News+Stories: Sie sind in leitender Position bei der Automobil-Zuliefer-Industrie tätig. Haben Sie immer schon geplant, Karriere zu machen?
Esther Lind: Ja, das war schon in Kinderzeiten sehr präsent, dieser Anspruch, Menschen zu führen und später im Berufsleben gut voran zu kommen. Ich hatte einen Fokus darauf, schon im Studium, in der Ausbildung und dann auch im Berufsleben.
In einer Interviewserie setzt sich die TU Graz ab 8. März schwerpunktmäßig mit den Karrierechancen und -herausforderungen von Frauen im Studium, in der Forschung, Lehre und Wirtschaft auseinander. Frauen an unterschiedlichen Karrierepunkten erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen. Hier geht es zu den Interviews mit Elektrotechnikerin Lia Gruber, Informatikerin Johanna Pirker, Studentin Christina Fior und Experimentalphysikerin Birgitta Schultze-Bernhardt.
Gab es da in Ihrer Jugend Vorbilder?
Esther Lind: Wenige, jedenfalls hatte ich keine weiblichen Vorbilder. Was mich immer fasziniert hat, war die Welt der Formel 1. Sie war ein wichtiger Antrieb, warum ich schließlich Maschinenbau studiert habe. Und es gab vielleicht weniger Vorbilder in dem Sinn, aber trotzdem Förderer, oder einfach Menschen in meinem Umfeld, im Elternhaus, aber auch in der Schule. Manche, die meine Studienwahl „Maschinenbau-Wirtschaftsingenieurwesen“ sehr stark unterstützt haben und andere, die diese Wahl sehr hinterfragt haben.
Wie fiel unter diesen Umständen die Entscheidung, Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau zu studieren?
Ich habe immer auf die gehört, die unterstützend waren und habe versucht, die auszublenden, die Zweifel eingebracht haben.
Esther Lind: Ich hatte als Kind kaum „Mädcheninteressen“. Ich habe gerne alles zerlegt, was man irgendwie auseinanderschrauben konnte, ich spielte mit Autos, ich war im Wald, ich war einfach eine Wilde – und auch sehr sportlich. Dennoch wollte ich eigentlich Juristin werden. Weil es davon schon viele gibt, empfahl mir ein befreundeter Jurist, mir Studien im MINT-Kontext, das heißt in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik, anzusehen. Mein Vater schlug schließlich Maschinenbau vor. Und ich dachte mir, wenn er mir das zutraut, dann wird das schon klappen. Ich habe immer auf die gehört, die unterstützend waren und habe versucht, die auszublenden, die Zweifel eingebracht haben.
Und war es für Sie die richtige Wahl?
Esther Lind: Absolut. Mich begeistert es nach wie vor, wenn ich in die Fertigung gehe, Metall rieche, die Maschinen sehe, verstehen lerne, wie neue Technologien funktionieren. Das ist nach wie vor etwas, was ich liebe.
Angebote für Mädchen, die sich über technische oder naturwissenschaftliche Studien an der TU Graz informieren, in Ferialpraktika Uni-Luft schnuppern oder erste Programmierschritte am Computer bewältigen wollen, gibt es auf der TU Graz Webseite „Angebote für junge Frauen und Mädchen“.
Sind Sie Zweifeln oder Vorurteilen begegnet – als Studentin im Maschinenbau?
Esther Lind: Gar nicht so sehr – was mich überraschte, als ich 1998 zu studieren began. Außer bei ein bis zwei Lehrenden habe ich das Gegenteil erlebt – sehr viel Freude, auch von Professoren, über weibliche Studierende im Maschinenbau. Und ein Vorteil dabei war natürlich, dass ich, wenn ich in den Vorlesungen war, bei Prüfungen auch leichter erkannt wurde. Ich habe damals gedacht, dass es eigentlich überhaupt keine Gleichberechtigungsproblematik gibt.
Und später im Beruf, als Frau in Führungsposition?
Um auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, müssen Frauen sehr viel Kompetenz aufbauen.
Esther Lind: Im Berufsleben gelten andere Regeln als im Studium. Ich habe erlebt, dass Eigenschaften, die als männlich gelten, bei Frauen anders wahrgenommen werden – wie zum Beispiel Selbstbewusstsein oder Führungsstärke. Die bekommen oft ein anderes Attribut und werden nicht so positiv bewertet, wie es bei jungen Männern der Fall wäre. Frauen werden viel stärker nach der Leistung beurteilt und nicht so sehr nach der Wirkung. Es wird mehr erwartet. Um auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, müssen Frauen sehr viel Kompetenz aufbauen.
Wie haben Sie darauf reagiert, dass Eigenschaften oder Verhaltensweisen bei Frauen anders bewertet werden als bei Männern?
Esther Lind: Ich bin in einem männlich dominierten Umfeld sozialisiert worden und fand bestimmte Verhaltensweisen, auch eine gewisse Härte, in der Metallindustrie wieder. Diese Verhaltensweisen habe ich mir angeeignet, um Anliegen durchzusetzen – um dann festzustellen: Wenn ich mich so verhalte, wird es falsch verstanden. Wenn ich aber meine weibliche Seite zeige, wird das weniger wertgeschätzt. Ich habe das reflektiert und mit meinem Coach darüber gesprochen. So wurde mir klar, dass ich wieder mehr zu mir selbst und zu meinem eigenen, von der Umgebung unabhängigen Führungsstil kommen muss. Dorthin zu gelangen war ein Prozess. Man rutscht ja oft in Verhaltensmuster hinein, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Sie haben sich einen Coach für Ihre Karriere gesucht?
Esther Lind: Ja, das würde ich jeder und jedem empfehlen, sich ab einem gewissen Karrierelevel oder nach dem Berufseinstieg ab einem gewissen Alter jemanden für den Austausch und für die Reflexion zu suchen. Ich arbeite mit unterschiedlichen Personen an unterschiedlichen Zielen. Das ist für mich ein Mittel, um permanent am Puls der richtigen Wahrnehmung zu sein.
Ich würde jeder und jedem empfehlen, sich ab einem gewissen Karrierelevel oder nach dem Berufseinstieg ab einem gewissen Alter jemanden für den Austausch und für die Reflexion zu suchen.
Konnten Sie auf bestehende Unterstützungs-, Beratungs- oder Förderangebote zurückgreifen oder mussten Sie sich diese Unterstützung selbst suchen?
Esther Lind: Unterstützung während des Studiums – das gab es eigentlich nicht – oder ich habe sie nicht gefunden. Ich bin damals eigentlich ein bisschen naiv ins Berufsleben eingestiegen und gleich nach dem Studium zu dem Unternehmen gegangen, für das ich meine Diplomarbeit geschrieben hatte. Als die Lehman Brothers-Krise sich 2010 mit Verzögerung dort ausgewirkt hat, gab es Bildungskarenz. Ich war zu der Zeit neu in einer Führungsrolle und verbrachte die Karenz damit, mich mit Team-Leadership zu beschäftigen. Ich habe die Möglichkeiten, mich aus dem Unternehmen heraus weiter zu bilden, genutzt, um mir ein Beratungs- und Coaching-Netzwerk aufzubauen.
Haben Sie in Ihrer Karriere Unterschiede erfahren zwischen Ihren Möglichkeiten und Hürden als Frau und denen männlicher Kollegen?
Esther Lind: Ich glaube Hürden gibt es für beide. Für Frauen sind es vielleicht andere als für Männer in der Entwicklung ihrer Karrieren. Ich habe gelernt, mich nicht abschrecken lassen, Hürden zu nehmen, wie sie kommen. Jeder und jede hat einen gewissen Rucksack zu tragen. Besser nach kreativen Lösungen suchen, als vor einem Hindernis zu verharren. Und sobald sich eine Tür oder ein Fenster öffnet, einfach durchgehen.
Besser nach kreativen Lösungen suchen, als vor einem Hindernis zu verharren. Und sobald sich eine Tür oder ein Fenster öffnet, einfach durchgehen.
Sie sind Präsidentin des „WomenUniverse", Forum für Frauen im Absolvent*innen-Netzwerk der TU Graz. Warum engagieren Sie sich dafür?
Esther Lind: Ich möchte meiner Universität, der TU Graz, von der ich durch die Ausbildung profitiert habe, etwas zurückgeben. Und es gibt eine tolle Energie, gemeinsam mit den anderen Proponentinnen etwas für Frauen zu erreichen. Im „WomenUniverse" verfolgen wir drei große Ziele: die Förderung Studierender während dem Studium, die Steigerung der Zahl weiblicher Studierender an der TU Graz und die gegenseitige Unterstützung von Absolventinnen über den Netzwerkgedanken.
Welchen Stellenwert haben solche Netzwerke für die Karriere von Frauen?
Esther Lind: Wir haben im wachsenden „WomenUniverse" mittlerweile erfahren, dass es ein Bedürfnis danach gibt. Es gibt Themen, die uns als Frauen anders betreffen als vielleicht unsere männlichen Kollegen. Im Netzwerk unterstützen sich Absolventinnen gegenseitig bei solchen Themen. Es ist ja besonders im weiblichen Kontext oft nicht nur die Berufsplanung allein, um die es geht, sondern vor allem die Lebensplanung, die die Berufsplanung mit integrieren muss.
„WomenUniverse“, das alumni-Frauennetzwerk der TU Graz, ist ein Forum für Absolventinnen, Studentinnen und alle Frauen, die an der Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft interessiert sind. Regelmäßige Aktivitäten (live und online) bieten Frauen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien ihrer Berufs- und Karriereplanung die Möglichkeit sich in einem geschützten Umfeld auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und der TU Graz ein Stück näher verbunden zu bleiben.
Bei Interesse melden Sie sich via frauen an. Mehr Informationen zum Netzwerk und zu aktuellen Terminen finden Sie auf der @alumni.tugraz.atWomenUniverse-Webseite.
Was muss sich Ihrer Ansicht nach ändern, damit mehr Frauen den Weg Richtung Technik und Naturwissenschaften einschlagen?
Esther Lind: Es braucht mehr sichtbare Vorbilder, Frauen, die öffentlich zu Wort kommen. Und es sind die Eltern, die Familien gefragt, bei ihren Kindern Interesse für technische Aufgabenstellungen zu wecken, auch den Mädchen ein vielfältiges Spektrum zu zeigen – zum Beispiel über Spielzeug, das nicht nach Geschlecht gekauft wird – und möglichst unterschiedliche Themen zu erklären. Das beginnt schon im Kindergarten- und Volksschulalter.
Was braucht es, damit Frauen dann auch einen erfolgreichen Karriereweg einschlagen?
Esther Lind: Ich glaube, dass wir viel flexiblere Jobsharing-Modelle benötigen. Es gibt zum Beispiel in Schweden sehr gute und realitätserprobte Modell. Manchen Branchen wie etwa die Informationstechnologie gehen auch in Österreich in diese Richtung, die Industrie hinkt da noch hinterher. Und es braucht immer den Dialog. Es braucht visionäre Männer, die eine Veränderung schaffen wollen, genauso wie visionäre Frauen. Natürlich ist auch die Politik gefragt, um die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Gibt es etwas, was Sie jungen Frauen mitgeben wollen?
Esther Lind: Ergreift eure Chancen, wann und wo sie sich ergeben – vor allem auch dann, wenn es schwierig ist. Genau das sind die offenen Türen zur nächsten Karrierestufe, wenn andere Scheu vor einer Herausforderung haben. Der Erfolg ist keine Frage von besonderer Intelligenz, sondern von besonderem Interesse.
Ergreift eure Chancen, wann und wo sie sich ergeben – vor allem auch dann, wenn es schwierig ist. (...) Der Erfolg ist keine Frage von besonderer Intelligenz, sondern von besonderem Interesse.