber mit diesen zu arbeiten, um so weit wie möglich auf passive Weise das gewünschte Ergebnis hinsichtlich Licht, Raumklima, Luftqualität und so weiter zu erreichen, und dann natürlich mittels Windkraft oder Sonnenkraft Energie zu erzeugen mit erneuerbaren Energiequellen, die notwendige Energie bereitstellen.
Wenn Geld einmal in Ihrer Forschung keine Rolle spielen würde – was würden Sie dann umsetzen wollen? Was wäre das Dringendste in Ihren Augen?
Cody: Wo man mit mehr Geld oder mit viel Geld was Vernünftiges machen könnte und was natürlich sehr begrüßenswert wäre, wäre einerseits Demonstrationsobjekte zu bauen. Das ist natürlich ein Luxus, den man nicht hat. Das wäre natürlich interessant, weil diese innovativen Dinge im Prinzip selten tatsächlich gebaut werden. Manchmal machen wir solche Mock-ups im kleinen Maßstab. Aber Demonstrationsgebäude wären interessant. Und ein ganz, ganz wichtiges Thema, das damit verwandt ist, ist das Monitoring. Also das Messen in Gebäuden, die wir bauen, aber auch in denen, die schon gebaut worden sind. Die Bauindustrie ist im Prinzip die einzige, wo wir weitertun, fast ohne jegliches Feedback von dem, was wir getan haben. Es gibt sehr wenig gemessene Werte und Feedback und Erfahrungen von dem, was da ist. Das ist im Prinzip ein Vakuum. Das heißt, jedes Gebäude wird nur mit bedingtem Wissen über alles, was bis jetzt passiert ist, dann neu gebaut. Und da ist Geld nicht das einzige Problem. Es geht natürlich auch um empfindliche Daten. Aber Geld spielt sicherlich eine große Rolle. Wenn wir viel Geld hätten, dann sage ich, sollte es investiert werden, um mehr Feedback zu bekommen zu dem, was wir gemacht haben.
Vielen Dank, dass Sie heute meine Fragen beantwortet haben!
Cody: Gerne! Dankeschön für die Einladung!
Vielen Dank, dass ihr uns auch heute wieder zugehört habt. Wir hören uns das nächste Mal!