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Tests im Fahrsimulator sind beliebt – aus nachvollziehbaren Gründen: Auf Knopfdruck kann jedes beliebige Szenario simuliert werden. Zeit- und witterungsunabhängig sowie ohne Sicherheitsrisiko für Fahrzeug, Mensch und Umwelt. Darüber hinaus ist eine Stunde im Fahrsimulator günstiger und weniger organisationsaufwendig als die reale Fahrstunde auf einer Testtrecke. „Im Bereich des hochautomatisierten Fahrens werden Fahrsimulator-Studien allerdings häufig wegen des Mangels an Realismus hinterfragt. Außerdem gab es bis vor kurzem keine standardisierten Prüfverfahren, mit denen komplexe Aufgaben wie etwa das wechselseitige Zusammenspiel zwischen Mensch und System (Übergabeprozeduren) überprüft werden hätten können“, weiß Arno Eichberger, Leiter des Forschungsbereichs „Automated Driving & Driver Assistance Systems“ am Institut für Fahrzeugtechnik der TU Graz.
Neues Regulativ als Initialzündung
Seit kurzem deshalb, weil seit Anfang des Jahres 2021 das erste weltweite Regulativ für automatische Spurhaltesysteme (Automated Lane Keeping Systems, ALKS) in Kraft ist. Dieses Gesetz löst das Dilemma der Zulassung auf, wie Eichberger erklärt: „Bisher wussten Zulassungsbehörden nicht, wie sie autonome Systeme abprüfen und zulassen sollten. Die Fahrzeughersteller wussten wiederum nicht, welche Anforderungen die Systeme erfüllen müssen, um zugelassen werden.“ Im Regulativ sind nun erstmals die Zulassungskriterien hochautomatisierter Systeme (Autonomes Fahren Level 3) bis zu einer maximalen Geschwindigkeit von 60 km/h anhand eines Stauassistenten festgeschrieben. Bei Aktivierung des Assistenten geht die Steuerungsverantwortung über auf die Maschine. Der Fahrer oder die Fahrerin darf die Hände vom Lenkrad geben, muss aber im Fall eines Funktionsausfalls augenblicklich wieder übernehmen. Das System muss erkennen, dass die Person am Steuer in der Lage ist, das zu tun.
Basierend auf diesem Regulativ haben Eichberger und seine Forschungspartner von Fraunhofer Austria, AVL und JOANNEUM RESEARCH in den letzten Monaten eine effiziente Methode entwickelt, mit der die Übernahmebereitschaft in einem Fahrsimulator sicher, effizient sowie in hohem Grade realistisch überprüft und die Ergebnisse zur Zertifizierung von ALKS-Systemen herangezogen werden können.
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Video: Autonome Testfahrten im Fahrsimulator
Identische maschinelle Wahrnehmung der Umgebung
Gefragt waren Prozesse, die die Validität der Fahrsimulation mit dem Fahrversuch nachweisen. Als Grundlage dafür diente der direkte Vergleich – Fahrsimulation und Realfahrt (als Versuchsort diente die AVL-Teststrecke im steirischen Gratkorn) mussten möglichst gut übereinstimmen. Hierbei stellte die maschinelle Wahrnehmung der Umgebung eine Herausforderung dar. Bildlich gesprochen handelt es sich bei der maschinellen Wahrnehmung um die Sinnesorgane des Fahrzeugs. Sie hat die Aufgabe, die Fahrzeugumgebung – von der Landschaft über Umweltobjekte bis hin zu anderen Verkehrsbeteiligten – exakt zu erfassen, damit das Fahrassistenzsystem situationsgerecht reagieren kann. Eichberger: „Wenn das gleich ablaufen soll wie in der Realität, müssen die Umgebungen in der Simulation bis auf den Zentimeter genau mit der realen Umwelt übereinstimmen.“
Übertragung der Fahrtstrecken in den Fahrsimulator
Diese Genauigkeit erreichen die sogenannten „Ultra High Definition Karten“ (UHDmaps®) von JOANNEUM RESEARCH (JR), eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen im Bereich digitaler Zwillinge. „Mithilfe eines Mobile Mapping Systems vermessen wir die Testumgebungen. Aus den Messdaten wird schlussendlich eine lückenlose 3D-Karte mit extrem hohen Detaillierungsgrad erstellt. Neben Objekten der Verkehrsinfrastruktur wie Verkehrszeichen, Fahrbahnmarkierungen oder Leitschienen sind auch Vegetation und Gebäude in dieser Karte repräsentiert“, beschreibt Patrick Luley, Leiter des Forschungslabors für hoch automatisiertes Fahren des Instituts DIGITAL. Eine vergleichbare Genauigkeit kann zwar auch mit manuellen 3D-Modellierungen erreicht werden, der automatisierte UHD Mapping Prozess der JR ist aber um ein Vielfaches kostengünstiger und schneller.
Die hochaufgelöste 3D-Umgebung wird schließlich in den Fahrsimulator übertragen. Hierfür zeichnet das Team von Fraunhofer Austria verantwortlich. Volker Settgast vom Geschäftsbereich Visual Computing: „Wir bereiten die Daten dergestalt auf, dass die 3D Umgebung in hoher Geschwindigkeit dargestellt werden kann.“ Selbst spiegelnde und transparente Flächen oder windbewegte Bäume und Sträucher können natürlich wahrgenommen werden. Je nach Testszenario können dann weitere Fahrzeuge oder auch Personen in die virtuelle Umgebung eingefügt werden.
Der Validierungsnachweis erfolgt schlussendlich mithilfe von Vergleichsfahrten auf der Realstrecke. „Mit unserer Methode ist es für Automobilhersteller auf einfache Art und Weise möglich, ein bestimmtes Sampling auf der Realstrecke und im Fahrsimulator zu vergleichen und zu validieren. Somit kann der Test schlussendlich von der Realstrecke in den Fahrsimulator übertragen werden“, so Eichberger. Der TU Graz-Forscher und sein Team arbeiten in den nächsten Monaten nun am Aufbau von virtuellen Freigabeversuchen.
Dieses Forschungsprojekt ist an der TU Graz im Field of Expertise „Mobility & Production“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der Universität.