Jährlich sterben EU-weit 26.000 Menschen im Straßenverkehr, und jeder zweite Verkehrstote ist ein sogenannter “Vulnerable Road User (VRU)“ – also Personen, die zu Fuß, per Rad oder Motorrad unterwegs sind. „Im Bereich des VRU-Schutzes werden die Vorschriften daher immer strenger. Zum Beispiel ist der Fußgängerschutz bereits fester Bestandteil der Bewertung von Euro NCAP, einer Verbraucherschutz-Organisation, die Crashtests durchführt und die Sicherheit von Fahrzeugen bewertet“, erklärt Corina Klug. Die 29-jährige Dissertantin am Institut für Fahrzeugsicherheit der TU Graz hat sich ganz der Unfallforschung in diesem Bereich verschrieben. Und zwar genauer den sogenannten Menschmodellen, also hochkomplexen Finite-Elemente-Simulationsmodellen, die die biomechanischen Eigenschaften des Menschen bei hohen dynamischen Belastungen modellieren. „Mithilfe der Simulationen können wir die Belastungen der einzelnen Körperpartien bei diversen Aufprallsituationen am Fahrzeug berechnen. Das erlaubt uns in weiterer Folge eine Risikoabschätzung, ob ein Mensch in einem bestimmten Unfallszenario verletzt wird“, so Corina Klug.
Simulationen für die Sicherheit
Zwar sind die Crashtest-Dummies, die zur Überprüfung der passiven Sicherheit von Fahrzeugen in den aktuellen gesetzlichen Regelungen eingesetzt werden, im Laufe der Jahrzehnte immer ausgereifter geworden. Doch reale Crashtests sind sehr kostspielig und aufwendig, und können die unterschiedlichsten Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer nur eingeschränkt abbilden. „Man geht bei der Entwicklung von Crashtest-Dummies von ‚Norm-Menschen‘ aus. Der meistverwendete Dummy entspricht mit einem Gewicht von 78 Kilogramm und einer Größe von 1,75 Metern den Durchschnittsmaßen eines Mannes, deckt also viele Teile der Bevölkerung gar nicht ab. Die Computersimulationen werden immer relevanter, weil sich damit für jede Größe und jede Altersgruppe Untersuchungen in unterschiedlichsten Szenarien durchführen lassen“, erklärt Corina Klug. Außerdem können die Forschenden mithilfe von Menschmodellen Verletzungen direkt ablesen.
Derzeit tüftelt die Dissertantin am Institut für Fahrzeugsicherheit der TU Graz mit ihren Kollegen an geeigneten Methoden, damit unabhängige Organisationen wie Euro NCAP die Fußgängersicherheit in Zukunft auch mit numerischen Modellen bewerten können. „Bei der Bewertung von aktiven Motorhauben kommen zum ersten Mal Simulationen mit Menschmodellen für Sicherheitsbewertungen zum Tragen – ein echter Meilenstein“, so Corina Klug. Aktive Motorhauben heben sich bei einem Aufprall an, bilden so eine zusätzliche „Knautschzone“ zwischen Mensch und Auto und reduzieren damit das Verletzungsrisiko für Fußgängerinnen und Fußgänger.
Im Rahmen des von Euro NCAP geförderten Projekts „CoHerent“ entwickelt Corina Klug mit ihren Kollegen an der TU Graz eine Methode, die die Ergebnisse unterschiedlicher Menschmodelle in unterschiedlichen Codes vergleichbar macht.
Was Agar-Agar mit Crashtests zu tun hat…
Für das Thema Feuer gefangen hat die studierte Maschinenbauerin während ihrer Diplomarbeit: „Die Medizin hat mich immer interessiert, und als am Institut für Fahrzeugsicherheit das Diplomarbeitsthema ‚Modellierung des Cerebrospinal-Fluids‘ ausgeschrieben war, habe ich mich gleich gemeldet“, erzählt sie. Das Fluid zwischen Schädel und Gehirn schützt letzteres bei einem Aufprall. „Ziel war es, ein numerisches Modell mithilfe von Versuchen zu validieren. Eine Aufgabe bestand darin, ein geeignetes Material zu finden, das den mechanischen Eigenschaften des Gehirns am nächsten kommt.“ Ihr Ergebnis: Agar-Agar. In heißem Wasser aufgelöst bildet das pflanzliche Pulver ein Gel, das tierischer Gelatine sehr ähnlich ist und gerne als Geliermittel eingesetzt wird.
Clevere Tests für Kinderfahrradhelme
Im Rahmen des darauffolgenden Projekts „Cleverer Helm“ ging es darum, Fahrradhelme für Kinder realistischer zu testen. Verbraucherschutzorganisationen führen regelmäßig solche Tests durch, bei denen man einen mit Fahrradhelm bekleideten Prüfkopf senkrecht auf den Boden prallen lässt. Doch – um nur einen Aspekt herauszugreifen – in der Realität prallt der Kopf bei einem Unfall meist schräg auf dem Boden auf, und das Kind rollt über den Kopf ab. Aus den Ergebnissen der Studie leiteten Corina Klug und ihre Kollegen Empfehlungen für zukünftige Tests ab, die auch von internationalen Forschungsgruppen untermauert wurden.
Auf der sicheren Seite – auch in der Freizeit
Wie schlägt sich ihre Forscherleidenschaft nun im Leben abseits von Simulationen und Crashtests nieder? „Ich trage beim Radfahren einen zuverlässigen Helm. Und da ich als passionierte Südostasien-Reisende oft in Ländern unterwegs bin, in denen es um die Sicherheitsstandards im Straßenverkehr nicht so bestellt ist wie in Europa, stechen mir die Sicherheitsmängel natürlich besonders ins Auge.“
Dieses Forschungsgebiet ist an der TU Graz im Field of Expertise "Mobility & Production" verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern.