Hinter Gernot Müller-Putz, Institut für Neurotechnologie, und Stefan Mangard, Institut für Angewandte Informationsverarbeitung und Kommunikationstechnologie, liegen eineinhalb Jahre Vorbereitung auf die Einreichung beim European Research Council. Das Auswahlverfahren ist umfassend: Zuerst bewertet eine Jury ein fünfseitiges Konzept, auf dem das auf fünf Jahre ausgelegte Projekt dargestellt wird. Erst wenn diese Hürde überwunden ist, wird der 15-seitige Antrag, der gleichzeitig mit dem 5-seitigen Konzept eingereicht wird, überhaupt gelesen. Wird auch diese Arbeit positiv bewertet, dann wird das Projekt in einer nur wenige Minuten dauernden Präsentation und einer rund 20-minütigen Fragerunde in Brüssel präsentiert. „Da ist jedes Wort geplant, keine Improvisation“, erzählt Gernot Müller-Putz. „Wie Marcel Hirscher beim Slalom.“ Aber die Strapazen zahlen sich aus, erklärt Stefan Mangard: „Mit der so möglichen Grundlagenforschung können wir unsere Themen substanziell weiterbringen.“ Das European Research Council vergibt unterschiedliche Grants an Nachwuchsforschende (Starting Grants), für bereits in der Forschungscommunity verankerte Wissenschafterinnen und Wissenschafter (Consolidator Grants), etablierte Größen der Wissenschaft (Advanced Grants) und Forschungstreibende, die bereits einen Grant erhalten haben (Proof of Concept). Bereits 2013 konnte sich die TU Graz über zwei Starting Grants freuen – 2015 nun sogar über zwei der renommierten und äußerst begehrten Consolidator Grants, die jeweils zwei Millionen Euro für fünf Jahre wert sind.
FEEL YOUR REACH
Neuroprothesen für Querschnittgelähmte, die mittels Gedanken gesteuert werden können, sind das Spezialgebiet von Gernot Müller-Putz. Momentan sind mittels Neuroprothetik einfache Greifbewegungen und das Heben und Senken des Unterarms möglich. Mit dem Projekt FEEL YOUR REACH will man einen Schritt weitergehen: komplexe Bewegungsabläufe mit dem ganzen Arm im dreidimensionalen Raum. Und man will ein künstliches Feedbacksystem schaffen, mit dem Patientinnen und Patienten Bewegungen wieder spüren können, denn, so Müller-Putz: „Wer Bewegungen spürt, der kann sie besser durchführen.“
Das Thema begleitet ihn seit 1998, als er in einem Studierendenprojekt einen Roboter bauen sollte, der mittels Gedanken gesteuert werden kann. „Da musste ich nicht überlegen. Wenn ich hier sitze und dort drüben bewegt sich etwas, nur weil ich daran denke, das ist Wahnsinn“, erzählt er heute in seinem hellen Büro im Gebäude der Biomedizinischen Technik der TU Graz. Aber auch die medizinische Seite spielte eine Rolle: „Damals hat man Querschnittgelähmten noch gesagt, dass sich an ihrer Situation nichts ändern kann. Die Frage ist, ob das wirklich so sein muss.“
SOPHIA
Stefan Mangards Forschungsgebiet ist gänzlich anderswo angesiedelt. Nicht nur räumlich – sein Büro liegt am TU Graz-Campus Inffeldgasse. Mangard beschäftigt sich mit der Sicherheit von Computersystemen – momentan mit Angriffen, die die physikalischen Eigenschaften der Hardware ausnutzen, um Informationen über vertrauliche Daten zu erlangen. „Zum Beispiel wird der Stromverbrauch gemessen, das Laufzeitverhalten beobachtet oder die elektromagnetische Abstrahlung überwacht“, erklärt der Forscher. Eine weitere Möglichkeit ist, den Prozessor von außen in seiner Verarbeitung zu stören – wie etwa die Temperatur zu erhöhen oder die Spannung zu verändern – bis das Gerät kleine Fehler macht. Kleine Fehler, wie das Kippen einer einzelnen Speicherstelle, können sich fatal auf die Sicherheit auswirken. „Der trivialste Fehler ist beispielsweise ein Bitfehler, der eine falsche Passworteingabe als richtig akzeptiert.“
Die Wissenschaft beschäftigt sich momentan vorwiegend mit der Absicherung von Verschlüsselungssystemen gegen solche Hardwareangriffe. „Über die Prozessoren macht man sich weniger Gedanken, obwohl dort sämtliche sensitiven Daten verarbeitet werden.“ Die Ziele für das Projekt sind hochgesteckt: „Im fünften Projektjahr möchte ich mit meinem Team ein vollständiges Prozessorsystem als Chip Prototyp gebaut haben, das sicher ist.“ Die Technologie dahinter soll in weiterer Folge frei verfügbar sein und in der Forschungscommunity weiterentwickelt werden können. „Mit dem ERC Grant hat man die Möglichkeit, ein wirkliches Momentum zu erzeugen, und das möchte ich auch nutzen.“