Massenbewegungen wie Erdrutsche und Hangmuren verursachen jedes Jahr auf der ganzen Welt wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Für die Beseitigung von Katastrophenschäden in Österreich werden aus dem Katastrophenfonds jährlich zwischen 20 und 80 Mio Euro aufgewendet, 15 bis 50 Prozent davon gehen auf das Konto von Muren und Hangrutschungen. Nun identifizierte ein Geologenteam der TU Graz in Zusammenarbeit mit der burgenländischen Landesstraßenverwaltung erstmalig die chemischen Einflussfaktoren und Auslöser für wiederkehrende Massenbewegungen in feinkörnigen Sedimenten. Aus den im Fachjournal „Science of the Total Environment“ publizierten Ergebnissen lassen sich Präventivmaßnahmen und Strategien zur Vorsorge gegen solche Ereignisse ableiten.
Begünstigende Faktoren für Massenbewegungen
Basis für die Untersuchungen ist ein gut dokumentierter Erdrutsch im südlichen Burgenland, der die örtliche Landesstraßenverwaltung seit nunmehr vier Jahrzehnten beschäftigt. Durch die Analyse von Geländedaten, Bodenproben, Drainagewässern und Labortests konnte gezeigt werden, dass die Sensibilität des Untergrundes gegenüber äußeren Einflüssen durch natürliche (geogene) chemische Verwitterungsprozesse begünstigt wird, die über lange Zeiträume der Erdgeschichte stattfinden und die Beschaffenheit des Untergrunds definieren bzw. schwächen. Zum anderen spielen auch menschgemachte (anthropogene) chemische Einflussfaktoren eine zentrale Rolle, wie landwirtschaftliche Aktivitäten, versickernde Straßenabwässer oder der Winterdienst. „Im Untersuchungsgebiet dominieren feinkörnige Sedimentablagerungen, wie sie in den Beckengebieten im Osten Österreichs weit verbreitet sind“, weiß Volker Reinprecht, Ko-Autor der Studie und Geologe am Amt der Burgenländischen Landesregierung. „Starkregenereignisse und Tauperioden, sowie kontinuierliche Erschütterungen durch den Straßenverkehr sorgten in der Vergangenheit dafür, dass der Boden im wahrsten Sinne des Wortes ‚wegschwamm‘ und die betroffene Straße regelmäßig saniert werden musste.“
Fokus auf Bodenentwässerung und das Gesamtsystem
Eine entscheidende Verbesserung der Situation wurde durch die Adaptierung des Entwässerungssystems erreicht: Die bisherige Entwässerung mittels Querrippen, bei der Regen- und Sickerwasser im Kontaktbereich mit der Gleitfläche gefasst wird, wurde durch eine Längsentwässerungsanlage ersetzt, sodass das Wasser innerhalb weniger Tage aus dem Untergrund abgeführt und sowohl Rückstau als auch chemische Interaktionsprozesse verhindert werden. „Eine schnelle Ableitung des Wassers verringert die Durchfeuchtung des Untergrunds, reduziert die Ausbildung von Schwächezonen (Gleithorizonte) und erhöht somit die Stabilität des Bodens bzw. des Gesamtsystems“, erklärt Andre Baldermann vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Graz und Leiter der Studie. Der Geowissenschafter sieht in dem neuen Entwässerungssystem schon eine erste Maßnahme, um Massenbewegungen vorzubeugen. „Wir konnten nachweisen, dass eine Stauwasserbildung im Untergrund die Gleitzonen über chemische Prozesse aktivieren kann. Das wird mit der Längsdrainage und der dadurch schnelleren Entwässerung verhindert.“ Baldermann empfiehlt, bei zukünftigen Bauvorhaben in durch Erdfällen, Hangrutschungen oder ähnlichen Ereignissen gefährdeten Zonen bereits in der Planungsphase mögliche Wechselwirkungen zwischen Entwässerungssystem und Untergrund stärker zu berücksichtigen.“
Weitere ähnliche Studien in Arbeit
Derzeit arbeiten Andre Baldermann und Volker Reinprecht daran, das Untersuchungsdesign (siehe Zusatzinfo „eingesetzte Untersuchungsmethoden“) auf andere betroffene Regionen mit ähnlichen geologischen Voraussetzungen auszuweiten. Eine Betrachtung des Gesamtsystems sei wichtig, erläutert Baldermann, denn: „Der Aufbau des Untergrunds sowie andere regional-spezifische Faktoren haben einen großen Einfluss auf die Art, Intensität und Periodizität von Massenbewegungen. Die Ergebnisse und Praxisempfehlungen aus dem Referenzprojekt sind daher nicht eins zu eins auf andere betroffene Regionen übertragbar. Sie sind aber ein erstes Beispiel dafür, wie man sich zukünftig solchen Problemen annähern kann.“
Diese Forschung ist im Field of Expertise „Advanced Materials Science“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz. Die Arbeiten wurden unterstützt durch das NAWI Graz Geozentrum.
Eingesetzte Untersuchungsmethoden:
- Erstellung eines digitalen Geländemodells zur Dimensionierung des Einflussbereiches der Massenbewegung
- Geländebegehungen mit regelmäßiger Probennahme und Kernbohrungen in den betroffenen Bereichen
- Charakterisierung des Untergrundes mithilfe der Röntgendiffraktometrie, der Elektronenmikroskopie und anhand (hydro)geochemischer Methoden
- Ionenaustauschexperimente zum Nachweis von Stabilisierungs- bzw. Destabilisierungsphasen des Bodens