News+Stories: Was genau passiert bei der sensorischen Beurteilung?
Barbara Siegmund: Wir untersuchen sowohl Lebensmittel als auch Non-Food-Materialien, wie Verpackungen von Lebensmitteln bis hin zu Holzpellets. Beurteilt wird mit allen menschlichen Sinnen – wir riechen, kosten, bewerten Aussehen, Haptik und manchmal auch die Geräusche, wie bei knackigen Kartoffelchips.
Geht es darum, ob ein Lebensmittel „gut“ schmeckt?
Barbara Siegmund: Das kommt ganz darauf an. Einerseits testen wir mit einem Konsumenten
panel. Das sind dann sensorisch ungeschulte Laien, die rein nach ihrem subjektiven Geschmack in „schmeckt“ oder „schmeckt nicht“ beurteilen. Wir haben da ein
Panel von rund 400 Konsumentinnen und Konsumenten, die wir in kleinen Gruppen zu unterschiedlichen Proben einladen. Vergangenen Montag zum Beispiel wurde pikanter Aufstrich verkostet, kurze Zeit zuvor Kren und Kürbiskerne.
Im Sensoriklabor der TU Graz wird verkostet, getestet und analysiert.
Andererseits haben wir ein Experten
panel, das aus sensorisch sehr gut geschulten Personen besteht, die teilweise schon seit 1999 für uns tätig sind. Sie werden intensiv in ihrer Geruchs- und Geschmackswahrnehmung geschult und müssen die Analyse der Testobjekte klar von ihrer persönlichen Präferenz trennen können. Wenn wir zum Beispiel mit Fehlaromen arbeiten – also Produkten, die zwar aus gesundheitlicher Sicht in Ordnung sind, aber trotzdem nicht so schmecken wie sie sollen – dann reicht uns als Antwort nicht „grauslig“, sondern wir müssen wissen WIE grauslig. Schmeckt das Produkt „medizinisch-phenolisch“, „muffig“ oder gar „schimmmelig“? Darauf aufbauend können wir Ursachen finden und Lösungen vorschlagen.
Als Antwort reicht uns nicht „grauslig“, sondern wir müssen wissen WIE grauslig.
Wie kann man das trainieren? Gibt es einen Standard, wie etwas schmecken soll?
Barbara Siegmund: Nein, es gibt keine Standards, wie ein Lebensmittel schmecken soll. Wenn wir beispielsweise im Bereich Fehlaromen arbeiten, dann schulen wir die Personen nicht im richtigen Geschmack, sondern im Erkennen der sensorischen Fehler. Es gibt ja nicht zum Beispiel „den Apfelsaft“, sondern sehr viele Varianten im Aroma, die alle in Ordnung sind. Die Expertinnen und Experten müssen das Fehlaroma, so es eines gibt, erkennen und es im Detail beschreiben können. Ich vergleiche das immer mit Vokabellernen.
Braucht man dafür nicht einen sehr starken Magen?
Barbara Siegmund: Ob die verkostete Probe auch geschluckt wird, ist jeder Expertin und jedem Experten selbst überlassen. Ich spucke zum Beispiel fast alles wieder aus. Bei vielen Produkten wird auch nur gerochen. Und wir verkosten auch auf gar keinen Fall, wenn der Verdacht besteht, dass ein Produkt gesundheitsschädlich sein könnte.
Barbara Siegmund führt eine Schnüffel-Analyse durch.
Wie wird man zum Experten?
Barbara Siegmund: Die Personen werden bei uns im Haus ausgebildet, direkt in der Arbeitsgruppe. Es gibt Schulungsverkostungen, an denen auch unsere Expertinnen und Experten zum Training teilnehmen müssen. Geruchs- und Geschmackssinn können sich ja durch unterschiedliche Umstände verändern. Auf jeden Fall muss man die grundsätzliche Fähigkeit zum Riechen und Schmecken mitbringen. Es gibt verschiedenste Geruchs- und Geschmacksblindheiten, von denen man oft zuerst nichts weiß. Ich kann zum Beispiel keinen Kokosgeruch wahrnehmen, was mir auch erst während meiner Arbeit bewusst geworden ist. Bis eine Prüfperson als vollwertiges Mitglied im Expertenpanel mitarbeiten kann, dauert es rund ein halbes Jahr.
Wie gehen Sie am Abend essen? Wir jedes Gericht akribisch analysiert? Kann man die Expertin im Kopf abschalten?
Barbara Siegmund: Ja, das kann man definitiv. Aber ich lege mittlerweile viel höheren Wert auf Qualität und Regionalität – also Frische, kurze Transportwege und gute Produkte. Was aber nicht heißt, dass es bei uns nicht auch hin und wieder Spaghetti und Palatschinken gibt. Ich kaufe sehr viel am Bauernmarkt ein. Und ich halte meine Nase schon viel öfter irgendwo rein und analysiere, warum mir etwas zum Beispiel gerade wirklich gut schmeckt.