In den Budgets der 22 öffentlichen Universitäten Österreichs klafft durch Inflation und Energiekostenexplosion eine Lücke von etwa 1,2 Milliarden Euro. Es kam daher über den Sommer zu Budgetnachverhandlungen mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Wissenschafts- und Bildungsminister Martin Polaschek war zu einer Kompensation in Höhe von 500 Millionen Euro bereit. Heute Morgen folgte die Ankündigung des Ministers, aus der Ministerreserve für das Jahr 2023 weitere 150 Millionen Euro freizumachen. Auch wenn dies die Mehrkosten nur teilweise abdeckt, tragen die Mittel in Kombination mit den laufenden Einsparungsprogrammen der Unis zu einer leichten Entschärfung der Situation für das Jahr 2023 bei. Insbesondere im Personalbereich.
Über 2023 hinaus bleibt der Teuerungsausgleich für die laufende Leistungsvereinbarungsperiode jedoch vollständig offen. Für 2024 aber erwarten die Universitäten aufgrund kumulierter Indizes das kritischste Budgetjahr der laufenden Periode. Für 2024 wird von den Universitäten ein weiterer Budgetbedarf von mehr als dem Doppelten der nun für 2023 zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel veranschlagt. Das Ministerium ist gefordert, noch vor dem Sommer 2023 für die notwendige Zusatzfinanzierung für das Jahr 2024 und somit für die nötige Planungssicherheit für die Unis zu sorgen. Alles andere hätte weitreichende und langfristige negative Konsequenzen für Studierende, für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort, die Industrie, die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit – kurzum: für den Wohlstand und die Zukunft der gesamten Gesellschaft.
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Kundgebung in Graz: „Unis auf Sparflamme heißt Zukunft auf Sparflamme“
Die fünf steirischen Universitäten Uni Graz, TU Graz, Med Uni Graz, Kunstuniversität Graz und Montanuniversität Leoben informierten daher konzertiert am Dienstagvormittag, 15.11., in jeweils internen Treffen alle Mitarbeitenden und Studierenden über die akut und real drohenden Konsequenzen. Danach trafen sich Mitarbeitende und Studierende zur Kundgebung in der Franz-Graf-Allee in unmittelbarer Nähe zur Oper Graz und zum Stadtpark. Vor Ort versammelten sich rund 5000 Personen. „Unis auf Sparflamme = Zukunft auf Sparflamme“ und „Kein Rückwärtsgang für Bildung und Forschung“ stand auf meterlangen Transparenten, weitere Schilder und Plakate verliehen dem Anlass der Aktion Ausdruck.
Peter Riedler, Rektor der Universität Graz:
„Die Finanzierung des Bundes für die Jahre 2022-2024 wurde bereits 2021 vereinbart. Die dramatische Kostenentwicklung seither führt bei den steirischen Universitäten zu einem Budgetloch von ca. 200 Mio. Euro. Mit den heute zugesagten Mitteln, die einen wichtigen Schritt darstellen, ist seitens des Bundes etwas mehr als die Hälfte zugesagt. Der Personalstand kann allerdings nur bei langfristiger Finanzierungszusage erhalten bleiben. An der Uni Graz sind deshalb ca. 100 hochqualifizierte Stellen gefährdet. Darunter leiden sowohl die Forschung als auch die Ausbildung der Studierenden. Der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Steiermark verliert auf Dauer deutlich an Innovationskraft.“
Eva Wegerer, Vorsitzende des Betriebsrats Wissenschaft an der Montanuniversität Leoben:
„Die Universitäten bringen den wesentlichen Produktionsfaktor unserer Gesellschaft hervor – das Wissen. Sie haben maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung und benötigen entsprechende Ressourcen. Die Wissenschaftler*innen der steirischen Universitäten leisten hervorragende Arbeit, wofür ihnen eine angemessene Entlohnung und Inflationsabgeltung zusteht. Die Betriebsräte des wissenschaftlichen Universitätspersonals fordern vom Bund hierfür eine ausreichende Finanzierung. Ohne entsprechende finanzielle Bedeckung leidet die Qualität der Forschung und Lehre und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Universitäten. Einsparungen im universitären Bereich führen zu einem gesellschaftspolitischen Rückschritt. Die Investition in unsere Universitäten ist die Investition in die Zukunft unseres Landes.“
Laurin Erlacher, Stellvertretender. Vorsitzender ÖH Med Graz:
„Wir demonstrieren für unsere Zukunft und für die Zukunft der Universitäten. Die derzeitige Teuerung trifft auch uns Studierende. Das Budgetloch der Universitäten bedeutet nicht nur eine Verschlechterung im Bereich der Lehre, sondern auch eine Verschlechterung der Patientenbetreuung in der Zukunft.“
Simon Kintopp, Vorsitzender der ÖH KUG:
„Egal wie und wo gespart wird: Die Studierenden trifft es als erste. Gerade im Kunstbereich, wo wir für einen hoch kompetitiven Markt ausgebildet werden, können Einschränkungen und Verzögerungen im Studium existenzbedrohend werden. Dabei hatten wir schon die letzten zwei Jahre kein vollwertiges Studium. Ich frage mich, ob sich Österreich, das so sehr von seinem Ruf als Kulturnation profitiert, eine solche Gefährdung seiner künstlerischen und wissenschaftlichen Zukunft leisten kann.“
Herbert Penker, Vorsitzender des Betriebsrates für das allgemein Universitätspersonal an der TU Graz:
„Für eine Flamme braucht es Brennstoff und dieser Brennstoff ist das Budget. Viele wissen derzeit nicht, wie sie sich das Leben leisten sollen. Die Gehaltsabschlüsse der Universitäten waren schon in der Vergangenheit nicht so gut wie in anderen Bereichen und das ist nun für die nächsten Jahre auch zu befürchten. Dadurch ist die Privatwirtschaft für viele attraktiver als die Arbeit in der Forschung.“
Sara Velic, Vorsitzende des ÖH Bundesvertretung:
„Wir haben einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die Regierung will der Forschung das Licht abdrehen. Wir lassen das nicht zu. Immer heißt es von oben, die Studierenden brächten wenig und seien eine Belastung. Das ist aber falsch, wir bringen dem Staat mehr als wir kosten. Wir sind die Zukunft der Gesellschaft. Die von den älteren Generationen verursachten Krisen werden durch unsere Arbeit bewältigbar. Bildung ist ein Menschenrecht, sie darf 2022 nicht zur Debatte stehen. Mit Sparpaketen ist eine vernünftige Bildung aber nicht möglich. So ist Österreich bald nicht mehr das Land der Bildung, sondern das Land der toten Hochschulen.“
Sarah Rossmann, Vorsitzende der ÖH Uni Graz:
„Die österreichischen Universitäten sind in einer schwierigen Situation. Die Teuerung bedeutet ein Loch im Budget. Und so werden zuerst die Bibliotheken und dann die Lehrplätze geschlossen, danach wird es in den Hörsälen kälter und schließlich sitzen wir wieder im Home Schooling. Wie kann ein Minister, der selbst Rektor einer Uni war, so etwas zulassen? Wir lassen das nicht zu. Schon während Corona wurden wir im Stich gelassen und jetzt geschieht es wieder. Es darf nicht sein, dass die Regierung unsere Zukunft aufs Spiel setzt. Wir brauchen jetzt eine Öffnungsgarantie für die Universitäten, ihre und unsere eigene Zukunft dürfen nicht riskiert werden.“
Harald Kainz, Rektor der TU Graz
„Die fünf steirischen Universitäten appellieren im Konzert mit allen österreichischen Universitäten an die Bundesregierung und den Nationalrat, in dieser für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Österreich so kritischen Zeit für eine solide und nachhaltige Finanzierung von Forschung und Lehre zu sorgen. Unser Dank geht an Wissenschaftsminister Polaschek für die heute zusätzlich bereit gestellten 150 Millionen Euro. Damit ist der Gesamtbedarf der Unis für die Leistungsvereinbarungsperiode 2022 bis 2024 aber bei Weitem nicht gedeckt. Die Anerkennung von Wissenschaft und Bildung als Zukunftsmotor unserer Gesellschaft darf kein Lippenbekenntnis bleiben. Zumal Studien vielfach belegen, dass in Unis investiertes Steuergeld rasch und vielfach an den Staat zurückfließt.“
Wie kommt es zur Budgetlücke der Unis?
Die Budgets für öffentliche Universitäten werden in Österreich jeweils für drei Jahre im Vorhinein verhandelt und vertraglich festgelegt. Für die Jahre 2022 bis 2024 wurde der Budgetrahmen bereits im Jahr 2020 gesteckt und im Herbst 2021 festgezurrt als es noch keine Anzeichen der enormen Inflation von derzeit elf Prozent und den volatilen Energie- und Rohstoffpreisen gab. Die Folge: Alleine bei den fünf steirischen Universitäten klafft ein nennenswertes Budgetloch, das die Universitäten nicht ohne langfristige und weitreichende Schäden – auch für den gesamten Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort – überstehen können.
Welche Konsequenzen drohen?
Trotz aller Bemühungen sind selbst gesetzte Sparmaßnahmen etwa beim Energieverbrauch nicht annähernd ausreichend. Nachdem rund 70 Prozent eines Unibudgets auf Personalkosten entfallen, sind Personalaufnahmestopps oder gar -rückbau nicht auszuschließen. Dies aber würde einen Dominoeffekt in Gang setzen: Weniger Personal in der Forschung führt zu einem sehr unmittelbaren technologischen Rückfall und mittelfristig zu einem massiven Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des gesamten Standorts. Die Universitäten werden in ihrer Funktion als Innovationsmotoren eingebremst. Die mühsam angeworbenen Spitzenköpfe der Forschung werden sich rasch nach besseren Bedingungen umsehen und ins Ausland abwandern.
Auch in der Lehre sind deutliche Verschlechterungen absehbar: Weniger Lehrpersonal heißt verschlechterte Betreuungsrelation von Lehrenden zu Studierenden. Dazu müssten kostenintensive Labore und Übungen stark eingeschränkt und die Zahl an Wahlfächern verringert werden. Auch die Kürzung von Zuschüssen zu Auslandsaufenthalten sowie der Verzicht auf internationale Vortragende würden die Qualität der Ausbildung zusätzlich beeinträchtigen. Die Studiendauer wird sich bei sinkender Lehrqualität verlängern, am Arbeitsmarkt werden hoch qualifizierte Absolvent*innen fehlen.
Ausgaben für Unis: „Nachhaltiges Investment“, so Polaschek
Dabei rentieren sich Ausgaben für Universitäten sowohl für die späteren Absolvent*innen als auch für den Staat selbst: Die anfänglichen Kosten werden von späteren Einnahmen mehr als gedeckt, wie auch eine 2022 veröffentlichte WIFO-Studie „Wirtschaftliche Effekte von Universitäten“ ergab. Im Rahmen deren Präsentation bekräftigte auch Minister Martin Polaschek, dass Universitäten mehr Geld bringen als sie kosten: „Es handelt sich dabei um ein nachhaltiges Investment im Sinne der Steuerzahlerinnen und -zahler." Universitäten bringen also mehr als sie kosten (vgl. WIFO Studien „Wirtschaftliche Effekte von Universitäten“ Aktualisierung 2022. Details unter https://uniko.ac.at/themen/hochschulsystem/wertschoepfung/.