News+Stories: Was ist gute Innenraumluft?
Christina Hopfe: Raumluft wird von vielen Menschen als gut empfunden, wenn Temperatur und Luftfeuchtigkeit als angenehm empfunden werden. Aber natürlich steckt noch viel mehr dahinter. Gute Luftqualität in Räumen bedeutet eine relativ niedrige Kohlendioxid-Konzentration, also CO2-Konzentration in der Luft, keine Feinstaubpartikel, keine Schimmelpilzsporen und wenig flüchtige organische Verbindungen, sogenannte VOCs. Dazu gehört auch der Schutz des Gebäudes vor radioaktivem Radongas, das in Gebieten mit Granitböden sehr verbreitet ist, mit speziellen Membranen und Lüftungskanälen über erdberührten Bereichen.
Was sind denn „Flüchtige Organische Verbindungen“ (VOCs)?
Hopfe: VOCs sind organische Verbindungen, nämlich Chemikalien, die Kohlenstoff-Wasserstoff- oder Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen enthalten und die bei Raumtemperatur einen hohen Dampfdruck haben. Hoher Dampfdruck bedeutet, dass VOC-Moleküle flüchtig sind und leicht in die Umgebungsluft entweichen. Fast alles, was in einem Raum neu ist, gibt diese Schadstoffe ab. Parkett, Laminat, Möbel, Wandfarbe, Geräte, lösemittelhaltige Haushaltsprodukte, viele Klebstoffe, selbst Biofarben und Reinigungsmittel. Deshalb ist die Lüftung in Gebäuden so wichtig.
Kann man VOCs riechen? Wie machen sich die bemerkbar?
Hopfe: Menschen empfinden VOCs sehr unterschiedlich. Manche finden den Geruch neu renovierter Räume oder Autos gut, weil es so „sauber“ riecht. Ich persönlich empfinde das als unangenehm und will davon so wenig wie möglich einatmen.
Innenraumluft kann in Wirklichkeit wesentlich schlimmer sein, als wir sie wahrnehmen, da sich der Mensch sehr schnell an verbrauchte Luft gewöhnt.
Warum fühlt sich die Luft in einem Raum manchmal so verbraucht an?
Hopfe: Das ist sehr subjektiv. Manche Leute bemerken sofort, wenn eine Raumluft abgestanden ist, verbraucht riecht oder mit Schadstoffen belastet ist. Viele Leute nehmen den CO2-Gehalt nicht sofort wahr, weil er geruchlos ist, andere bekommen schnell Kopfschmerzen und wollen gerne lüften. Wenn sich Luft verbraucht anfühlt, ist es jedenfalls höchste Zeit, um zu lüften. Das ist auch wichtig gegen Schimmelbildung. Innenraumluft kann in Wirklichkeit wesentlich schlimmer sein, als wir sie wahrnehmen, da sich der Mensch sehr schnell an verbrauchte Luft gewöhnt, nachdem er sich einige Minuten im Raum aufgehalten hat. Wenn man über Jahre hinweg schlechter Luft ausgesetzt ist, merkt das der Körper. Die gesundheitlichen Konsequenzen von Feinstaub und Schimmel in Gebäuden sind nachgewiesen und die Luftqualität drinnen ist oft deutlich schlechter als die Luftqualität draußen. Das ist eine erschreckende Tatsache, wenn man bedenkt, dass in Europa jedes Jahr 400.000 Menschen vorzeitig an Luftverschmutzung sterben. Darüber hinaus reagieren viele Menschen sehr allergisch auf Chemikalien und Feinstaub in der Luft und können infolgedessen lebenslang an Asthma und anderen schweren Atemwegserkrankungen leiden.
Gehen wir näher auf den CO2-Gehalt in Innenräumen ein. Warum plädieren Sie für CO2-Sensoren?
Hopfe: CO2-Sensoren können dabei helfen, die Ansteckungsgefahr durch virusbelastete Aerosole in der Raumluft zu reduzieren. Je besser die Luftwechselrate in einem Raum ist, umso niedriger die Aerosolkonzentration und umso geringer das Infektionsrisiko. Der CO2-Gehalt im Raum, der sich ja durch das Ausatmen der Personen im Raum ergibt, ist dafür ein Indikator. Viel CO2 in der Luft bedeutet immer auch viel aerosolhaltige Ausatemluft in der Raumluft. Der CO2-Sensor kann mir also anzeigen, wann es Zeit für Frischluft ist und das Fenster geöffnet werden muss. Abgesehen davon hat ein hoher CO2-Gehalt schädliche Nebenwirkungen in Bezug auf Konzentrationsschwäche, Schulleistung und dergleichen und ist ein guter Indikator dafür, dass andere Schadstoffe wahrscheinlich auch in hohen Konzentrationen vorhanden sind.
Mir ist lieber, ich sitze in einem kalten Raum mit guter Luftqualität als umgekehrt.
Wo machen CO2-Sensoren Sinn?
Hopfe: Überall dort, wo sich Personen aufhalten. Büros, Arztpraxen, Schulklassen, Hörsäle. Über 90 Prozent unserer Zeit verbringen wir in Innenräumen, während der Covid Lockdowns waren es wohl noch mehr. Und doch stehen wir im Verständnis der Bedeutung der Luftqualität sehr am Anfang. Alles, was wir fühlen, sehen und riechen können, erscheint uns wichtiger. Temperatur zum Beispiel: Wenn es auch nur ein Grad zu kalt oder zu warm ist, beschweren wir uns. Aber Feinstaub, VOCs oder CO2 spüren wir nicht sofort, und selbst wenn, sind uns andere Aspekte wie unser thermischer oder akustischer Komfort immer noch wichtiger. Dabei ist gerade hier der Zusammenhang zur Gesundheit da. Mir ist lieber, ich sitze in einem kalten Raum mit guter Luftqualität als umgekehrt. Aber ich bin nicht der Standard, weil ich Wissenschaftlerin bin und mir der Risiken dort voll bewusst bin.
Was kann ich nun machen, wenn ich auch unterwegs schlechte Luft vermeiden will?
Hopfe: Ich nehme meinen CO2-Sensor überall hin mit. Beim Friseur habe ich unlängst 3000 ppm (parts per million, Anm.) gemessen, und darüber mit der Eigentümerin gesprochen. Es war ihr persönlich egal, weil für sie Komfort wichtiger ist und die Risiken irgendwie weit entfernt oder unkontrollierbar erscheinen. Sie hat eine Klimaanlage, die es ihr und ihrer Kundschaft sehr angenehm macht, und öffnet die Fenster nicht, weil sie denkt, dass das nur Energie verschwendet. Dass die Leute Kopfweh bekommen und sich in der hohen Aerosolkonzentration mit Krankheiten infizieren, ist dann unausweichlich. Es gibt also keine Frischluft, es sei denn, ich bitte darum, dass ein Fenster geöffnet wird. Ich bin wahrscheinlich einer ihrer schwierigsten Kundinnen, einfach weil ich frische Luft atmen möchte. Aber wir sollten nicht den Friseur oder die Friseurin für dieses Problem verantwortlich machen. Das Problem ist weit verbreitet, einfach weil es zu diesem Thema an Informationen zur öffentlichen Gesundheit und Gesetzen fehlt.
Christina Hopfe und ihr Team vom Institut für Bauphysik haben im Sommer 2022 mit einem DIY-Abluftsystem für Schulklassen aufhorchen lassen. Unter der Leitung von Robert McLeod wird in zwei Pilotklassen gezeiget, dass sich wirkungsvolle Abluftsysteme einfach und kostengünstig mit Material aus dem Baumarkt installieren lassen.
Braucht es eine gesetzliche Vorgabe zur Verwendung von CO2-Sensoren? Wie ist das in anderen Ländern?
Hopfe: Noch nicht, aber ich glaube, es kommt. In Belgien müssen CO2-Sensoren ab 2024 in allen öffentlichen Gebäuden verpflichtend installiert werden und in einigen Ländern wird den Menschen bei Überschreitung eines Grenzwerts geraten, den Raum sofort zu verlassen. Wenn Gesetze kommen, wird das vieles verändern. Vielleicht sollten wir da drüber nachdenken. Auch wenn ich denke, dass es wird schwierig ist, unter den Leuten nur durch Vorgaben Awareness zu schaffen. Mein Appell ist jedenfalls, unseren gesunden Menschenverstand zu nutzen und CO2-Sensoren in allen öffentlichen Gebäuden zu installieren und die Menschen über ihre Verwendung aufzuklären. Ich möchte, dass allen bewusst ist, dass über 1000 ppm in Innenräumen völlig inakzeptabel ist und 800 ppm eine akzeptable Obergrenze wären. Gebäude und Räume müssen entsprechend gelüftet werden, damit die Grenzwerte nicht erreicht werden.
Wie rein kann die Innenraumluft denn sein, wenn die Außenluft belastet ist?
Hopfe: Wird die Außenluft während der Heizperiode mit Schadstoffen wie Feinstaub belastet, dann ist die Belastung im Inneren oft noch größer und kann das Zwei- bis Hundertfache betragen. Wenn wir mit geöffneten Fenstern lüften, die Außenluft reinbekommen und zusätzlich das Gebäude gut isoliert ist, dann addiert sich die schadstoffbelastete Luft außen mit der schadstoffbelasteten Luft innen. Eine raumlufttechnische Anlage mit Filtern kann hier Abhilfe schaffen und sollte bei stark belasteter Außenluft eingesetzt werden.
Wir sind uns manchmal der Skalierung der Probleme nicht bewusst und denken, wenn wir mit nachwachsenden Rohstoffen heizen, ist alles in Ordnung. Wir müssen einfach aufhören, Dinge zu verbrennen, seien es fossile Brennstoffe, Abfallprodukte oder Biomasse.
Also keine gute Innenluft ohne gute Außenluft?
Hopfe: Es wird ja versucht, die Außenluftbelastung zu reduzieren sowie angemessene CO2- und VOC-Grenzwerte für Innenräume festzulegen. Leider sind wir im Raum Graz geografisch schlecht aufgestellt, auch wenn durch den Einsatz von Fernwärme einiges verbessert wurde. Als ich aus England nach Graz kam, dachte ich mir sofort, durch die Beckenlage hier wird viel verschmutzte Luft eingeschlossen, besonders an bewölkten windstillen Tagen mit Temperaturinversion. Vor allem Irland, Großbritannien und Skandinavien sind dort im Vorteil, da sie westlich der europäischen Hauptlandmasse am Meer liegen, dort der vorherrschende Wind weht und die Schadstoffbelastung durch die Nachbarländer gering ist. Auch das Heizen mit Holz- oder Biomassepellets ist problematisch. Die Feinstaubbelastung beim Heizen mit Holz ist höher als bei einem Dieselfahrzeug. Ich jogge gern im Grazer Norden, da riecht man die vielen Holzöfen in Betrieb deutlich. Wir sind uns manchmal der Skalierung der Probleme nicht bewusst und denken, wenn wir mit nachwachsenden Rohstoffen heizen, ist alles in Ordnung. Ganz allgemein müssen wir als Gesellschaft einfach aufhören, Dinge zu verbrennen, seien es fossile Brennstoffe, Abfallprodukte oder Biomasse.
Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „Schadstoffe in der Luft”. Sie möchten die aktuellen Stories, Forschungsgeschichten, Interviews oder Blogbeiträge der TU Graz direkt auf Ihr Smartphone oder in Ihren E-Mail-Eingang erhalten? Abonnieren Sie kostenfrei den TU Graz-Telegram-Newsletter.