Liebe Johanna, du zählst zu den bekanntesten Persönlichkeiten, die derzeit an der TU Graz lehren und forschen. Hattest du von Anfang an im Sinn, Karriere in der Informatik zu machen?
Johanna Pirker: Für mich stand immer fest, dass ich nach der Matura studieren werde. Dass es dann schließlich nicht die Psychologie, Musik oder Chemie sondern die Informatik wurde, war rückblickend betrachtet eine Vernunftentscheidung. Ich wusste nicht, was mich erwartet – da war das Fachgebiet dann wie eine große Überraschungsbox, die alles beinhaltete, was ich immer schon gern gemacht habe: vom Künstlerischen über die Zusammenarbeit mit Psychologie und Soziologie bis hin zur Mathematik. Das arbeiten an und mit diesen Schnittstellen macht einfach immens viel Spaß.
Wobei ich gelesen habe, dass Mathematik nicht zu deinen Lieblings-Schulfächern zählte...
Pirker: Ich war kein besonderes Mathe-Talent und habe mir bei manchen Themen schwer getan. Da war mein Sprung vom Gymnasium an die Technische Universität für viele nicht der naheliegendste.
Wie hat dein Umfeld darauf reagiert?
Pirker: Niemand wusste, was die Informatik genau ist. Aber meine Familie stand hinter mir. Trotzdem blieb da auch viel Skepsis. Einige meiner Studienkollegen kannte ich schon von früher, die kamen alle von der HTL. Im Vergleich zu ihnen habe ich mir zu Beginn schwer getan. Gerade im ersten Jahr musste ich viel Aufholen.
In einer Interviewserie setzt sich die TU Graz schwerpunktmäßig mit den Karrierechancen und -herausforderungen von Frauen im Studium, in der Forschung, Lehre und Wirtschaft auseinander. Frauen an unterschiedlichen Karrierepunkten erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen. Hier geht es zu den Interviews mit Informatikerin Johanna Pirker, Experimentalphysikerin Birgitta Schultze-Bernhardt, Studentin Christina Fior sowie mit TU Graz-Absolventin und Präsidentin des WomenUniverse Esther Lind.
Man hört ja immer wieder, dass der Weg in ein Technisches Fach mit einem HTL-Abschluss einfacher sei als mit einer AHS-Matura, und, dass sich Jungen im Technischen Studium leichter tun als Mädchen. Steckt hinter diesen Aussagen doch mehr als ein Körnchen Wahrheit?
Pirker: Ganz ehrlich: Blödsinn. Ich glaube, es sind genau solche Vorurteile, warum viele Menschen kein technisches Studium beginnen. Das ganz Offensichtliche ist, dass wir einfach mehr Frauen in der Technik brauchen.
Was würde sich dadurch ändern?
Pirker: Unsere Welt würde diverser und dadurch fairer werden. Ich bin davon überzeugt, dass Sexismus nicht immer absichtlich geschieht, sondern durch Narrative gestützt wird. Ein Beispiel aus der Gaming-Szene: Oft fehlen diverse Charaktere, die Helden sind meistens männlich, die Story dreht sich oft um Frauen in Not, die auf den männlichen Helden warten, der sie endlich rettet. In diversen Teams wird schnell aufgezeigt, dass so manche Rollenbilder unpassend sind und solche Frauenbilder würden nicht befeuert werden.
Ich bin davon überzeugt, dass Sexismus nicht immer absichtlich geschieht, sondern durch Narrative gestützt wird.
Siehst du noch andere Möglichkeiten, solche geschlechtsspezifischen Klischees zu beseitigen?
Pirker: Wir müssen schon im frühen Kindesalter ansetzen. In der Schule oder an der Universität ist es zu spät. Ich selbst bin auch mit vielen Klischees aufgewachsen, vor allem auch in Computerspielen, die ich sehr früh spielen durfte. Da habe ich als „Prince of Persia“ oder als Klempner „Super Mario“ Prinzessinnen gerettet und diese traditionellen Rollenbilder des „starken Mannes“ und der „hilflosen Frau“ vorgesetzt bekommen.
Da hat sich in den letzten Jahren einiges getan…
Pirker: In der Gaming-Szene durchaus. Heute retten Prinzessinnen den Prinzen oder andere Prinzessinnen. Die alten Geschlechterrollen verlieren hier mehr und mehr an Relevanz. Wir sind heute soweit, dass es okay ist, wenn Mädchen mit Autos oder Laserschwertern spielen…
…Buben mit rosa Puppen?
Pirker: Da ist noch viel Luft nach oben. Alle sollen mit dem Spielzeug spielen dürfen, das ihnen Freude bereitet und auch das tragen, was ihnen gefällt. Warum darf ein Mann beispielsweise umgekehrt kein Kleid tragen? Ich kann nicht verstehen wie wir in unserer modernen Welt noch immer solche Rollenbilder mitschleppen, und dass so etwas gesellschaftlich so absolut verpönt ist. Solche Vorurteile müssen wir aus den Köpfen verbannen und daher ist mir der Kampf um Gleichberechtigung so wichtig.
Stichwort „allein“: Studentinnen sind an technischen Universitäten immer noch eine Minderheit. Wie war das bei dir? Hattest du Schwierigkeiten damit?
Pirker: Während des Studiums nicht. Sicher fiel man eher auf, wenn man unter den 100 Studierenden im Hörsaal zu den zehn Studentinnen gehörte. Aber ich habe mich nie wirklich anders behandelt gefühlt oder vermittelt bekommen, dass das Geschlecht einen Unterschied machen würde. Und da müssen wir als Gesellschaft hinkommen: Dass niemand aufgrund seines Geschlechts bevorzugt oder benachteiligt wird, sondern allein die Qualität der Arbeit zählt.
Wie siehst du in diesem Zusammenhang die Quotenregelung?
Pirker: Ich weiß, ich wiederhole mich, aber: Für eine fairere, diversere Welt brauchen wir mehr Frauen in männerdominierten Berufen. Die Quotenregelung ist da momentan irrsinnig wichtig und notwendig. Aber genauso wichtig ist es, die Leistungen erfolgreicher Frauen anzuerkennen. Denn die Frauenquote bedeutet nicht, dass ich etwas nur wegen meines Geschlechts bekomme, sondern vor allem, weil ich gut bin in dem, was ich mache.
Die Frauenquote bedeutet nicht, dass ich etwas nur wegen meines Geschlechts bekomme, sondern vor allem, weil ich gut bin in dem, was ich mache.
Abschließend: Hast du als weibliches Vorbild Tipps parat, wie Mädchen und junge Frauen Karriere in der Technik machen können?
Pirker: Nicht von Vorurteilen leiten lassen sondern ausprobieren, reinschnuppern, mutig sein. Oder wie Aloy (Protagonistin des Computerspiels „Horizon Zero Dawn“, Anm.) sagen würde: “Comforts Are Weakness.”
„WomenUniverse“, das alumni-Frauennetzwerk der TU Graz, ist ein Forum für Absolventinnen, Studentinnen und alle Frauen, die an der Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft interessiert sind. Regelmäßige Aktivitäten (live und online) bieten Frauen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien ihrer Berufs- und Karriereplanung die Möglichkeit sich in einem geschützten Umfeld auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und der TU Graz ein Stück näher verbunden zu bleiben.
Bei Interesse melden Sie sich via frauen an. Mehr Informationen zum Netzwerk und zu aktuellen Terminen finden Sie auf der @alumni.tugraz.atWomenUniverse-Webseite https://alumni.tugraz.at/unsere-aktivitaeten/womenuniverse.
Im Interview mit dem Uni-Podcast AirCampus erzählen Vizerektorin Claudia von der Linden und WomenUniverse-Präsidentin Esther Lind von den Zielen der Initiative >> Run the world (girls) (Audiobeitrag auf Deutsch)