Die Elektronenmikroskopie ist dabei ein essenzieller Grundpfeiler für den Erkenntnisgewinn und ermöglicht die umfassende Charakterisierung mit höchster Ortsauflösung in drei Dimensionen.
Atomare Defekte in halbleitenden und photonischen Materialien bestimmen deren optische und elektronische Eigenschaften, die gezielte Platzierung von Dotierstoffen entscheidet über die Leistung und Funktion von Transistoren oder spintronischen Bauteilen und Grenzflächenorientierungen sowie die Chemie metallischer Nanocluster definieren unter anderem deren katalytische Wirksamkeit. Der von Richard Feyman 1959 postulierten (Heraus-) Forderung, ein besseres Mikroskop zu bauen, mit dem man Atome identifizieren und deren Anordnung bestimmen kann, konnte erst in den letzten Jahren mit sogenannten aberrationskorrigierten Elektronenmikroskopen entsprochen werden. Dabei handelt es sich um extrem aufwendig konstruierte Geräte mit Linsensystemen, die Objektstrukturen kleiner als 100 Picometer auflösen können. Seit 2011 steht am Zentrum für Elektronenmikroskopie Graz (ZFE) weltweit eines der leistungsfähigsten Mikroskope (ASTEM, Austrian Scanning TransmissioElectron Microscope) dieser Art für die Materialforschung zur Verfügung, das gemeinsam mit dem TU Graz-Institut für Elektronenmikroskopie und Nanoanalytik (FELMI) betrieben wird.
Elementspezifische Analytik – atomar aufgelöst
Mit geeigneten Detektionssystemen wie Röntgenund Energieverlustspektrometern können auch analytische Informationen bereitgestellt werden. Die effiziente software- und hardwareseitige Implementierung dieser Techniken am ASTEM wurde in enger Kooperation mit der amerikanischen Firma Gatan über mehrere Jahre hinweg realisiert und trägt stark die Handschrift der Arbeitsgruppe. So konnten erstmals Elementquantifizierungen mit atomarer Auflösung an einem Kristallgitter durchgeführt werden. In einer Forschungsarbeit, erschienen in „Physical Review Letters“, zeigte sich, dass die hierbei registrierten Intensitäten ausschließlich mit begleitenden Simulationsrechnungen verstanden werden können – ein Umstand, dem durch intensive Kontakte und Kooperationen mit Theoriegruppen in Melbourne (Australien) und Tokio (Japan) Rechnung getragen wird.
Modell, Rekonstruktion und Simulationder Atompositionen im Nano-Cluster. Oben: Modell eines modifizierten Ikosaeders, von oben und entlang zweier fünfzähliger Symmetrieachsen betrachtet. Mitte: Rekonstruktion der Atompositionen entlang dieser Richtungen. Unten: Molekulardynamik-Simulationen. Fünzählige Symmetriezentren als Punkte markiert.
Die dritte Dimension – Elektronentomographie
Dreidimensionale Untersuchungstechniken in der Medizin eröffnen Einblicke in den menschlichen Körper, die konventionelle Verfahren wie die klassische Röntgenuntersuchung aufgrund ihres projektiven Charakters nicht geben können. Ähnlich verhält es sich mit durchstrahlbaren TEM (Transmissionselektronenmikroskop)-Proben, bei denen Detailstrukturen, aus nur einem Betrachtungswinkel aufgenommen, verborgen bleiben. Der Wiener Johann Radon legte vor ziemlich genau 100 Jahren die Grundlagen zur Tomographie, indem er zeigte, dass mit einer genügenden Anzahl von Projektionen und der inversen Radon-Transformation Objekte dreidimensional rekonstruiert werden können.
Die experimentell sehr aufwendige Elektronentomographie hat erst in den letzten 15 Jahren Einzug in die Untersuchung von Materialsystemen gehalten. Seit 2009 ist die Arbeitsgruppe auf diesem hochaktuellen Forschungsgebiet tätig. Neben der Entwicklung experimenteller Methoden befasst sie sich auch mit dem komplexen Gebiet der signalabhängigen Rekonstruktionsoptimierung und der Verschränkung von 3D-Daten mit theoretischen Konzepten, die die Aussagekraft darin enthaltener physikalischer Informationen steigern können. Zwei Beispiele aus Kooperationen mit dem Institut für Experimentalphysik der TU Graz und dem Institut für Physik der Karl-Franzens-Universität Graz seien genannt.
Metallische Nanocluster
Die im Magazin „Nature Communications“ veröffentlichte Studie behandelt die gezielte Herstellung und Untersuchung von metallischen Nanoclustern aus suprafluidem Helium. Um die Frage des Wachstums, der Morphologie und der Zusammensetzung der Strukturen zu beantworten, wurden von Georg Haberfehlner Aufnahmetechniken erarbeitet, die minimales Bildrauschen und geringste Bildverzerrung garantieren. Durch Einsatz verschiedener Rekonstruktionsalgorithmen konnten dann sowohl die Atompositionen als auch die Spezies der erhaltenen Kern-Schalen-Struktur in 3D sichtbar gemacht werden, woraus wiederum Schlüsse auf deren Eigenschaften und mögliche Anwendungen gezogen werden konnten.
Dreidimensionale Rekonstruktion und Simulationsrechnungen der Feldverteilung von Oberflächenplasmonen in gekoppelten Silber-Nanocuboiden.
Plasmonik
Eine weitere Einsatzmöglichkeit für die Elektronentomographie liegt im Forschungsgebiet der Plasmonik. Hier wird Licht an nanometergroße Strukturen (Gold, Silber…) gekoppelt. Abhängig von Größe, Form, Umgebung und Material bilden sich resonant schwingende Elektronenwolken aus, sogenannte Oberflächenplasmonen. Bereits im Mittelalter wurde dieser Effekt unbewusst zur Färbung von Kirchenfenstern eingesetzt, indem man nanometergroße Goldpartikel ins Glas einschmolz. Ein TEM bietet genug Auflösung, um Bilder der Feldverteilung dieser Schwingungen aufzunehmen. Elektronen in der Umgebung der Probe erfahren Energieverluste, die spektroskopisch gemessen werden können. Aus Kippserien kann dann die räumliche und energetische Verteilung von Oberflächenplasmonen rekonstruiert und in Relation zu theoretischen Berechnungen gesetzt werden (publiziert im Magazin „Nano Letters“).
Physikalisch-chemische Materialforschung
Die analytische Elektronenmikroskopie findet ein weites Anwendungsgebiet in der physikalischchemischen Materialforschung. Der Vielzahl an Methoden steht ein beträchtlicher apparativer Aufwand gegenüber, der großes Expert/innenwissen, intensiven Austausch mit anderen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern sowie eine enge internationale Vernetzung erfordert. Das FELMI-ZFE ist daher in ein europaweites Netzwerkprojekt namens ESTEEM eingebettet, das die Forschungskompetenz der 14 führenden Elektronenmikroskopischen Labore in Europa zusammenführt.