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Innenarchitektur im Nanomaßstab

22.06.2018 | Planet research | FoE Advanced Materials Science

Von Doris Griesser

So winzig mikroporöse Kristalle sind, so enorm ist ihr Potenzial. Um dieses zu erkunden und auszuschöpfen, wurde an der TU Graz das interdisziplinäre Leadprojekt „Porous Materials@Work“ ins Leben gerufen.

Das Leitungsteam des Leadprojekts: Christian Slugovc, Paolo Falcaro und Egbert Zojer. © Lunghammer - TU Graz

Wir leben in und mit Hohlräumen. Sind doch Zimmer nichts anderes als die Hohlräume von Gebäuden. Und auch diese selbst bestehen aus Materialien voller Hohlräume. Poröses Material umgibt uns praktisch immer und überall – in der Natur genauso wie in der Technik. Selbst die Karosserie unserer Autos wird immer poröser, um Gewicht und damit Treibstoff zu sparen. Hohlräume sind unglaublich wirkmächtig, denn sie prägen und verändern den Charakter von Stoffen. Macht man ein Material wie Glas durch Einbringen von Luft porös, kann dieses zum Waschmittel mutieren und den Schmutz in seinen Hohlräumen fangen. „In Hinblick auf die chemische Zusammensetzung ändert sich durch die Schaffung von Hohlräumen zwar nichts, durch die veränderte Architektur des Materials verwandeln sich jedoch die Eigenschaften und damit auch die Einsatzbereiche“, erklärt Christian Slugovc vom Institut für Chemische Technologie von Materialien die enorme Bedeutung von Hohlräumen. Manche Anwendungen funktionieren überhaupt nur über die Porosität eines Stoffes. Wie etwa der Auto-Katalysator, der aus einem mit Katalysatorstoffen befüllten hochporösen Keramikkörper besteht.

ein Reagenzglas mit roter FLüssigkeit und roten Kristallen

Wenn Kristalle bereits im Reaktionsgefäß kristallisieren, bricht meist Freude im Labor aus.

Winzige Poren, riesige Speicher

An der TU Graz beschäftigt sich ein multidisziplinäres Konsortium von 14 Forscherinnen und Forschern aus den Bereichen Materialwissenschaften, Chemie, Physik, Elektrotechnik und Biotechnologie mit einer speziellen Form der Porosität, nämlich mit Poren im Nanomaßstab. Eine wichtige Rolle spielen dabei mikroporöse Kristalle, in denen Metallionen durch organische Brücken verbunden sind – man spricht hier von sogenannten Metal-organic frameworks (MOFs). Diese verfügen wegen ihrer hohen Porosität über extrem große „innere Oberflächen“ und bergen deshalb beachtliche Potenziale in sich. So besitzen ein paar Kubikzentimeter dieser metallorganischen Gerüste in etwa die Oberfläche eines Fußballfeldes. In den unzähligen winzigen Poren kann sich alles Mögliche einnisten – Schadstoffe ebenso wie Medikamente.

ein Glasbehälter mit gelben Kristallen

Kristalle von GUT-2. Die Namensgebung von Metal-organic frameworks basiert meist auf dem Akronym der Institution, an der diese erstmals hergestellt worden sind (Graz University of Technology eignet sich da ja besonders) und einer fortlaufenden Nummer.

Im mit 1,5 Millionen Euro geförderten fachübergreifenden Großprojekt wollen sich die Forscherinnen und Forscher aber nicht nur auf MOFs konzentrieren, sondern beispielsweise auch nanoporöse Metalle oder das Porennetzwerk von Papier untersuchen. „Uns geht es vor allem darum, die Eigenschaften der Poren gezielt zu gestalten – also ihre Größe, ihre Verteilung oder ihr Verhältnis zum dichten Material“, betont Paolo Falcaro, der gemeinsam mit Christian Slugovc und Egbert Zojer vom Institut für Festkörperphysik das Projekt leitet. „Denn die Eigenschaften der Porosität beeinflussen die Qualität eines Materials ganz entscheidend.“ Kann man also das Wachstum von MOFs kontrollieren, lassen sich Materialien für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche „designen“. „Ein und dasselbe Material kann durch eine unterschiedliche Anordnung und Ausrichtung der Kristalle ganz verschiedene Eigenschaften bekommen“, so der Professor für Bio-based Materials Technology an der TU Graz.

eine bunte Struktur mit blauen und gelben Bällen, pinken und weißen Strukturen

Darstellung des molekularen Aufbaus von GUT-2.

Gebündelte TU Graz-Expertise

Seit Jahren beschäftigt sich eine Reihe von Forscherinnen und Forschern an der TU Graz mit verschiedenen Aspekten von porösen Materialien, weil diese in vielen Bereichen für unterschiedlichste Anwendungen gebraucht werden. Diese verstreute Expertise soll im Leadprojekt nun gebündelt werden. Mit Paolo Falcaro, der seit zwei Jahren an der Fakultät für Technische Chemie, Verfahrenstechnik und Biotechnologie forscht und lehrt, konnte zudem ein international anerkannter Experte und wissenschaftlicher Vorreiter im Bereich der porösen Materialien an die TU Graz geholt werden. Für seine Forschung an mikroporösen Materialien erhielt er kürzlich einen mit rund zwei Millionen Euro dotierten Consolidator Grant des European Research Council (ERC).

Bislang gibt es in Österreich neben der TU Graz keine einzige Einrichtung, die explizit an porösen Materialien forscht. Insgesamt existieren weltweit nur wenige Zentren, die sich dieser für so viele Bereiche wichtigen Querschnittsmaterie widmen. Ambitioniertes Ziel der Grazer Projektgruppe: „Wir wollen mittelfristig eines der drei besten Forschungszentren für poröse Materialien werden“, erklärt Paolo Falcaro selbstbewusst. Immerhin müsse man an der TU Graz nicht erst bei null beginnen. Vielmehr gehe es darum, das vorhandene Know-how zusammenzubringen und durch die Verknüpfung unterschiedlicher Sichtweisen zu neuen Erkenntnissen und einem umfassenden Verständnis von porösen Materialien zu gelangen. „Interdisziplinarität ist ein zentraler Schlüssel zum Erfolg“, so Falcaro. „Deshalb arbeiten an diesem Projekt jetzt schon Forschende aus vier Fakultäten mit.“ Die Grazer Expertise im Feld der porösen Materialien geht aber weit über die hier zusammengefassten Arbeitsgruppen hinaus: „Unser erklärtes Ziel ist deshalb, weitere Wissenschafterinnen und Wissenschafter ins Boot zu holen und so den Grundstein für eine nachhaltige Entwicklung zu legen“, betont
der Festkörperphysiker Egbert Zojer. „Neue Grundlagenerkenntnisse werden es uns letztlich erlauben, poröse Materialien so weit zu optimieren, dass verbesserte und völlig neue Anwendungen möglich werden“, ist der Wissenschafter überzeugt. „An der TU Graz sind wir jedenfalls bestens gerüstet, in dieses unerforschte Terrain vorzudringen.“

Durch die Verbindung von Grundlagenforschung und Anwendungswissen sollen poröse Materialien für völlig neue Einsatzbereiche etwa in der Sensorik, der Mikroelektronik, der Energiespeicherung oder der Medikamentenproduktion entstehen.

Gut geschützte Medikamente

Die konsequente Verbindung von Grundlagenforschung und Anwendungswissen wird unter anderem im Bereich der nachhaltigen Energietechnik für Innovationen sorgen, beispielsweise bei der Herstellung von Photovoltaikanlagen oder bei der Energiespeicherung. Auch in der Medizin bzw. Medizintechnik oder der Pharmazie dürfte sich durch die Grazer Forschungsaktivitäten künftig einiges bewegen. So müssen heute etwa viele Medikamente bei tiefen Temperaturen gelagert werden, was zum einen hohe Lagerkosten verursacht, zum anderen den Transport sehr kompliziert macht. Hat man aber ein entsprechend behandeltes poröses „Verpackungsmaterial“ zur Verfügung, lassen sich diese Probleme vermeiden. „Wir versuchen, Enzyme, Proteine oder auch DNA in den Poren der MOFs einzukapseln und sie so gegen Temperaturschwankungen zu immunisieren“, erklärt Paolo Falcaro. „Die kristalline Struktur rund um den „Gast“ in der Pore schützt diesen sozusagen wie ein robuster Mantel.“

Strenge Ordnung

Während in der Natur die innere Architektur poröser Materialien meist etwas chaotisch ausfällt, bemüht man sich in der Forschung um rigide Ordnung in Hinblick auf Größe, Ausrichtung und Anordnung der Poren. „In der Praxis bringt die Porosität mitunter gar nichts, wenn die Poren sehr ungeordnet sind“, begründet Christian Slugovc das ausgeprägte Ordnungsstreben der Wissenschafterinnen und Wissenschafter. „Am besten erfüllen die Poren ihre Aufgaben, wenn sie wie Soldat/innen ausgerichtet sind.“ Wie geordnet oder ungeordnet sie sich entwickeln, lasse sich über die Art des Kristallwachstums beeinflussen. „Durch Paolo Falcaro haben wir diesbezüglich einen großen Know-how-Vorsprung gegenüber anderen Forschungszentren“, freut sich der Chemiker. So beabsichtigt man etwa, ein Material zu entwickeln, in dem die Poren exakt übereinander angeordnet sind. Auf diese Weise könnte man nicht nur elektrische Leitfähigkeit erreichen, sondern auch – wenn man die Poren mit Electrolyt füllt – eine Ionenleitung. Diese Materialeigenschaften sind in vielen Einsatzbereichen gefragt, etwa bei Batterien, in organischen Leuchtdioden oder Solarzellen. „Mit der gezielten Kristallherstellung hat man einen völlig neuen Zugang zur Entwicklung solcher Materialien“, erläutert Christian Slugovc. Ein großer Vorteil des interdisziplinären Konsortiums sei es auch, dass man Ideen aus der Grundlagenforschung in unterschiedlichsten Anwendungen testen und mögliche neue Einsatzfelder entdecken kann. Es dürfte also noch ziemlich spannend werden auf dieser Entdeckungsreise in die winzigen Hohlräume der Materie.

 

 

Dieses Forschungsgebiet ist im FoE „Advanced Materials Science" verankert, einem der fünf Stärkefelder der TU Graz.
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Kontakt

Paolo FALCARO
Univ.-Prof. Dott. mag. Dr.
Institut für Physikalische und Theoretische Chemie
Stremayrgasse 9/I (A)
8010 Graz
Tel.: +43 316 873 32203
paolo.falcaro@tugraz.at