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20 Jahre NAWI Graz – Teamwork als Erfolgsrezept

22.10.2024 |

Von Ines Hopfer-Pfister

Kooperation statt Konkurrenz: Seit zwanzig Jahren bündeln TU Graz und Uni Graz Know-how und Ressourcen in der naturwissenschaftlichen Forschung und Lehre im Verbund von NAWI Graz. Ein österreichweit einzigartiges Vorzeigeprojekt.

Die neu gewonnene Autonomie durch das UG 2002 machte es möglich: 2004 beschlossen TU Graz und die Uni Graz, gemeinsame Wege zu gehen und ihre naturwissenschaftlichen Disziplinen in Lehre, Forschung, Infrastruktur und Personalfragen aufeinander abzustimmen: NAWI Graz war geboren.

Gemeinsam ausbilden

Gemeinsame Studien bildeten die Erfolgsbasis: Wurden vor 20 Jahren noch an jeder Universität getrennte Studien in den Kooperationsfächern angeboten, werden mittlerweile 22 Studien in Biosciences, Chemistry, Earth, Space and Environmental Science, Mathematics und Physics in Union betrieben. Rund 5.300 Studierende nutzen dieses breite Spektrum. Verena Lipic ist eine von ihnen: „NAWI Graz bedeutet für mich, die besten Möglichkeiten von Lehre und Lehrenden beider Universitäten zu kombinieren“, beschreibt die 27-Jährige die universitätsübergreifende Kooperation. Ein Erfolgsgeheimnis liegt für sie in der Interdisziplinarität, die in Lehre und Forschung angeboten wird. Das spiegelt sich auch in Lipic’ persönlichem Werdegang wider: Lipic startete mit Physik, nach dem Bachelorstudium wechselte sie im Masterstudium zu den Materialwissenschaften. Derzeit arbeitet sie am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie und ist überzeugt: „NAWI Graz hat mir ermöglicht, bessere Eindrücke in die Arbeitsweisen und Arbeitsfelder der anderen Forschungsgebiete zu erlangen und Kooperationen im Haus abzuwickeln.“

Die gemeinsame Doktoratsausbildung im Rahmen der NAWI Graz Advanced School of Science (GASS) genießt einen hohen Stellenwert, derzeit werden über 600 Doktoratsstudierende ausgebildet. Die Doktorand*innen sind universitätsübergreifend in Doktoratsschulen (Doctoral Schools) eingebunden und profitieren so von den Ressourcen und von der Betreuung durch Lehrende und Forschende beider Universitäten. Gemeinsame Programme wie die DocDays – dabei handelt es sich um Mini-Konferenzen – bringen die Nachwuchsforschenden zusammen. „Die DocDays sind eine Art Socializing-Plattform, die den Austausch zwischen uns Studierenden aus verschiedensten Fachbereichen initiiert. So können weitere Kooperationen entstehen, aber auch neue Ideen für die eigene Forschung gesammelt werden“, erklärt Lipic, die gerade an ihrer Dissertation arbeitet.

Gemeinsam forschen

Gemeinsame Lehre spart auch Zeit. Diese Zeit kann wiederum in die Forschung investiert werden, wie Michael Kerber vom Institut für Geometrie unterstreicht. „Der gemeinsame Studiengang Mathematik, insbesondere die abwechselnde Abhaltung der großen Basisvorlesungen, reduziert die Lehrbelastung, was indirekt der Forschung zugutekommt.“ Rund 450 gemeinsame Projekte werden im Verbund NAWI Graz betrieben. Das gemeinsame Engagement schlägt sich auch in erfolgreichen Projekteinwerbungen nieder: Die an der Kooperation NAWI Graz beteiligten 36 Institute werben 34,6 Millionen Euro an Drittmitteln ein, das entspricht einem Plus von rund 120 Prozent seit 2006. Auch gemeinsame NAWI Graz-Berufungen sind Usus geworden. Aktuell sind 36 §98-Professor*innen in einem gemeinsamen Verfahren berufen worden.

Darüber hinaus konzentriert sich NAWI Graz auch auf große interuniversitäre Verbundprojekte wie Spezialforschungsbereiche und Doktoratskollegs (DK). Diese unterliegen strengen Bewertungskriterien mit hohem Qualitätsstandard, fassen disziplinübergreifend Forschungsgruppen beider Universitäten zusammen und bieten langfristige Perspektiven. Das DK Molekulare Enzymologie war ein derartiges erfolgreiches Verbundprojekt, das von 2005 bis 2019 mit einem Fördervolumen von 13,5 Millionen Euro betrieben wurde. Peter Macheroux vom Institut für Biochemie war maßgeblich an dem DK beteiligt. „NAWI Graz hat als Katalysator gewirkt“,  erinnert er sich an die Anfänge zurück, „durch diese Kooperation lernten wir Forschenden uns näher kennen, Gemeinsamkeiten haben sich herauskristallisiert, und so haben wir auch gemeinsam das DK beantragt.“ 25 Wissenschafter*innen beider Universitäten waren am DK involviert, der wissenschaftliche Output war enorm: Über 100 Doktoratsstudierende wurden erfolgreich ausgebildet, 408 Publikationen in renommierten Journals mit rund 24.000 Zitationen veröffentlicht.

Mit Oktober startet nun ganz aktuell das FWF doc.funds-Projekt „Discrete Mathemtics in Teams“, das12 Dissertant*innen ausbilden wird. Jeder*jede Doktorand*in wird dabei von zwei Forscher*innen gleichberechtigt (daher „in Teams“) betreut, 19 Betreuer*innen von TU Graz und Uni Graz sind involviert. „Durch den Zusammenschluss von Betreuer*innenpaaren können wir neue Forschungsrichtungen bearbeiten, die bislang in Graz nicht vorkommen“, so Michael Kerber (Institut für Geometrie). Die Forschungsprojekte sind fakultäts-, aber auch universitätsübergreifend. „Zwei unserer zwölf Projekte werden jeweils von Forschenden der TU Graz und der Uni Graz betreut, und spiegeln so den Erfolg von NAWI Graz wider“, betont der Mathematiker.

Gemeinsame Infrastruktur

Es liegt klar auf der Hand: Erfolgreiche Forschung kann nur dann betrieben werden, wenn auch die erforderlichen Geräte zur Verfügung stehen. NAWI Graz hat diesen Umstand erkannt und ab 2008 begonnen, kooperativ genutzte Forschungsinfrastruktur zu fördern. Aktuell wird in 28 Central Labs (Central Labs bündeln thematisch in einem Zusammenhang stehende Geräte an einem Ort) und Core Facilities (einzelne Großgeräte, die mehrere Forschungsgruppen benötigen) nach internationalen Maßstäben geforscht, rund 160 Geräte wurden angeschafft und partnerschaftlich genutzt. Eines der wohl ältesten gemeinsam genutzten Central Labs ist das Central Lab Water, Minerals und Rocks, das 2011 gestartet wurde. Dorothee Hippler vom Institut für Angewandte Geowissenschaften leitet das Central Lab, „ein wertvoller Ort des wissenschaftlichen Zusammenarbeitens, des Entwickelns und des Austausches“, so die Forscherin. „Durch das Central Lab können bisherige und aktuelle Forschungsvorhaben durch innovative und anspruchsvolle, aber auch ausgeklügelte Analysemethoden aus dem Bereich der Isotopen-Geochemie ergänzt werden. Central Labs bündeln somit erfolgreich für beide Universitäten eine hochentwickelte und kostenintensive Laborinfrastruktur,“ bekräftigt Dorothee Hippler.

Gemeinsamer Weg in die Zukunft

Der Verbund von NAWI Graz gilt als österreichweites Vorzeigeprojekt und zeigt, wie der Schulterschluss zwischen zwei Universitäten – trotz unterschiedlicher Organisationsstrukturen – funktionieren kann. Mit dem Bau des Graz Center of Physics (GCP) wurde die Kooperation nun auf ein neues Level gehoben: Im Juni 2024 erfolgte der Spatenstich dieses interuniversitären Zentrums, das ab 2030 die Physik-Institute von TU Graz und Uni Graz räumlich vereint. Das Graz Center of Physics gehört zu den größten Universitätsbauprojekten in Österreich.  

Neben dem GCP, das derzeit am Campus Uni Graz entsteht, werden in Zukunft auch vier weitere Institute von TU Graz und Uni Graz im NAWI Graz Geozentrum (geplant am Campus Inffeldgasse) noch enger miteinander kooperieren. In diesem Zentrum sollen Synergien aus Geologie und Geotechnik bestmöglich genutzt werden. Der Baustart dieses Bauprojekts wird allerdings nicht vor 2032 erfolgen. Die Vorteile liegen für Franz Tschuchnigg (Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik) allerdings jetzt schon klar auf der Hand: „Wir nutzen mit der räumlichen Zusammenlegung gemeinsame Ressourcen und verstärken den Wissensaustausch in den unterschiedlichen Disziplinen. Eine einzigartige Verbindung, die breitere Herangehensweisen an Forschungsthemen ermöglicht und viele neuartige Forschungsfelder eröffnen wird.“ Die (Erfolgs-)Geschichte von NAWI Graz geht also weiter. Fortsetzung folgt.

 

Interview: NAWI Graz - "davon provitieren wir alle"

Zwei Unis, ein Weg: Der Schulterschluss von TU Graz und Uni Graz vor zwei Jahrzehnten gilt als Best-Practice-Modell universitärer Zusammenarbeit. Die beiden Vorsitzenden des NAWI Graz Steering Committees Joachim Reidl und Andrea Höglinger geben Einblick in die Erfolgsstory NAWI Graz.

Was bedeutet für Sie NAWI Graz?

Andrea Höglinger: NAWI Graz ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie die Universitäten am Standort Graz im Interesse der Studierenden und der Forschung zusammenarbeiten. NAWI Graz ist bereichernd: für Studierende, für Lehrende und für universitätsübergreifende Zusammenarbeit auf Rektoratsebene.

Joachim Reidl: NAWI Graz ist eine sehr effiziente und enge Kooperation zweier Universitäten im Bereich der Naturwissenschaften, die in ihrer Verzahnung von Lehre, Infrastruktur und Forschung wohl einzigartig in Österreich ist.

Welche Vorteile bringt NAWI Graz den einzelnen Mitarbeitenden?

Joachim Reidl: Die Vorteile sind ein hohes Maß an Kooperation, die Möglichkeit der effizienten Nutzung von teurer Infrastruktur und ein vitaler Austausch an Forschungsinteressen.

Andrea Höglinger: Gemeinsam sind wir stärker und inhaltlich breiter aufgestellt, davon profitieren alle.

Was sind für Sie die Meilensteine/Highlights dieser Kooperation?

Joachim Reidl: Highlights sind sicher die hohe Ausbildungsqualität für unsere Studierenden (das Beste aus beiden Universitäten) und eine aus NAWI Graz entstandene und ab 2030 auch räumlich sichtbare Leuchtturm-Struktur in Form des Graz Center of Physics (GCP), in der die Physikinstitute beider Universitäten konzentriert an einem Ort forschen und lehren werden.

Andrea Höglinger: In dem knappen Jahr, in dem ich jetzt für NAWI Graz an der TU Graz zuständig bin, ist sicher auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Steering Committee erwähnenswert, einfach weil das keine Selbstverständlichkeit ist. Hier haben unsere Vorgänger*innen an beiden Unis viel dazu beigetragen. Ich bin froh, auf einer derart exzellenten Basis der Zusammenarbeit aufbauen zu können. Mein persönliches Highlight war die Eröffnung eines gemeinsamen „DocDays“ – es war einfach eine Freude, zu sehen, dass hier die Doktorand*innen beider Unis in einem Hörsaal zusammensitzen und sich über ihre Arbeiten austauschen.

Wo liegen die Herausforderungen einer interuniversitären Kooperation?

Joachim Reidl: Eindeutig bei der Zusammenführung der zum Teil unterschiedlichen Organisationsstruktur.

Andrea Höglinger: Dem stimme ich zu. Neben der unterschiedlichen Organisationsstruktur sind bei den Herausforderungen auch unterschiedliche technische Systeme und Kulturen an den Universitäten zu nennen.

Im Juni erfolgte der Spatenstich für das Graz Center of Physics. Wird es in Zukunft weitere räumliche und strategische Kooperationen geben?

Joachim Reidl: Basierend auf den Entwicklungen des GCPs, könnten weitere derartige Kooperationen verwirklicht werden. Ich denke dabei an das NAWI Graz Geozentrum im Bereich Geowissenschaften und Geotechnik.

Andrea Höglinger: Wenn wir von strategischen Kooperationen reden, sehe ich hier noch enormes Potenzial im Bereich der Forschungskooperation, aber sicher auch im Infrastrukturbereich. Aber das ist natürlich auch immer eine Frage des Budgets.

 

Information

Die Leitung von NAWI Graz wird vom achtköpfigen NAWI Graz Steering Committee wahrgenommen. Das Gremium besteht aus zwei Vizerektor*innen (Joachim Reidl von der Uni Graz und Andrea Höglinger von der TU Graz) und sechs Fachdekan*innen der beteiligten Fakultäten beider Universitäten.

Diesen Beitrag und weitere Artikel zum Schmökern finden Sie in TU Graz people #90, dem Magazin für TU Graz-Mitarbeitende und Interessierte.