Revolutionierte die Entwicklung des Röntgengerätes einst die Medizin, so markiert die Erfindung der Kratky-Kamera für Röntgenkleinwinkelstreuung SAXS vor 60 Jahren einen Meilenstein in den Materialwissenschaften. SAXS steht für Small Angle X-Ray Scattering und beschreibt ein spezielles Verfahren zur Strukturanalyse, bei dem Röntgenstrahlen als Strahlungsquelle für die Untersuchung unbekannter Materialien mit Strukturen im Nanometerbereich eingesetzt werden.
Erfunden wurde die Kratky-Kamera an der Uni Graz vom Physikochemiker Otto Kratky. In Zusammenarbeit mit dem Grazer Messtechnikspezialisten Anton Paar trat die Kamera und damit die SAXS Methode vor 60 Jahren ihren weltweiten Siegeszug an. Ungebrochen ist das Interesse an der SAXS Methode auch in der Scientific Community: Zum International SAXS Symposium 2017 treffen sich 140 Vertreter/innen aus Forschung und Industrie vom 26. bis 27. September an der TU Graz.
Entwicklung neuer Wirkstoffe dank SAXS
Lange nur als reine wissenschaftliche Grundlagenmethode angesehen, ist SAXS heute eine etablierte Methode in der modernen Analytik und angewandten Forschung im industriellen Umfeld. Im Bereich der biomedizinischen Forschung hilft die Methode Stabilität und Wirkungsweise von Biomolekülen wie etwa Proteinen, Enzymen und Antikörpern zu verstehen und ermöglicht so die Entwicklung neuer pharmazeutischer Wirkstoffe und Medikamente. Der steirische Analysegerätehersteller Anton Paar entwickelt die SAXS-Methode gemeinsam mit Wissenschaft und Industrie ständig weiter. Petra Kotnik, Bereichsleiterin Materialcharakterisierung bei Anton Paar erläutert: „Ein zukünftiges Einsatzgebiet der SAXS-Methode ist zum Beispiel die Analyse von Nanopartikeln in Umweltproben. Durch die Verwendung in Kosmetika, Waschmitteln, Solarzellen und anderen Produkten des täglichen Lebens gelangen Nanopartikel in unsere Umwelt. Die SAXS-Methode erlaubt Rückschlüsse auf die Verbreitung der Nanopartikel und deren Toxizität.“
CentralLab an der TU Graz
Auf dem Gebiet der Röntgenkleinwinkelstreuung bestehen traditionell enge Beziehungen zwischen NAWI Graz, der naturwissenschaftlichen interuniversitären Kooperation von Uni Graz und TU Graz, und Anton Paar. Bisher beschränkte sich die Zusammenarbeit im Spezialgebiet „Smart Materials“ auf einzelne Projekte. Das soll sich ändern: Gefördert mit Hochschulraum-Strukturmitteln entsteht nun am Campus der TU Graz ein CentralLab zur Synthese und Charakterisierung von „Soft Materials“. Frank Uhlig von der TU Graz und Martin Mittelbach von der Uni Graz, beide Mitglieder des NAWI Graz Steering Committees, berichten über die neue Forschungskooperation: „Das CentralLab statten wir gemeinsam mit Anton Paar aus. Materialforscherinnen und -forscher von NAWI Graz finden hier eine Forschungsinfrastruktur vor, die bestehende Einrichtungen optimal ergänzt.“ Zusätzlich steht Forscherinnen und Forschern die österreichische SAXS-Beamline der TU Graz am Elettra Synchrotrone in Triest für detailliertere Untersuchungen zur Verfügung.
Steirische Erfindung von Weltruf
Der Physikochemiker Otto Kratky, von 1946 bis 1972 Professor an der Universität Graz, gilt als Pionier der Röntgenkleinwinkelstreuung und machte Graz zum international anerkannten Zentrum auf diesem Gebiet. Kratky erfand und entwickelte die erste kompakte Kleinwinkel-Röntgenkamera, die Kratky-Kamera. Als Ulrich Santner, Gründer und Senior CEO des Grazer Messtechnikspezialisten Anton Paar, vor genau 60 Jahren Produktion und Vertrieb der Kratky-Kamera übernahm, begann der weltweite Siegeszug dieser Analysemethode. Heute steckt diese steirische Technologie in hochinnovativen, vollautomatischen und kompakten Labor-Röntgeninstrumenten. 2017 wurde mit SAXSpoint 2.0 die jüngste Generation des Analysegerätes von der Firma Anton Paar auf den Markt gebracht.