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„Grüner Wasserstoff nur mit Ausbau erneuerbarer Quellen“

15.10.2022 | Planet research | FoE Sustainable Systems

Von Susanne Filzwieser

Alexander Trattner leitet das HyCentA am Campus der TU Graz und ist überzeugt: Wasserstoff ist Teil der Lösung für ein klimaneutrales Energiesystem. Gefragt sind Tempo und Investitionen.

Alexander Trattner forscht am Institut für Thermodynamik und nachhaltige Antriebssysteme der TU Graz und ist Geschäftsführer sowie wissenschaftlicher Leiter des Wasserstoff-Kompetenzzetrums HyCentA GmbH. Bildquelle: APA OTS - fiedlerphoto

Wenn Sie Ihr Nachbar fragt: Kann ich schon mit Wasserstoff Autofahren oder heizen? Was sagen Sie?

Alexander Trattner: Ich fange dann gerne mit dem Status Quo von Wasserstoff an. Der ist nämlich schon heute ein etablierter Energieträger. Der Verbrauch liegt derzeit bei ca. zwei Prozent des weltweiten Gesamtenergieverbrauchs, etwa in der Düngemittelproduktion, in der Petrochemie und der chemischen Industrie. Das ist aber alles fossil hergestellter Wasserstoff aus Erdgas. Grüner Wasserstoff hingegen ist Teil der Lösung, um unser Energiesystem hin auf einen klimaneutralen Pfad zu bekommen. Wasserstoff wird den Ausbau der erneuerbaren Stromquellen und deren zeitliche und örtliche Integration ins Energiesystem ermöglichen. Und ja, man kann mit Wasserstoff auch jetzt schon Autofahren. Brennstoffzellenfahrzeuge werden heute bereits in der zweiten Generation in Serie gefertigt. Und die Fahrzeuge funktionieren, mit Lebensdauern und Zuverlässigkeit, die für einen Pkw vollkommen ausreichend sind.

Was mögen Sie persönlich an Wasserstoff? Was überzeugt Sie am Wasserstoff?

Alexander Trattner: Ich sehe Wasserstoff als wichtigen Baustein in der Energiewende. Wir müssen die Treibhausgase reduzieren, dafür brauchen wir drei Strategien: 1. die Erweiterung der erneuerbaren Energiequellen und deren Integration und Speicherung in unserem Energiesystem. Dafür ist Wasserstoff ein Schlüssel. 2. der Wechsel auf effizientere Technologien, da kommt sofort die Brennstoffzelle ins Spiel. Und 3. ein Augenmerkt auf unseren Ressourcenverbrauch und das Recycling von Ressourcen – auch hier bieten die elektrochemischen Energiewandler viele Vorteile.

Welche Missverständnisse herrschen um den Wasserstoff? Was kann er heute noch nicht? Was wird er niemals können?

Alexander Trattner: Diese Liste ist sehr lange. „Wasserstoff ist gefährlich, Wasserstoff ist klimaschädlich, er ist viel zu teuer, er ist nicht transportierbar, er ist nicht speicherbar, er geht durch alle Materialien durch“ und so weiter. Es herrscht ein irrsinniger Informationsmangel zum Energieträger Wasserstoff und seinen Technologien. Und das ist auch verständlich, weil die Reife der verschiedenen Technologien sehr divers ist. Man kann nicht alles in einen Topf werfen, und das führt oft zu Missverständnissen. Speziell grüner Wasserstoff ist immer noch deutlich teurer in den Herstellungskosten als der fossile. Da braucht es Forschung und Entwicklung für mehr Effizienz, den Ausbau der Erneuerbaren, die Industrialisierung der Elektrolysetechnologien und auch Attraktivierungsmaßnahmen der Politik. All diese Dinge sind um Laufen, und ich bin sehr optimistisch, dass grün hergestellter Wasserstoff gleich günstig oder langfristig sogar günstiger wird als fossiler.

Wo macht der Einsatz wirklich Sinn?

Alexander Trattner: Zunächst müssen wir den fossilen Wasserstoff, der jetzt schon zum Einsatz kommt, durch Wasserstoff hergestellt mittels erneuerbarer Energie ersetzen. Darüber hinaus gibt es viele weitere Industrieprozesse, die mit dem Einsatz von Wasserstoff dekarbonisiert werden können: Roheisenherstellung, Herstellung von Kupfer oder Wolfram, alle Hochtemperaturprozesse, wie etwa die Ziegelherstellung. Zudem lässt sich mit Wasserstoff als Sekundärenergieträger der Energieüberschuss aus Wind, Wasser und Photovoltaik aus dem Sommer in den Winter verlagern. Dann die Mobilität: Wasserstoff ist in Kombination mit der Brennstoffzelle besonders gut geeignet für Fahrzeuge, die hohe Reichweiten brauchen, hohe Zuladung haben und sehr flexibel eingesetzt werden müssen. Das betrifft den Schwerverkehr, den öffentlichen Personennahverkehr größere Pkw, die Schifffahrt bis hin zu Flugzeugen mit Wasserstoffantrieb. Diese Anwendungen sind bereits alle im Entstehen, dort werden wir Wasserstoff in den nächsten Jahren sehen.

Was kann grüner Wasserstoff heute noch nicht, müsste er aber können, damit er breit eingesetzt werden kann? Was sind die noch großen offenen Themen?

Alexander Trattner: Es geht um die örtliche und zeitliche Einbindung der Erneuerbaren in unser Energiesystem. Wir müssen diese gewonnene Energie auch verteilen können. In Österreich ist heute ein Drittel erneuerbar und zwei Drittel fossil. Und von den zwei fossilen Drittel importieren wir über 90 Prozent über wenige Pipelines. Wir müssen versuchen, bestmöglich lokal die Erneuerbaren auszubauen, also in kleineren Anlagen Wasserstoff zu erzeugen und vor Ort zu verbrauchen. Großelektrolyseanlagen können in Regionen mit viel Wind und Sonne – Nordsee, nördliches Großbritannien, Küste Portugals, Zentralspanien, Süden Europas bis hin zu Nordafrika – erneuerbaren Wasserstoff herstellen und mit Pipelines transportieren. Das gleichzeitig hochzuziehen ist natürlich die große Kunst. Wir am HyCentA behandeln die gesamte Kette der Wasserstoffwirtschaft, von der Elektrolyse über Infrastrukturtechnologien und Mobilität bis zu Messtechnologien, um zum Beispiel die Gasqualität in den Pipelines zu bestimmen. Diese Bandbreite hilft uns, Problemstellungen zu identifizieren und genau da mit Forschungsfragen reinzugehen.

Was fehlt grünem Wasserstoff zum Durchbruch?

Alexander Trattner: Wenn wir nicht anfangen, die Erneuerbaren Stromquellen auszubauen, wird es auch keinen erneuerbaren Wasserstoff geben. Und umgekehrt können wir Erneuerbare nicht ausbauen und bewirtschaften, wenn wir die Power to Gas Technologie, also Elektrolyse, nicht mit ausbauen. Beides geht momentan zu zögerlich voran. Damit man in Österreich ein neues Windrad sieht, vergehen acht bis neun Jahre, ein Jahr für den Bau, der Rest für Planung und Genehmigung. Da ist absolut die Politik gefragt. Wir müssen die nächsten 30 Jahre Wind, Solar und Wasserkraft mit maximaler Anstrengung ausbauen.

Welchen Platz kann Wasserstoff im Energiemix einnehmen?

Alexander Trattner: Was es braucht, sind Investitionen: 120 Mrd. Euro in Erneuerbare Kraftwerke, und 120 Mrd. Euro ins Verteilnetz. Das sind 2 bis 3 Prozent des BIP jährlich. Das nicht zu tun ist keine Option. Natürlich können wir die fossilen nicht von heute auf morgen abstellen. Das muss schrittweise und mit kontinuierlichen Investitionen erfolgen. Ob Wasserstoff dann 10, 30 oder 50 Prozent Anteil haben wird, kann heute niemand seriös beantworten. Heute sind es zwei Prozent, weniger wird’s nicht werden. Die Politik sollte sich in nächster Zeit mehr darauf konzentrieren, erste konkrete Schritte auf den Boden zu bekommen und nicht dauernd alle paar Jahre sich selbst noch höhere Ziele zu stecken. Wer, wenn nicht wir kann rs sich leisten, das Energiesystem wirklich umzubauen?

Kann Wasserstoff in der aktuellen Energieknappheit Lösungen anbieten?

Alexander Trattner: Ja, auf jeden Fall. Ein Beispiel ist ein Projekt der Energie Steiermark in Gabersdorf. Dort wird bei einer bestehenden Biogasanlage in Kombination mit Photovoltaik über Elektrolyse grüner Wasserstoff produziert, abgefüllt und ins 30 Kilometer entfernte Werk der Firma Wolfram transportiert, wo er fossiles Erdgas ersetzt. So lässt sich vor Ort Erdgas substituieren. Freilich geht auch das nicht von heute auf morgen. Zeitnah lautet die einzige Lösung Energiesparen. Der Krieg in der Ukraine hat im Februar begonnen, die Politik hätte zwei oder drei Wochen später sagen können, wir haben in Österreich knapp ein Drittel Erdgas im System, 90 Prozent davon ist aus Russland, ab sofort ist Energiesparen angesagt. Jetzt sind ja noch Reserven in den Gasspeichern, aber da kommt ja nichts mehr bzw. wenig nach. Das eigentliche Problem wird sich fürchte ich erst nächsten Herbst auftun.

Dieses Interview ist Teil des Dossiers „Grüner Wasserstoff – Hype oder Hoffnungsträger?“, in dem Expertinnen und Experten aus der Wasserstoff- und Energiewirtschaftsforschung an der TU Graz im Laufe des Oktobers 2022 die großen, brennenden Fragen zur Zukunft von (grünem) Wasserstoff beantworten.

Kontakt

Alexander TRATTNER
Ass.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Institut für Thermodynamik und nachhaltige Antriebssysteme
Geschäftsführung und wiss. Leitung HyCentA Research GmbH
+43 316 873 9502
trattnernoSpam@tugraz.at