Ob Wind oder Wetter – Um vor Umwelteinflüssen geschützt zu sein, müssen Pflanzen gleichzeitig robust und biegsam sein. Für diese faszinierenden Struktureigenschaften ist die Pflanzenzellwand verantwortlich: Sie hält die Pflanze einerseits in Form, indem sie etwa den osmotischen Druck der Zelle ausgleicht, und schützt sie andererseits vor Pathogenen wie z.B. Bakterien, Viren oder Pilzbefall. Pflanzenzellwände sind größtenteils aus Polymeren und Zellulose, ein Polysaccharid, zusammengesetzt. Als Verknüpfungsagens haben Polysaccharide die Aufgabe, die langkettigen Polymere zu vernetzen und ein feinmaschiges, molekulares Netzwerk aus Strängen, sogenannte Fibrillen, zu bilden. Diese sind maßgeblich an der Zugfestigkeit der Pflanze beteiligt. Einer dieser Zuckerbausteine ist das verzweigtkettige Monosaccharid Apiose, abgeleitet vom lateinischen Wort Apium, einer Pflanzengattung, der z.B. Sellerie und Petersilie angehören, welche eine besonders hohe Konzentration des Monosaccharids aufweisen.
„Apiose beschäftigt die Pflanzenbiochemieforschung seit über hundert Jahren, da seine Funktion in der Pflanze bis heute kaum verstanden wurde. Außerdem wusste man bisher nicht über den biochemischen Mechanismus Bescheid, wie die Natur Apiose herstellt“, erklärt Bernd Nidetzky, wissenschaftlicher Leiter des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und Leiter des Instituts für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der TU Graz.
Ein Enzym führt vier Prozessschritte durch
Das acib und die TU Graz haben in Zusammenarbeit mit den Universitäten Pavia (Italien) und Barcelona (Spanien) entdeckt, wie Apiose von einem einzelnen Enzym namens UAXS (UDP-apiose/UDP-xylose Synthase) hergestellt wird. Erstmals ist es gelungen, den Mechanismus dieses Enzyms zur Gänze zu entschlüsseln. Die für die Enzymforschung bahnbrechenden Ergebnisse wurden kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature Catalysis publiziert. „Der aus der Kresse (Arabidopsis thaliana) isolierte Katalysator besitzt besondere Eigenschaften: Während die meisten biosynthetischen Prozesse für die Herstellung komplexer Moleküle mehrere Reaktionsschritte benötigen, katalysiert das UAXS-Enzym selektiv vier Reaktionsschritte“, zeigt sich Nidetzky begeistert. Dabei kann das Enzym Kohlenstoffbindungen sowohl spalten als auch gleichzeitig neue Bindungen erstellen. Daraus entsteht aus einem ursprünglich sechsförmigen Zuckermolekül (Hexose) ein strukturell umgebauter Fünffachzucker (Pentose). Das Enzym generiert damit neue Kohlenstoffverbindungen, die der Pflanze in weiterer Folge ihre Festigkeitseigenschaften verleihen. Die Aufklärung des Enzymmechanismus war nicht zuletzt durch eine stark interdisziplinäre Kooperation aus den Bereichen Enzymologie und Biokatalyse, Strukturbiologie und molekularer Modellierung möglich.
TU Graz-Biotechnologe Bernd Nidetzky ist wissenschaftlicher Leiter des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib).
In unserem Face-to-Face-Interview erfahren Sie mehr über die Arbeit von Bernd Nidetzky
Neuer Einblick in die Fähigkeiten von Enzymen und deren Anwendung
Der ungewöhnliche und hochkomplexe Reaktionsverlauf der Apiose-Biosynthese eröffnet den Enzymologen zum einen faszinierende Einblicke in die molekulare Evolution von höheren Pflanzen. Zum anderen gibt sie Aufschluss darüber, wie einzelne Enzyme auch mehrstufige Prozesse koordinieren und zu einem Endprodukt führen können. Nidetzky: „Das Verstehen der Biogenese des Kohlenhydrates Apiose in Pflanzen liefert uns obendrein eine wichtige Grundlage für zukünftige industrielle Anwendungen, etwa die Herstellung wertvoller Zuckermoleküle als Basis möglicher Produkte wie Feinchemikalien oder neuartige Biopharmazeutika.“
Über acib
Das 2010 gegründete Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) entwickelt neue, umweltfreundlichere und ökonomischere Prozesse für die Industrie (Biotech, Chemie, Pharma) und verwendet dafür die Methoden der Natur als Vorbild und die Werkzeuge der Natur als Hilfsmittel. Das acib, eine Non-Profit-Organisation, ist ein internationales Forschungszentrum für industrielle Biotechnologie mit Standorten in Graz, Innsbruck, Tulln, Wien, Linz (AUT), Bielefeld, Heidelberg und Hamburg (GER) sowie Pavia (ITA), Barcelona (ESP), Rzeszów (POL), Ljubljana (SLO), Canterbury (AUS), Neuseeland (NZL) und Hsinchu (TWN) und versteht sich als Partner von mehr als 150 Universitäten und Unternehmen.
Am acib forschen und arbeiten derzeit über 250 Beschäftigte an mehr als 175 Forschungsprojekten. Eigentümer des acib sind die Universitäten Innsbruck und Graz, die TU Graz, die Universität für Bodenkultur Wien sowie Joanneum Research. Gefördert wird das K2-Zentrum im Rahmen von COMET – Competence Centers for Excellent Technologies durch das BMVIT, BMWFW sowie die Länder Steiermark, Wien, Niederösterreich und Tirol. Das COMET-Programm wird durch die FFG abgewickelt.