Zwischen 200 und 300 Gigatonnen an Masse verliert Grönland jedes Jahr. „Eine Gigatonne ist ein Eiswürfel in einer Größe von einem Kubik-Kilometer“, macht Torsten Mayer-Gürr diese – im wahrsten Sinne des Wortes – gigantische Folge des Klimawandels plakativ. Der Forscher leitet die Arbeitsgruppe Theoretische Geodäsie und Satellitengeodäsie an der TU Graz. Die Satellitengeodäsie beschäftigt sich mit der Vermessung der Erde auf globalen Skalen, erläutert Mayer-Gürr: „Dabei geht es um großräumige Veränderungen auf der Erde, insbesondere im Rahmen des Klimawandels. Wie verändert sich der Meeresspiegel, wieviel Eis schmilzt? Wo könnte es zu Überschwemmungen kommen? All das können wir anhand unserer Satelliten berechnen – etwa mit unserem Satelliten-Duo Tom und Jerry.“
Die Satellitengeodäsie beschäftigt sich mit der Vermessung der Erde auf globalen Skalen, erläutert Mayer-Gürr: „Dabei geht es um großräumige Veränderungen auf der Erde, insbesondere im Rahmen des Klimawandels. (Torsten Mayer-Gürr)
Was es mit dem „Katz-und-Maus-Spiel“ im Weltall auf sich hat, erklärt Saniya Behzadpour aus dem Team von Mayer-Gürr: „Eines unserer Forschungsprojekte ist die Mission ‚GRACE follow on‘. Tom und Jerry haben wir die beiden Satelliten in 400 Kilometern Höhe genannt, weil sie permanent hintereinander herflitzen und sich gegenseitig verfolgen. Uns interessiert, wie sich ihr Abstand verändert, das wird nämlich von der Erdanziehungskraft beeinflusst“, so die Forscherin. Fliegt Satellit Tom auf ein Gebirge zu, wird er von diesem – aufgrund der großen Masse – angezogen. Der Abstand zu Satellit Jerry vergrößert sich. „So können wir globale Schwerefeldkarten der Erde erzeugen und uns die Veränderung der Masse ansehen.“ Auch das erwähnte Beispiel der Eisschmelze in Grönland lässt sich so berechnen. In der Antarktis geht das Abschmelzen ähnlich schnell von statten – und das abschmelzende Wasser führt zu höheren Meeresspiegeln und drohenden Überschwemmungen.
Mit Hilfe des Satelliten-Duos „Tom und Jerry“ berechnen Torsten Mayer-Gürr und sein Team, wie sich der Meeresspiegel verändert, wo es zu Überschwemmungen kommen kann und vieles mehr.
„Wechselspiel“ mit anderen Forschungsdisziplinen
Die Geodäsie zeigt das auf, sagt Mayer-Gürr: „Wir liefern die Daten und sind in laufendem Austausch mit anderen Forschungsgruppen, etwa Fachleuten aus der Klimatologie, Glaziologie, Ozeanografie und Meteorologie, die diese Daten weiterverwenden“, verweist Mayer-Gürr auf die interdisziplinäre Teamarbeit. Dabei ergeben sich laufend neue Potenziale. „Aktuell arbeiten wir mit Meteorologinnen und Meteorologen daran, dass sie unsere Daten aus der Satelliten-Positionsbestimmung noch besser nutzen können. Die Satelliten-Signale verändern sich nämlich in Abhängigkeit von Luftfeuchtigkeit und Temperatur und das sind wiederum wichtige Daten für die Wettervorhersage.“ Auch mit Ozeanografinnen und Ozeanografen gibt es ein solches Wechselspiel: „Wir benötigen Ozeanströmungsmodelle, um Satellitenbahnen zu berechnen und den Forschenden in der Ozeanografie helfen unsere Daten in der Berechnung ihrer Modelle.“
Eine Grundwasser-Karte für die ganze Welt
Apropos Wasser: Zu den durch den Klimawandel bedingten Veränderungen zählt auch das verstärkte Auftreten von Extremwetterereignissen. In einigen Gebieten der Erde regnet es deutlich mehr, in anderen weniger. Das Geodäsie-Team an der TU Graz misst dies mittels einer Analyse des Grundwassers, wie Mayer-Gürr anhand eines Beispiels erläutert: „Wenn in Indien der Monsun einsetzt, steigt der Grundwasserspiegel – und damit die Masse – an, was wir wiederum an den Bewegungen unserer Satelliten erkennen.“ In einem EU-weiten Forschungsprojekt arbeitet das TU Graz-Team derzeit daran, globale Grundwasserkartierungen zu erstellen und Veränderungen noch besser zu dokumentieren. „In Zukunft sollen die Daten in Echtzeit zur Verfügung stehen.“
Wie bei allen anderen Datenauswertungen gilt: „Wir arbeiten nicht mit fertiger Software, weil es die schlichtweg nicht gibt. Wir entwickeln das immer selbst“, verweist Mayer-Gürr auf die enge Kooperation mit IT-Expertinnen und -Experten, die es braucht, „damit wir uns mehr der ‚detektivischen Arbeit‘ widmen können.“ Gemeint ist die Analysearbeit des Teams. „Wir sehen eine Störung und diskutieren darüber, was die Ursache dafür sein kann. Dazu sind die unterschiedlichen Zugänge und Schwerpunkte, die wir im Team haben, immens wertvoll.“ All jene, die neugierig sind und gerne im Team Probleme lösen, seien laut Mayer-Gürr in diesem breiten Feld der Geodäsie richtig: „Unsere Arbeit wird in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger und natürlich bieten NASA und ESA spannende Jobs, auch bei Google arbeiten ehemalige Absolventinnen und Absolventen von uns.“
Studieren an der TU Graz: Das Studienangebot Geodäsie umfasst an der TU Graz ein deutschsprachiges Bachelorstudium und Masterstudium. Einen Beitrag zu Studium und Berufsaussichten im Bereich der Geodäsie finden Sie in den TU Graz News+Stories. Verwandte Studienprogramme sind unter anderem die beiden deutschsprachigen NAWI Graz-Masterstudien Geospacial Technologies und Space Science and Earth from Space.
Weitere Infos unter www.tugraz.at/go/studienangebot
Das Weltall ist näher, als man denkt
Vom Rauchmelder bis zum Akku-Schrauber: Unzählige Alltagsgegenstände haben ihren Ursprung in der Weltraum-Technologie. So wurde der Akku-Schrauber entwickelt, weil es im Weltraum keine Steckdosen gibt. Raumfahrtforschung kann auch zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Das zeigen Solarzellen, die für die Stromversorgung von Satelliten entwickelt wurden. Um derartige Innovationen zu fördern, wurde 2016 das „Business Incubation Centre“ der European Space Agency (kurz ESA BIC) in Graz gegründet. Die TU Graz ist eine der Kooperationspartneirinnen. Insgesamt gibt es über 20 ESA-BIC-Ableger in Europa. Graz ist das Zentrum für Österreich und Südosteuropa.
Mehr als 21 Start-ups sind derzeit Teil des ESA BIC Austria in Graz. Aber welche Innovationen entstehen dort? Woran wird gearbeitet? Ein paar Beispiele: Das Start-up IceKing betreibt Gletscher-Monitoring. Lympik entwickelt eine Sportanalyseplattform. Diese soll die Trainingsmessung und -analyse mittels Satelliten- und IoT-Technologie vereinfachen. Und „Team Tumble-weed“ hat einen innovativen, windgetriebenen Marsrover zur schnellen und großflächigen Exploration des Planeten designt.
Neben Beratung und Unterstützung zu Gründungsvorhaben gibt es an der TU Graz auch Lehrveranstaltungen und Projektformate wie die Gründungsgarage.
Mehr Infos unter gruenden.tugraz.at.
Die Forschenden der TU Graz suchen Lösungen für die brennenden Probleme der Gegenwart. Welche Themen sie derzeit auf dem Schirm haben und was man studieren kann, um wie sie die Zukunft zu verändern, erfahren Sie auf TU Graz screenshots.