News+Stories: Sie bekleiden einen gestifteten Lehrstuhl für „Nachhaltiges Bauen“ an der TU Graz, was ist Ihre Hauptmotivation für diese Aufgabe?
Alexander Passer: Ich will dazu beitragen, eine neue Kultur im Bauwesen zu schaffen. Rund 40 Prozent des EU-weiten Energieverbrauchs und etwa 36 Prozent der CO2-Emissionen können dem Bausektor zugerechnet werden. Das ist viel mehr, als zum Beispiel der Verkehr verursacht. Gebäude und Infrastrukturbauwerke sind damit die größten Einzelverursacher von Treibhausgasen. Es ist also zentral, heute klimafreundlicher zu agieren – und ebenso wichtig, künftigen Generationen keine Altlasten zu hinterlassen.
Fürs das 1,5-Grad-Ziel von Paris müssen die globalen Treibhausgasemissionen (und damit auch die in Österreich) bis 2030 um ca. 45 Prozent unter das Niveau von 2019 und bis 2050 um ca. 90 Prozent sinken. Nur mit einer Bündelung aller Kräfte wird es möglich sein, diesen Zielen näherzukommen.
Was bedeutet „nachhaltig“ für Sie?
Alexander Passer: Zum einen gibt es die alte deutsche Wortbedeutung, wonach alles mit einer Wirkung, die lange andauert, nachhaltig ist. Daneben gibt es aber auch das englisch Wort „sustainable“, das „langfristig verträglich“ meint. Daher geht es bei einem „sustainable development“ unter anderem darum, die Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu berücksichtigen.
Bei einem „sustainable development“ geht es unter anderem darum, die Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu berücksichtigen.
Wie sehr sehen Sie dieses vorausschauende Denken und Handeln bei den Akteurinnen und Akteuren in Architektur, Planung und Errichtung von Gebäuden verbreitet?
Alexander Passer: Mit Häusern und Wohnungen schaffen wir ein vorgegebenes, ein fast unveränderliches Lebensumfeld in Hinblick auf Energie- und Ressourcenkonsum. Dieses Bewusstsein ist leider noch nicht überall vollständig entwickelt. Mich erschüttert es, wenn Nachhaltigkeit als „Softskill“ bezeichnet wird. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind derzeit kein Pflichtfach in der Aus- und Weiterbildung. Wir müssen unseren Studierenden das nötige Rüstzeug mitgeben. Und wir müssen das Bewusstsein in der heutigen Baupraxis verankern. Das sind Ziele, die ich mit meiner Professur verfolge.
Wollten Sie schon immer Bauingenieur und Nachhaltigkeitsexperte werden?
Alexander Passer: Ich stamme aus einer Ziviltechniker-Familie. Die Leidenschaft für das Bauen wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt. Mein Großvater war Ziviltechniker-Präsident von Tirol und Vorarlberg, mein Vater Gesellschafter des Innsbrucker Ziviltechniker-Büros Passer & Partner. Die Entscheidung für ein Bauingenieur-Studium war naheliegend und der gute Ruf der TU Graz hat mich nach Graz gezogen. Der Themenkomplex der Nachhaltigkeit ergab sich dann aus meinem eigenen Interesse.
Der Einstieg in die Bauwissenschaften führt an der TU Graz über das Bachelorstudium „Bauingenieurwissenschaften und Wirtschaftsingenieurwesen". Wer generell an Lösungen zur Klimaproblematik arbeiten will, ist im Bachelorstudium „Umweltsystemwissenschaften / Naturwissenschaften-Technologie (USW NAWI-TECH)" gut aufgehoben.
Wie ging es nach dem Bauingenieurwesen-Studium an der TU Graz weiter?
Alexander Passer: Es folgte ein Postgraduate Master im Bereich Sanierungsmanagement an der Donau Uni Krems. Meine Dissertation verfasste ich zum Thema Bewertungsmethoden für die umweltbezogene Qualität von Gebäuden an der TU Graz, wo ich als Assistenzprofessor zu arbeiten begann und schließlich als „Associate Professor“ das Thema „Nachhaltiges Bauen“ – zunächst als Arbeitsgruppe – verankerte. Heute sind wir am Institut für Tragwerksentwurf der TU Graz angesiedelt und können daher noch stärker die Interdisziplinarität in Forschung und Lehre leben.
Wie soll der Weg zur klimafreundlichen Baukultur konkret aussehen?
Alexander Passer: Wie nachhaltig ein Bauwerk ist, muss über den ganzen Lebenszyklus von Bauten hinweg abgebildet und ganzheitlich bewertet werden. So forschen wir in der Grundlagenforschung an neuen, dynamischen Ökobilanzierungsmodellen, die künftige Entwicklungen vorwegnehmen und in der anwendungsnahen Forschung an der Umsetzung von innovativen Bauvorhaben. Gerade bei innovativen Konzepten kann es so sein, dass anfangs mehr Ressourcen benötigt werden und die Herstellung höhere Treibhausgas-Emissionen verursacht. Allerdings können solche Maßnahmen im Lebenszyklus sinnvoll sein und sich nach einigen Jahren ökologisch amortisieren. Auch wenn höhere Planungs- und Errichtungskosten entstehen, rechnet sich das in den meisten Fällen innerhalb kurzer Zeit.
Was fließt in ein Ökobilanzierungsmodell alles ein?
Alexander Passer: Wir versuchen den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken abzubilden. Neben Treibhausgas-Emissionen sind Biodiversität und Landverbrauch ebenso mitzudenken wie die Umweltverträglichkeit der Baustoffe und der Energieverbrauch der Bauwerke oder die Kreislauffähigkeit. Nachhaltigkeit verlangt ein ganzheitliches Denken, von der Architektur über das Ingenieurwesen bis hin zur Material- und Energiewissenschaft.
Wir versuchen den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken abzubilden. Neben Treibhausgas-Emissionen sind Biodiversität und Landverbrauch ebenso mitzudenken wie die Umweltverträglichkeit der Baustoffe und der Energieverbrauch der Bauwerke oder die Kreislauffähigkeit.
Was bedeutet „ganzheitliches Denken“ hier konkret?
Alexander Passer: Ganzheitliches Denken bedeutet alle Kriterien zu berücksichtigen, und zwar in ökologischer, ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht. Aber ein Gebäude wirkt ja nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Menschen. Das ist dann in der funktionalen und technischen Qualität berücksichtigt. Die zeitliche Lebenszyklusbetrachtung ist ein zentraler Punkt, zur ganzheitlichen Betrachtung gehören aber auch die Planungs- und Bauprozesse.
Alexander Passer ist gemeinsam mit Karin Stieldorf, TU Wien, wissenschaftlicher Leiter des postgradualen Universitätslehrgangs Nachhaltiges Bauen. Der Lehrgang richtet sich an Planerinnen und Planer, Auftraggebende bzw. Investorinnen und Investoren, die öffentliche Verwaltung und Führungskräfte im Bausektor.
Das heißt, die ganze Wertschöpfungskette ist involviert?
Alexander Passer: Die Herausforderungen, die mit der Klimakrise einhergehen, sind riesig. Wir berücksichtigen daher alle Stoff- und Energieströme die von (Bau)Produkten und Gebäuden verursacht werden. Für unsere komplexen Modelle braucht es Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Bauwesen. Diese zusammen zu tragen erfordert eine gute Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie.
Sind Sie ein Teamplayer?
Alexander Passer: Ja, für mich bedeutet das, alle Kräfte von Architektur und Ingenieursbau bis hin zu Material- und Energieforschung fachübergreifend zu bündeln. Ich sehe es daher als großen Vorteil, dass die Professur „Nachhaltiges Bauen“ an der TU Graz nicht von einem einzelnen Unternehmen gestiftet wurde, sondern vom Fachverband der Stein- und keramischen Industrie. Die über 300 Mitglieder des Fachverbandes sind Unternehmen, die in vielen Industriesparten des Baustoffsektors tätig sind – in der Herstellung von Naturstein-, Ton- und Gipsprodukten oder auch in der Zement-, Beton- und Ziegelindustrie. In unserem stark interdisziplinären Team unterstützen wir uns gegenseitig mit dem notwendigen Fachwissen. Nur so können wir in der Forschung erfolgreich sein.
Bleibt neben all der Forschungs- und Koordinationsarbeit Zeit für Hobbies?
Alexander Passer: Die wissenschaftliche Begleitung des Klimarates und das Klimaforschungs-Netzwerk betreibe ich sozusagen als Hobby (lacht). Aber wenn Sie eher an klassische Freizeitbeschäftigungen denken: Als gebürtiger Tiroler liebe ich die frische Luft in den Bergen. Generell erhole ich mich gut bei sportlichen Aktivitäten wie Skifahren, Laufen und Radfahren. Auch das Element Wasser hat es mir angetan und ich bin ein begeisterter Windsurfer. Anscheinend habe ich das an meine drei Töchter weitergegeben, die alle nicht nur leidenschaftliche Schwimmerinnen sind, sondern auch schon sehr gute Windsurferinnen.