Wulf Schubert vom Institut für Felsmechanik und Tunnelbau hat sein Büro im Erdgeschoss der Alten Technik. Auf seinem Tisch stehen zahlreiche Bleistifthalter aus Stein. „Alles Bohrkerne von den diversen Baustellen, an denen wir gearbeitet haben“, erklärt er lachend. „Dieser ist aus dem Koralmtunnel, wenn ich mich recht erinnere. Und den habe ich aus dem Semmering bekommen.“ Im Kasten hinter seinem Schreibtisch stehen noch viele Gesteinsproben mehr und zeugen von den zahlreichen Bergen, die Wulf Schubert bereits von innen gesehen hat. Seit 26 Jahren ist er Teil der TU Graz, baute 1992 das Institut für Felsmechanik und Tunnelbau von Grund neu auf: „Ich bin quasi direkt von der Baustelle weg auf den Lehrstuhl gesetzt worden. Da ist natürlich ganz viel Praxiserfahrung vorhanden und ich hatte große Lust, mich stärker mit dem theoretischen Hintergrund des Tunnelbaus zu beschäftigen.“ Mit 1. Oktober emeritiert Wulf Schubert von der TU Graz und wird künftig an Projekten arbeiten und ausgesuchte Lehrveranstaltungen betreuen.
Tunnelbau auf Österreichisch
Das Institut ist auf den alpinen Tunnelbau fokussiert – wegen der Alpen, die sich in unmittelbarer Nähe befinden. „Die Alpen sind zwar schön, aber von gebirgsmechanischer Seite her nicht von besonders großer Qualität. Diese Situation ist eine ganz besondere Herausforderung und es war abzusehen, dass wir in diesem Bereich viele Forschungsaufgaben haben werden.“ Und tatsächlich: In fast allen namhaften Tunnelprojekten Österreichs sind Forschende der TU Graz beteiligt. „Der Semmering-Basistunnel etwa begleitet mich seit ich 37 Jahre alt bin“, lacht Schubert, der schon seine Ausbildung an der TU Graz absolviert hat.
Wulf Schubert baute das Institut für Felsmechanik und Tunnelbau an der TU Graz auf.
Eine der derzeit gängigsten Tunnelbauweisen kommt aus Österreich – die Neue Österreichische Tunnelbauweise oder New Austrian Tunneling Method. Sie wurde vor mittlerweile fast 60 Jahren entwickelt und war ein wichtiger Schritt hin zu einer wirtschaftlichen und vor allem sicheren Methode, einen Tunnel zu bauen. Vor dieser Entwicklung wurde dem Druck des Gesteins von oben und von der Seite mit verschiedensten Stützkonstruktionen entgegengewirkt. Bei der NATM geht es darum, Tunnel so zu bauen, dass sich das Gestein weitgehend selbst tragen kann. Hauptelemente der Stützung und Gebirgsverbesserung sind Spritzbeton und Felsbolzen.
Wulf Schubert hat gemeinsam mit der Montanuni Leoben den berufsbegleitenden Universitätslehrgang NATM Engineering entwickelt und geleitet. „Bisher konnten wir rund 70 Personen aus 35 Ländern ausbilden“, erklärt der Forscher.
2019 startet der Universitätslehrgang in einer überarbeiteten Version. Er zielt darauf ab, den Studierenden neben vertieften Kenntnissen im NATM-Tunnelbau auch alle notwendigen Fähigkeiten für Tunnelbohrmaschinen (TBM) zu vermitteln. Weiterhin werden neue Themen im Bereich der Sanierung, Erhaltung von vorhandenen Tunnelbauwerken und Aspekte der Sicherheit und Risikoanalyse vermittelt.
Der Universitätslehrgang wird von TU Graz-Life Long Learning angeboten. Nähere Informationen zur Ausbildung finden Sie auf der Seite von Life Long Learning.
Auch heute kommen wichtige Entwicklungen im Tunnelbau aus Österreich – und viele davon wiederum von der TU Graz. Zum Beispiel Weiterentwicklungen an Stauchelementen, die wie Stoßdämpfer in die Auskleidung eingebaut werden und den verwendeten Spritzbeton vor zu hohen Belastungen schützen, oder die Weiterentwicklung von Methoden zur Messdatenauswertung und Interpretation. „Und wir beschäftigen uns intensiv mit der Verbesserung von Erkundungsmethoden, die die Basis eines jeden Tunnelprojekts darstellen“, sagt Schubert. Zu Beginn eines jeden Tunnelprojekts werden Erkundungsbohrungen gemacht, die den Planerinnen und Planern ein umfassendes Bild der vorliegenden geologischen Verhältnissen geben sollen. Auf deren Basis wird ein geologisches Modell erstellt, das während des Baues laufend adaptiert und vervollständigt wird. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen der TU Graz nutzt man die Photogrammetrie – also die Möglichkeit aus mindestens zwei Bildern ein 3D-Modell zu rekonstruieren – um ein wesentlich genaueres, computergeneriertes Bild der vorhandenen Gegebenheiten zu bekommen. „Aus diesem Projekt hat sich in weiterer Folge das Start-Up 3GSM entwickelt, das das System heute weltweit vertreibt“, ist Schubert stolz auf die Leistungen seines Teams.
Ein Bohrkern, wie er in den Labors des Instituts für Felsmechanik und Tunnelbau an der TU Graz untersucht wird.
Ein Nervensystem für Tunnelschalen
Wichtige zukünftige Entwicklungen im Structural Tunnelbau sieht Schubert vor allem im Health Monitoring von Tunnelbauten. In diesem Bereich arbeiten die Forscher vom Institut für Felsmechanik und Tunnelbau eng mit Werner Lienhart und seinem Team vom Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme zusammen, der sich gezielt mit der Überwachung von Tunnelkonstruktionen beschäftigt. „Bei modernen Tunnelbaumethoden ist zentral, dass sich das Gestein bewegen darf, aber die Deformationen wieder abklingen müssen, um die Tragfähigkeit weiterhin aufrecht zu erhalten“, erklärt Lienhart. „Diese Verformungen wirken sich aber auf die Stabilität der Betonschale eines Tunnels aus. Und das wollen wir flächendeckend überwachen können.“ Derzeit werden nur punktuell Messungen an der Oberfläche mit konventionellen Vermessungsgeräten ausgeführt, die aber wiederum beim Bau oder Betrieb im Weg sein können. Gemeinsam mit der Montanuni Leoben, Lehrstuhl für Subsurface Engineering, entwickelten Lienhart und sein Team mit Unterstützung der Forschungsabteilung der ÖBB Infrastruktur AG und der Fachabteilung Tunnelbau, eine neue Idee bis zur Patentreife: eine Art Nervensystem aus Sensorkabeln, das direkt in die Tunnelelemente eingebettet wird und eine lückenlose und nicht betriebsstörende Überwachung des Zustands der Bauten möglich macht. Die Messstation muss dann nicht mehr an Ort und Stelle aufgebaut werden, sondern kann an einem zentralen Punkt auch mehrere Kilometer weit entfernt liegen.
Das „Nervensystem“ aus faseroptischen Sensorkabeln wird direkt in das Tunnelbauteil eingebettet.
Gearbeitet wird mit Glasfaserkabeln, die in den Tübbingen verbaut werden. Tübbinge sind einzelne Betonfertigteile, aus denen die Tunnelschale wie ein Puzzle zusammengesetzt wird und die statt Spritzbeton verbaut werden können. Ein Messgerät schickt dann Lichtimpulse durch die Glasfaserkabel. Anders als bei der Telekommunikation ist man aber nicht an der Datenübertragung ans andere Ende interessiert, sondern an den Verlusten und Rückstreuungen, die Aufschluss über Temperatur und Dehnung am Messort geben. „Wenn wir einen Impuls hineinschicken, dann wissen wir durch die Charakteristik der Rückstreuung über den Zustand jedes Zentimeters Bescheid – das Nervensystem sagt uns quasi, wie es dem Tübbing an jedem Punkt gerade geht und welchen Einflüssen er ausgesetzt ist“, erklärt Lienhart. „So kann ich wirklich lückenlos messen.“ Das System wurde bereits am Tübbingprüfstand an der Montanuni erfolgreich getestet und in einem Tunnel eingebaut.
Am Tübbingprüfstand wird die Stabilität der einzelnen Tunnelbauteile überprüft.
2016 wurde der TU Graz und der Montanuni Leoben ein Patent für ihre Entwicklung erteilt. 2018 wurde das Team für den Staatspreis Patent nominiert und in einem Video vorgestellt.
Neuer Leiter und neuer Fokus am Institut für Felsmechanik und Tunnelbau
Wenn ab Oktober Wulf Schubert seine aktive Leitungstätigkeit am Institut zurücklegt, wird der erfahrene Ingenieurkonsulent Thomas Marcher die Geschicke des Instituts für Felsmechanik und Tunnelbau leiten. Wie sein Vorgänger, wurde er ebenfalls direkt aus der Praxis in die altehrwürdigen Hallen der Technischen Universität Graz berufen. Nach seiner Vorstellung wird die Zukunft des Instituts nicht ganz so tief liegen wie bisher. Er möchte zusätzlich zum alpinen Tunnelbau auf den sogenannten seichten Tunnelbau fokussieren, wie er auch in urbanen Gebieten immer mehr an Bedeutung gewinnt. „Platz wird ein immer rareres Gut – Städte wachsen seit Jahren vor allem in die Breite und in die Höhe. Langsam stoßen Städte dabei an ihre Grenzen und entdecken nun eine neue Richtung, um Patz zu schaffen: die Tiefe“, erklärt der Wahlgrazer. „Es geht dabei vor allem um Einrichtungen, die nicht unbedingt Sonnenlicht brauchen – wie zum Beispiel Indoor-Sporteinrichtungen, Lagerräumlichkeiten oder andere Infrastruktur.“
Tunnelbautechnisch sind hier die Herausforderungen ganz anders gelagert als bei Tunnelbauten in extremer Tiefe. Es sind nicht die hohen Spannungen, die auf das Gebirge wirken, sondern vor allem die besonderen mechanischen Eigenschaften des weniger festen Untergrundes in seichter Lage. Neben Lockermaterial spielen hier vor allem auch sogenannte Übergangsgesteine eine wesentliche Rolle. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht mehr als klassisches Bodenmaterial beschrieben werden können, jedoch auch die üblichen Felsklassifizierungen nicht mehr greifen. Am Institut will man zur Untersuchung dieser speziellen Materialien ein spezielles Laborversuchsgerät entwickeln. Darüber hinaus will man modelltechnisch neue oder weiterentwickelte Materialgesetze für dieses Materialverhalten entwickeln.
Wulf Schubert und Thomas Marcher im Labor des Instituts für Felsmechanik und Tunnelbau.
Digitalisierung im Tunnelbau
Noch ein anderes Zukunftsthema möchte Thomas Marcher intensiv am Institut beforschen: Wie sich BIM (Building Information Modelling) und KI (Künstliche Intelligenz) im Tunnelbau optimal einsetzen lassen und welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergeben. „Künstliche Intelligenz ließe sich zum Beispiel für eine Verbesserung der derzeitigen Erkundungsprognosen einsetzen, um die geologische Situation objektiver interpretieren und die Pläne laufend adaptieren zu können“, meint Thomas Marcher. „Das Ziel dabei ist es, laufend adaptierte und damit immer genauere Prognosen zu bekommen, um Risiken zu minimieren und die Wirtschaftlichkeit immer weiter zu erhöhen.“
Thomas Marcher leitet zukünftig das Institut für Felsmechanik und Tunnelbau.
Die Zukunft in Berg und Boden
Dem Tunnelbau als Forschungsgebiet sagen alle drei Forschenden eine große Zukunft voraus: „Vor allem die Infrastruktur für Transport von Waren und Personen erlebt gerade sowohl im urbanen Raum als auch auf weiten Distanzen eine unglaubliche Renaissance. Im Vergleich zu Kurzstreckenflügen ist die Eisenbahn wesentlich komfortabler und zuverlässiger“, begründet Wulf Schubert diese Einschätzung. „Dafür müssen die Hochgeschwindigkeitsstrecken quer durch Europa wesentlich ausgebaut werden. Und dafür braucht man Tunnel, um die Streckenführung so gerade und eben wie möglich gestalten zu können.“
Dieses Forschungsgebiet ist im FoE „Mobility & Production“ verankert, einem der fünf Stärkefelder der TU Graz.
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