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#2 Urbanism und Nachhaltiges Bauen

30.06.2022 |

Von Birgit Baustädter

Aglaeé Degros ist Professorin und Forscherin an der TU Graz. Genauer: Am Institut für Städtebau. Warum die Stadtentwicklung so zentral für eine nachhaltige Zukunft ist, erklärt sie im Interview auf Talk Science to Me.

Aglaeé Degros leitet das Institut für Städtebau. © Lunghammer – TU Graz

Talk Science To Me ist der neugierigste Wissenschaftspodcast der Podcastwelt – aber vor allem der TU Graz. Wir stellen Fragen – unsere Forschenden antworten. Von künstlicher Intelligenz über Nachhaltiges Bauen bis hin zu Mikroorganismen, die sich von CO2 ernähren und so Proteine erzeugen. Hört rein und lasst euch begeistern.
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Der folgende Text ist ein wörtliches Transkript der Podcastfolge.

Talk Science to Me – der Wissenschaftspodcast der TU Graz

Herzlich Willkommen und schön, dass ihr heute wieder zuhört, beim TU Graz-Wissenschaftspodcast Talk Science to Me. Mein Name ist Birgit Baustädter und ich darf heute mit Aglaeé Degros, Leiterin des Instituts für Städtebau, über nachhaltige Stadtentwicklung sprechen.

Talk Science to Me: Danke, dass Sie heute mein Gast sind Aglaeé! Zuerst: Bitte erzählen Sie uns, woran Sie gerade arbeiten!

Aglaeé Degros: Danke für die Einladung. Ich arbeite momentan daran, die Stadt nachhaltiger zu gestalten. Nicht nur die Innenstadt, sondern auch die Peripherie.

Ihr Institut ist das Institut für Städtebau. Warum ist es so wichtig für mehr Nachhaltigkeit, über die Organisation der Stadt nachzudenken?

Degros: Wir denken sehr viel über Material, die Objekte und die Architektur selbst nach. Aber natürlich ist es auch wichtig, wie wir diese Objekte organisieren – es ist sehr wichtig, wie wir Gebäude organisieren. Wenn wir die Stadt nachhaltiger organisieren, dann können wir weniger Boden konsumieren zum Beispiel und weniger Mobilität provozieren. Es kann sogar das Klima verbessern. Wenn wir zum Beispiel durch die Art und Weise, wie wir die Gebäude organisieren einen Luftstrom erzeugen.

Was ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Thema in der Stadt-Organisation?

Degros: Es gibt momentan verschiedene. Aber ich denke, dass eine nachhaltige Mobilität zu ermöglichen sehr wichtig ist. Die Stadt so zu organisieren, dass sie eine klimafreundliche Umgebung ist. Aber auch ein Mix aus Funktionen. Es würde die Entwicklung eines Urbanismus erlauben, der auf Nähe basiert. Das heißt, dass ich nicht mehr zu einem Shopping Center fahren muss oder wo anders hinfahren, um mit meinem Hund spazieren zu gehen – was wirklich sehr seltsam ist. Weil du diese Dinge in der Nähe deines Wohnortes hast. Was sehr viel nachhaltiger ist.

Wie sind Sie in das Forschungsfeld gekommen, in dem Sie momentan arbeiten?

Degros: Ich bin eigentlich Architektin, war aber immer schon an Kollektivität interessiert. Und ich habe schnell entdeckt, dass Urbanismus sehr viel mit Kollektivität zu tun hat. Und deshalb interessierte es mich. Und heute, wo wir vor all diesen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem sozialen Wandel stehen, wechsle ich immer mehr von einem klassischen Urbanismus hin zu einem nachhaltigeren Urbanismus.

Warum Urbanismus? Warum sind Sie an Städten interessiert?

Degros: Städte sind das zentrale Thema des Urbanismus. Sie sind der Ort, an dem sehr viele Menschen dicht beisammen wohnen. Und wir müssen uns darum kümmern, wie die Städte organisiert sind. Es ist eine sehr nachhaltige Art: Städte sind kompakt und definieren sich durch einen Mix an Funktionen. Und sie sind auch ein Ort, an dem man eine nachhaltige Mobilität schaffen kann.

Gibt es ein bestimmtes Städte-Konzept, von dem Sie glauben, dass es die Zukunft sein könnte?

Degros: Ja. Es gibt mehrere. Eines, das ich besonders toll finde, ist das Konzept der 15-Minuten-Stadt. Das heißt, dass alles, was man für das tägliche Leben braucht, in einem Umkreis von 15-Geh- oder -Fahrradminuten erreichbar ist. Aber es gibt auch Grünflächen. Das ist sehr kompakt, aber das ist auch ein Konzept, das viele sozialen Interaktionen erlaubt, weil man alles in der Nähe hat, was man für das Sozialleben braucht. Und ich finde ein weiteres Konzept sehr vielversprechend: Es nennt sich regenerativer Urbanismus. Das heißt, dass man Gebäude-Ensembles so plant, dass man auch gleich mitbedenkt, welche positiven Aspekte für die Nachbarschaft eingeplant werden können. Das heißt, dass ein neuer Distrikt so geplant wird, dass auch neue Grünflächen miteingeplant werden, die von der ganzen Nachbarschaft genutzt werden können. Ich mag auch, wenn Planung nicht nur „Gebäude hinzufügen“ bedeutet, sondern etwas Neues zur Nachbarschaft beiträgt.

Warum ist es so wichtig, allgemein zugängliche Flächen und alle Dinge des täglichen Lebens in einem 15-Minuten-Umkreis zu haben?

Degros: Ich glaube aus unterschiedlichen Gründen. Zuerst, wie schon erwähnt, triggert es soziales Leben. Und natürlich sind soziale Interaktionen das Fundament einer Stadt und die Art, wie Menschen zusammenleben. Aber Allgemeinflächen sind auch ein Projekt der ganzen Gesellschaft, wo Dinge geteilt werden. Und dort kann man Ressourcen einbringen. Das ist sehr wichtig denke ich. Wenn wir über Nachhaltigkeit nachdenken, dann müssen wir den Schritt hin zu mehr Gemeinschaftlichkeit haben. Das heißt, dass man keinen Platz für sich alleine hat, aber den Platz mit anderen teilen kann. Das bedeutet auch, Platz einsparen zu können. Anstatt, dass alle ihre eigenen Gärten haben, könnten die Menschen auch etwas gemeinsam haben. Und so weniger Platz konsumieren. Aber es ist eben auch ein Ort, wo sich soziale Interaktionen entwickeln können.

Gibt es Beispiele, wo das heute schon funktioniert?

Degros: Es gibt viele Beispiele, wo bei der Planung auch Gemeinschaftsflächen mitgedacht wurden. Ein wunderschönes Beispiel ist in Wien der Nordbahnhof. Und es gibt einige Beispiel überall in Europa, wo Gebäude und offener Raum gemeinsam gedacht wurden und ein Mehrwert für die Nachbarschaft geschaffen wurde.

Sie sind gerade dabei ein neues Forschungsprojekt zu starten, bei dem es um die Beziehung des Flusses Mur und der Grazer Innenstadt geht. Können Sie uns davon ein bisschen mehr erzählen? Was ist daran so wichtig?

Degros: Ich denke, dass wenn wir die Natur in der Stadt entwickeln wollen, Wasserwege ein sehr guter Weg sind. Deswegen denke ich, dass ein Fluss wie die Mur sehr wichtig für eine Stadt ist. Die Stadt mit der Mur wieder zu verbinden bedeutet, die Stadt wieder mit der Natur zu verbinden. Das ist keine Priorität – sollte es aber sein. Es würde nämlich nicht nur gemeinschaftliche Grünflächen bringen, sondern auch das Klima innerhalb der Stadt verbessern. Wie Sie wissen ist das Wasser sehr gut, um die Stadt im Sommer zu erfrischen. Wir sehen die Mur also getrennt von der Stadt, weil es sehr viel Infrastruktur rund um den Fluss gibt. Und wir möchten Wege erforschen, wie wir ihn wieder besser integrieren können und wie wir ihn als natürliches Kühlsystem innerhalb des Stadt-Geflechts nutzen können.

Wenn wir über Städte nachdenken, dann denken wir sehr oft über ihre Zentren nach. Aber es gibt auch eine städtische Umgebung, die ebenfalls zur Stadt gehört. Gibt es dabei einen großen Unterschied?

Degros: Ja, es ist ein sehr großer Unterschied zwischen dem Stadtzentrum und der Peripherie. Und es ist sehr interessant: Die Peripherie ist stark von der Auto-Mobilität geprägt. Das heißt, die Struktur ist sehr viel weitläufiger. Die Gebäude sind nicht so kompakt platziert, wie in der Innenstadt. Und alles ist durch Privateigentum geprägt. Natürlich gibt es dadurch auch viel weniger Gemeinschaftsflächen. Deshalb ist es so interessant. Wir sehen, dass die Peripherie momentan immer mehr unter Druck gerät. Wir sehen, dass sie sich von einem sehr weitläufigen zu einem immer dichteren Muster entwickelt. Die Dichte steigt. Und weil die Peripherie auf Autos ausgelegt ist und ein weitläufiges Gelände hat, ist die Zukunft sehr herausfordernd. Natürlich muss man nicht nur das Mobilitätssystem ändern, wenn man nachhaltige Ziele verfolgt. Wir müssen auch die Gebäudedichte erhöhen. Aber wir wissen, dass die Qualität dieser Nachbarschaften auf ihrem grünen Charakter basiert. Es wird eine große Herausforderung, die Gebäudedichte zu steigern, die Mobilität zu ändern und gleichzeitig Gemeinschaftsflächen zu schaffen, die den grünen Charakter des Periurban garantieren.

Wie glauben Sie, wird das klappen können?

Degros: Ich glaube, wir brauchen eine sehr gute Strategie, die das Periurban und die Gemeinschaftsflächen definiert. Heute sind die Gemeinschaftsflächen in der städtischen Umgebung primär Straßen. Aber ich glaube, wir sollten das überdenken und eine Art Netzwerk von Gemeinschaftsflächen schaffen. Und diese Gemeinschaftsflächen müssen grün sein. Und wir müssen verschiedene Flächen im Periurban zurückgewinnen, um dieses Netzwerk zu realisieren – ich denke an Parkplätze vor Shopping Zentren oder Agrarflächen oder auch Produktiv-Flächen.

Wir sind mittlerweile im zweiten oder dritten Jahr der Pandemie. Wie hat die Pandemie unseren Blick auf Wohnen und Arbeiten verändert?

Degros: Ich glaube, dass die Pandemie unseren Blick insofern geändert hat, als das wir heute sehr viel aufmerksamer sind, was unsere Nachbarschaft betrifft. Früher haben wir unter Tags gearbeitet und sind dann erst nach Hause gekommen. Man konnte sagen, wir waren von überall und nicht von einem speziellen Platz. Ich denke, durch die Pandemie haben wir wieder erkannt, dass wir an einem bestimmten Platz leben und waren oft etwas enttäuscht von unserer Umgebung. Wir haben erkannt, dass es dort sehr wenig Geschäfte oder Kontakt zur Natur gibt. Ich glaube, die Pandemie war eine Chance, unsere Umgebung neu zu entdecken. Sehr interessant war, dass wir bei der Mobilität einen Rebound-Effekt hatten: Die Menschen sind zwar nicht mehr zur Arbeit gefahren, weil sie zu Hause gearbeitet haben. Aber sie haben das Auto genommen, um zum Bäcker zu fahren und Brot zu kaufen. Ich hoffe, dass so gezeigt werden konnte, dass Siedlungen Geschäfte brauchen und mehr Grün. Wenn wir künftig mehr Zeit zu Hause verbringen, dann ist es sehr wichtig, dass die Wohngebiete mehr Lebensqualität haben.

Werden wir in Zukunft mehr Zeit zu Hause verbringen?

Degros: Ja, ich denke unsere Zukunft wird oft zu Hause stattfinden. Seit den 50er Jahren haben wir die Funktion des Wohnens immer stärker von der Funktion des Arbeitens getrennt. Und wir haben zu Pendeln begonnen. Mit der Pandemie haben wir aber bemerkt, dass wir es mittels Remote-Arbeit und Digitalisierung gar nicht mehr trennen müssen. Früher haben wir das natürlich wegen der Produktion getan, oder weil die Büros an einem Ort sein mussten. Aber heute können wir remote arbeiten. Und das wird viele Konsequenzen haben. Es wird die Mobilität sehr verändern, weil wir weniger täglichen Weg zur Arbeit haben.

Wenn sich diese Dinge ändern, braucht es dann überhaupt noch Städte?

Degros: Ja, das denke ich schon. Weil wir, auch wenn wir zu Hause arbeiten, immer noch andere Menschen treffen wollen. Wir wollen immer noch einkaufen und ähnliches. Wir wollen immer noch Dinge gemeinsam tun. Und deshalb sind Städte so wichtig. Sie sollten aber ein Mix aus verschiedenen Dingen sein – das haben wir etwas vergessen, weil wir bei der Planung in Zonen gedacht haben, die eine Funktion von der anderen getrennt haben.

Wie wohnen Sie selbst?

Degros: Ich wohne zehn Minuten zu Fuß von meinem Arbeitsplatz entfernt. Ich wohne mit meiner Familie in einer Wohnung, die einem gemeinschaftliche Grünfläche besitzt. Wir genießen das Geschäft an der Ecke und fahren sehr viel mit dem Rad. Aber was viel wichtiger ist, als wie ich wohne: Diese Lebensqualität kann von jeder und jedem erreicht werden. Das ist nicht nur für einige wenige Menschen reserviert, sondern kann für eine große Mengen an Menschen realisiert werden.

Danke, dass Sie heute mein Gast waren und alle Fragen beantwortet haben.

Vielen Dank auch euch, dass ihr heute wieder dabei wart! Wir hören uns.